Was ich daraus gelernt habe, fast 15.000 Accounts auf Twitter zu blocken
Foto: imago | photothek, Bearbeitung: VICE

FYI.

This story is over 5 years old.

Hass im Netz

Was ich daraus gelernt habe, fast 15.000 Accounts auf Twitter zu blocken

Inmitten eines Shitstorms versuchte unsere Autorin so, sich zu schützen. Hier erklärt sie, warum sie es nicht noch mal machen würde.

Ein dunkler Abend im Januar, das neue Jahr ist erst wenige Tage alt. Ich sitze auf meiner Couch, mir ist langweilig. Also poste ich einen schlechten Witz auf Twitter: "Idee: weißen Männern ein Tweetlimit von drei Tweets am Tag geben. Alle Probleme gelöst." Freunde und Bekannte steigen auf den Witz ein, ich kichere, mein Abendentertainment steht. Was ich noch nicht weiß: Innerhalb weniger Tage werde ich inmitten eines rechten Shitstorms stehen, mir werden Körperverletzung und Vergewaltigungen angedroht, Fremde werden mein zu Hause aufsuchen. Und ich werde das alles ordentlich selbst befeuern.

Anzeige

Als ich mir vor neuneinhalb Jahren einen Twitter-Account machte, wusste ich nicht, wie viele Lebensjahre mich das kosten wird. Twitter ist für mich mehr als Memes und Nachrichten in Echtzeit. Ich habe auf Twitter Freundschaften geschlossen, Liebe gefunden und Jobangebote erhalten. Ich wurde dort aber auch beleidigt, verleumdet, belästigt, gestalkt und bedroht. In der Vergangenheit wurden Arbeitgeber von mir angeschrieben, sie sollten Stellung zu mir beziehen. Screenshots von meinen Tweets fanden ihren Weg auf Blogs von Maskulinisten und Verschwörungstheoretikern.

Ich weiß, dass ich aufpassen muss, was ich sage: Je provokanter, je witziger, je linker meine Tweets, umso eher werden sie aus dem Kontext gerissen, falsch verstanden oder gar verfälscht. Vor vielen Jahren postete ich ein Foto einer Axt im Baumarkt, "für die Zombie-Apokalypse". Mir wurde unterstellt, ganz ernsthaft, ich wolle damit Männer angreifen und würde zu Gewalt gegen selbige aufrufen.

Heute habe ich fast 11.000 Follower und bin vorsichtiger. Meine Beziehungen erwähne ich kaum, um meine Partner oder Partnerinnen nicht angreifbar zu machen. Ich poste keine Fotos aus meiner Nachbarschaft, um nicht so leicht auffindbar zu sein. Wenn ich schreibe, wo ich esse oder was ich mache, dann erst, wenn ich schon längst wieder weg bin, aus Angst, jemand könnte dort auftauchen. Sagen wir so: Ich bin Stress auf Twitter gewöhnt und lebe mit einem gewissen Maß an Paranoia. Trotz all der Erfahrungen traf mich das, was im Januar passierte, unvorbereitet.

Anzeige

Auch bei VICE: Er überlebte einen Amoklauf, jetzt wollen Verschwörungstheoretiker sein Leben zerstören


Ein Foto von meinem Klingelschild: Sie sind bei mir zu Hause

Irgendwann fand mein Tweet seinen Weg in rechte Blasen. Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung, retweetete einen Aufruf, meinen Witz wegen "Hatespeech" melden zu lassen, daraufhin gingen innerhalb von 48 Stunden über 300 Meldungen ein. Jede einzelne Meldung wurde von Twitter zurückgewiesen – was die Melder unfassbar frustriert haben muss. Sie wurden aggressiver.

Unter meinen Tweets aus der Zeit finden sich bis heute Hunderte Replys, die alle innerhalb weniger Tage geschrieben wurden, vieles davon Getrolle. Der Hass kam separat auf anderen Kanälen. Screenshots meiner Tweets verselbstständigten sich mit unschönen Kommentaren zu meiner Person. In meinen Mentions und meinem Mailpostfach konnte ich ernsthafte Nachrichten zwischen all dem Hass fast nicht mehr finden. Die Beschimpfungen und das Getrolle kannte ich schon. Aber dann tauchte jemand bei mir zu Hause auf, fotografierte mein Klingelschild und schickte mir das Bild, zusammen mit einer Vergewaltigungsdrohung. Ich bekam Drohungen, sie waren vage, aber sie versetzten mich in Panik. Eine Freundin holte mich von der Arbeit ab, wir überlegten, was ich tun sollte. Ich beschloss, mich nicht aus meiner Wohnung vertreiben zu lassen, fuhr heim und stellte die Klingel aus. Und dann machte ich zwei große Fehler.

Anzeige

Der erste Fehler war, dass ich in einem Rundumschlag knapp 15.000 Accounts blockte.

Der zweite Fehler war, dass ich das provozierend kommunizierte und so die Stimmung weiter aufheizte.

Ein Rundumschlag, der schützen soll, aber alles eskaliert

Wenn man in einem Shitstorm steht, wirkt alles viel schlimmer und dramatischer, als es eigentlich ist. Man hat das Gefühl, all das ginge nie wieder vorbei. Nachdem ich das erste Mal im Netz angefeindet wurde, dachte ich wochenlang, der Metzger in meinem Edeka hätte die Artikel über mich gelesen und könnte mich deswegen nicht leiden. Ich verbrachte schlaflose Nächte, machte mir Sorgen um meine Jobs. Und das ist letztendlich genau das, was die Hater erreicht wollen: Sie wollen ihr Ziel einschüchtern, bis es sich nicht mehr äußert.

Ich wollte nur noch meine Ruhe. Ich wollte, dass niemand mehr meine Tweets lesen konnte, der zur kleinen, aber lauten Blase frauenfeindlicher, rassistischer oder rechter Accounts gehörte. Ich wollte mich nicht mehr ohnmächtig fühlen. Ich konnte nicht kontrollieren, was andere über mich schrieben. Aber ich konnte kontrollieren, wer mir folgen durfte. Wen ich blockierte oder nicht. Wenigstens das.

Über eine Browser-Erweiterung konnte ich alle Follower eines bestimmten Accounts blocken. Ich wählte zwei große Accounts aus, die mir mit eindeutig sexistischen, rassistischen und antisemitischen Tweets aufgefallen waren und deren große Reichweite für mich bedeutete, dass jede Erwähnung meines Accounts durch sie einen Schwall an Belästigungen über mir ergoss. Mit einem Klick blockte ich alle Follower der Accounts: über 14.000. Nicht alle diese Accounts sind rechtsradikal, nicht alle Anhänger dieser Accounts sind frauenfeindlich oder rassistisch. Viele aber spielen mit ensprechendem Vokabular und Argumentationen und hofieren die Reichweite, die das mit sich bringt.

Anzeige

So weit, so gut. Oder schlecht. Denn ich konnte es nicht dabei belassen. Ich wusste instinktiv, dass ich über die Drohungen und die Tatsache, dass jemand bei mir zu Hause war, nicht öffentlich sprechen konnte, ohne noch mehr Aufmerksamkeit und damit Risikopotenzial auf mich zu ziehen. Gleichzeitig war ich wütend, wollte nicht einfach schweigen. Also twitterte ich, dass ich eine Blockliste über zwei große "Hetz-Accounts" laufen gelassen hatte. Zu groß war meine Wut über all jene, die solchen Accounts folgten, über die Untätigkeit Twitters, über die Tatsache, dass ich jeden Abend einen anderen Weg nach Hause ging, um einem Übergriff zu entgehen.

Doch meine Aktion fungierte wie eine Werbekampagne für den Shitstorm. Verschiedenste Personen, die vorher noch nie von mir gehört hatten, fragten nun empört, warum ich sie geblockt hatte. Das vermutete Drama bei mir nicht live mitbekommen zu können, schien einige zu frustrieren. Andere fühlten sich durch den Block persönlich beleidigt. Vorwürfe, ich würde Menschen in eine rechte Ecke stellen, bekam ich damals jedoch keine. Vielleicht, weil ich mir zwei Accounts ausgesucht hatte, die eindeutig problematische Sachen von sich gaben. Wer so jemandem folgt, wird das schon mit Grund tun, dachte ich. Einen der zwei Accounts hat Twitter mittlerweile selbst dauerhaft gesperrt – eine Seltenheit.

Zehntausend Menschen, einfach so abgestempelt

Das alles ist fast auf den Tag sechs Monate her. Eigentlich habe ich schnell bereut, so viele Accounts geblockt zu haben – seit Jahren mute ich, statt zu blocken, weil Blocks als Provokation gelesen werden. Zudem sind sie meist nutzlos, wenn jemand wirklich lesen will, was ich schreibe, wird er oder sie einen Weg finden. Dafür ist mein Profil mittlerweile viel zu groß, ich kann gar nicht mehr ausschließen, dass irgendjemand mitliest oder Screenshots macht.

Aber noch etwas anderes ist in den vergangenen Monaten verschärfend hinzugekommen: Seit Jan Böhmermann seine Aktion ins Leben rief, bei der rechte Accounts getrollt werden sollen und eine entsprechende Blockliste von ihm kursiert, hat sich der Ton auf Twitter verschärft. Mit einem Freund stritt ich vor Wochen fast zwei Stunden darüber, ob auf einer Blockliste zu stehen eine Art Sippenhaft ist. Auch wenn wir uns nicht einig wurden, zeigte es mir, dass ich solche Einwände nicht einfach so abtun kann und will. Schon allein, dass Menschen sich stigmatisiert fühlen, heizt die Stimmung weiter auf. Und darunter werden am meisten wohl marginalisierte Personen leiden. Personen, die ich eigentlich schützen möchte.

Anzeige

Damals dachte ich, ich würde das Richtige tun, sah es als einzigen Ausweg. Ich kann nach wie vor jede Person verstehen, die in einer ähnlichen Situation gleich reagiert. Schließlich weiß ich, wie es sich anfühlt, vor diesem Haufen Hass zu sitzen und Angst um Ruf, Job oder sogar körperliche Unversehrtheit zu haben. Aber ich würde es nicht nochmal genauso machen: Es bringt wenig. Und obwohl man sicherlich einige mit gutem Recht blockiert, werden auch immer andere dabei sein, die nicht ganz verloren sind. Die lernen wollen, lernen können. Gleichzeitig setze ich mich für das Recht jeder Einzelnen ein, Menschen blocken zu können – so wie Jan Böhmermann mich zum Beispiel. Warum man blockt, sollte man auch nicht erklären müssen. Blocken ist das "Stopp"-Schild Twitters und muss respektiert werden. Wenn jemand offline keine Lust auf eine Diskussion mit mir hat, stehe ich auch nicht mit Megafon vor seinem Haus und brülle meine Argumente gegen die verschlossene Tür. Nicht alle Debatten können oder müssen gar zu jeder Zeit von jeder Person geführt werden. Das zu erwarten, ist falsch.

Mittlerweile habe ich einzelne Accounts entblockt und nach Möglichkeiten gesucht, alle knapp 15.000 Accounts auf einmal freizuschalten. Das einzige Tool, das ich gefunden habe, hat einen bekannten Bug: Statt die Accounts nur zu entblocken, folgt es ihnen. Vielleicht entblocke ich demnächst alle per Hand. Irgendwann werde ich sicher wieder alleine auf der Couch sitzen und mich langweilen.

Folge Yasmina auf Twitter und VICE auf Facebook , Instagram und Snapchat .