Ein Junge steht auf einem Hügel über Hargeisa
Alle Fotos von Janto Djassi

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Reisen

Bilder aus einem Land, das auf kaum einer Karte ist

In Deutschland haben viele Menschen noch nie von Somaliland gehört. Obwohl auch dort der Slogan lautet: "Wir schaffen das!"

Es gibt Staaten, und es gibt "De-facto-Staaten". Somaliland ist so einer. Dabei hat das ostafrikanische Land alles, was ein richtiger Staat braucht: ein eigenes Gebiet samt Bevölkerung, eine eigene Regierung, eine Verfassung, eine Währung, Ordnungskräfte und Militär. Nur an internationaler Anerkennung fehlt es noch. Auf vielen Karten – ob bei Google Maps oder Wikipedia – existiert Somaliland schlichtweg nicht.

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Die dafür nötige internationale Anerkennung blieb Somaliland bislang versagt, weil die internationale Gemeinschaft andere afrikanische Separatistenbewegungen nicht ermutigen will: Das Land hatte sich 1991 während eines langwierigen Bürgerkriegs von Somalia losgesagt.

Doch während in den Gebieten südlich und östlich von Somaliland bis heute gekämpft wird, ist der Staat ohne Anerkennung längst zur Ruhe gekommen. Laut Regierung gibt es 3,5 Millionen Einwohner. Das sind in etwa so viele wie in Berlin, auf einer Fläche knapp doppelt so groß wie Bayern. Einige arabische Länder und vor allem China investieren in Infrastrukturprojekte, einer der größten Reichtümer des Landes ist allerdings die Musik. Wegen ihr ist auch Janto Djassi gekommen.


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Der Hamburger Fotograf, Journalist und Musiker war im Frühling 2016 zwei Wochen in der Hauptstadt Hargeisa. Gemeinsam mit dem Musiklabelbetreiber Vik Sohonie und dem DJ Nicolas Sheikholeslami hat er hier Archive gesichtet, Musiker interviewt, Lizenzen geklärt – und zahlreiche Fotos gemacht, die er nun erstmals zeigt. Der Anlass ist die Veröffentlichung der Compilation Sweet as Broken Dates: Lost Somali Tapes from the Horn of Africa, die am 25. August bei Sohonies Label Ostinato Records erscheint und die Lieder des Landes erstmals einem globalen Publikum zugänglich machen soll. Es ist eine leichtfüßige Musik mit viel Funk und Gefühl, die – ginge es nach dem langjährigen somalischen Diktator Siad Barre – heute niemand mehr hören könnte.

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Straßenszene in Hargeisa

1988, während des Bürgerkrieges, ließ Barre die Städte Hargeisa und Burao bombardieren, 50.000 Menschen starben. Eines der ersten Ziele der Bombenflieger war der Radiosender Radio Hargeisa. Er hütete auch ein riesiges Archiv an Tonaufnahmen aller Art – das kulturelle Gedächtnis des rebellierenden Somalilands. Die Mitarbeiter konnten zahlreiche Tonbänder und Kassetten retten, einige wurden außer Landes gebracht, andere später verbuddelt, um sie zu schützen.

Im Archiv des Ministeriums für Kultur und Information kommt das Material nun wieder zusammen, erzählt Djassi. Ein Leiter und zwei Angestellte arbeiten hier, erfassen und digitalisieren mit einem einzigen Computer unzählige Kassetten. 5.000 sollen es sein, viele lagen offen herum, sind komplett verstaubt, entsprechend verrauscht klang vieles. Weitere 9.000 Kassetten finden sich zudem im privat organisierten Kulturzentrum Redsea Cultural Foundation. Dessen Gründer, Jama Musse Jama, hat sie aus unterschiedlichen Beständen zusammengekauft – in Ostafrika und innerhalb der somalischen Diaspora.

Die Klangqualität war allerdings schon im Originalzustand nicht gerade berauschend. Waren viele Musiker in den ersten Jahren nach dem Ende des Kolonialismus noch Staatsangestellte, die im Studio auf Band einspielten, entstanden viele spätere Aufnahmen mit neuartigen Kassettenrecordern auf Konzerten. "Das war extrem praktisch", meint Djassi, "führte aber auch zu minderwertigen Aufnahmen."

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Auch in Dschibuti finden sich viele somalische Kassetten

Dennoch sind die eingängigen Lieder dieser Zeit ungebrochen populär. Statt auf Kassette wird die Musik heute im Handyshop als MP3 gekauft und noch vor Ort per SD-Karte überspielt. Überhaupt nutzen die Somaliländer ihre Mobiltelefone für vieles im Alltag, denn der nationale Schilling ist praktisch nichts wert und wird in großen Bündeln auf der Straße verkauft. Die meisten Geschäfte werden deshalb unkompliziert per Handy über digitale Überweisungssysteme der Bank "Dahabshiil" oder der Plattform "Zaad" abgewickelt. Eine Entwicklung, die in Deutschland wohlgemerkt noch in den Anfängen steckt.

Nicht nur deshalb hat Djassi die Stimmung in Hargeisa durchweg als positiv und optimistisch erlebt: "Die jungen Menschen an den Schulen und Universitäten, die wir getroffen haben, wollen alle ihr Land aufbauen. Die haben mir gesagt: 'Wir schaffen das!'" Notfalls eben auch ohne internationale Anerkennung.

VICE zeigt nachfolgend erstmals und exklusiv Djassis Fotos aus Somaliland und dem benachbarten Dschibuti, wo Djassi mit Sohonie ebenfalls 2016 eine weitere Woche unterwegs war.

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Straßenszenen in Hargeisa …

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… und Dschibuti

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Abdoulkader Ahmed Idriss, Leiter von Radiodiffusion Télévision de Djibouti, mit einer Gruppe Musiker

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Mohamed (rechts) ist der Direktor von Radio Hargeisa, das heute wieder auf Sendung ist

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Habane arbeitet bei der Redsea Cultural Foundation

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Ein Interview mit einem Mitglied der legendären Band Hargeysa Brothers (sic)

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Ein Imbiss in Dschibuti

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