Tsiblisi Pride
Tamaz und Giorgi tragen ihr Pride-Shirt für kurze Zeit am zweiten Tag der Massendemonstrationen vor dem Parlament | Foto: Carl Dewald
LGBTQ

So eskalierte das Wochenende, an dem die erste Pride in Tiflis stattfinden sollte

Für die queere Community in Georgien sollte es ein Meilenstein sein. Doch die Veranstaltenden erhielten Morddrohungen und mussten das Event verschieben, weil Massenproteste im Land ausbrachen.

"Ich weiß, wo dein Büro ist und wo du wohnst. Ich werde dir den Kopf abschneiden und zum Held werden." Diese Nachricht erhielt Tamaz, 23, am 19. Juni auf seinem privaten Handy. Er hatte die Pride in Tiflis mitorganisiert, die erste überhaupt in Georgien, sie sollte am vergangenen Wochenende stattfinden. So erzählt er es mir, als ich ihn auf der Konferenz treffe, auf der diese Pride abgesagt werden musste.

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Aber von vorne.

Ich bin in Georgien, in Tiflis um genau zu sein. Das kleine Land, das zwischen der Türkei und Russland liegt, wurde in den letzten Jahren gehypt. Der Tourismus boomt. 2017 bereisten 7,6 Millionen ausländische Gäste Georgien und bis 2022 soll sich die Anzahl verdoppeln. Georgien selbst hat nur etwa 3,7 Millionen Einwohner. Nun sollte hier die erste Pride stattfinden. Doch anders als in anderen Ländern sorgte das für Probleme.


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Ich komme am Freitag an, am Samstag soll die Pride durch die Stadt ziehen. Am Abend zuvor kam es bereits zu einer Massendemonstration vor dem Parlament. Sie galten einer Parlamentariergruppe aus Russland, die Tiflis besuchten. Ein merkwürdiges Ereignis, denn seit dem Krieg mit Russland 2008 gibt es kaum mehr diplomatische Beziehungen zu Moskau. Damals spalteten sich zwei Regionen Georgiens ab: Südossetien und Abchasien.

Als sich am Donnerstagabend ein russischer Abgeordneter auf den Sitz des georgischen Parlamentspräsidenten Irakli Kobachidse setzte und von dort aus zum Plenum sprach, eskalierte die Situation. Die Opposition rief zu Protesten auf. Innerhalb kurzer Zeit versammelten sich rund zehntausend Personen, demonstrierten gegen den Einfluss Russlands und versuchten, das Parlament zu stürmen. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein. 240 Personen wurden verletzt, zwei von ihnen sollen sogar ein Auge verloren haben.

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Ab diesem Moment ist unklar, ob die erste Pride Georgiens stattfinden kann. Aber die Pride-Konferenz, die für Freitag geplant ist, findet dennoch statt. Ich mache mich auf den Weg, um herauszufinden, wie es weitergehen soll.

Die brutalen Proteste haben die Situation für die erste Pride verändert, alle sind nervös

Der Konferenz-Ort, ein hippes Hotel unweit des Parlaments, wurde nur ausgewählten Personen mitgeteilt. Dennoch stehen Polizisten vor dem Eingang des Gebäudes. Das Organisationsteam der ersten Pride-Parade ist angespannt. In jeder freien Minute versammeln sie sich, besprechen die nächsten Schritte.

Die brutalen Proteste haben die Situation für die erste Pride verändert, alle sind nervös. "Wir wissen nicht, was wir machen sollen", sagt Tamaz. Er ist einer der Veranstalter. Den Augenringen nach zu urteilen scheint er seit Tagen kaum geschlafen zu haben. Auch er wirkt angespannt.

Georgien ist erzkonservativ, die orthodoxe Kirche hat einen großen Einfluss. Homosexualität ist seit 2000 zwar entkriminalisiert, es gibt auch Antidiskriminierungsgesetze, gesellschaftlich aber hat sich an der Stimmung gegen sexuelle Minderheiten kaum etwas geändert. Angriffe gibt es immer wieder, vor allem auf Transfrauen. Laut einer Studie des National Democratic Institute sind nur 23 Prozent der Menschen in Georgien der Meinung, dass die Rechte von queeren Minderheiten geschützt werden sollten.

Wie ist es als queere Person in einem solchen Land zu leben?

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"Es ist ein täglicher Kampf, queer zu sein in Georgien"

Ich setze mich mit Nino Bolkvadze zusammen. Die 42-Jährige ist Teil des Organisationsteams und die erste offen lesbische Politikerin, die 2017 für den Stadtrat in Tiflis kandidierte – ohne Erfolg. Ich will von ihr wissen, wie ihre persönlichen Erfahrungen als lesbische Frau in Georgien sind. Ihr Blick wandert nach unten, sie wirkt nervös. Ihr Psychiater und ihr Therapeut haben ihr aufgrund ihrer starken Angststörung empfohlen, nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen. "Es hat viel mit Unterdrückung und Gewalt zu tun und könnte retraumatisierend für mich sein", sagt sie. Nino arbeitet als Anwältin, Fälle von Hassverbrechen gegen queere Personen häufen sich bei ihr.

"Es ist ein täglicher Kampf, queer zu sein in Georgien", sagt mir Tamaz. Er ist schwul. In der Schule wurde er deshalb gemobbt, seine Eltern akzeptieren seine Homosexualität nicht. "Als meine Mutter davon erfuhr, hörte sie nicht auf zu weinen. Mein Vater wollte nicht mehr, dass ich mit ihr rede."

Sowohl Nino, als auch Tamaz sind in Georgien öffentlich bekannt. Sie geben Interviews und sorgen damit für Aufmerksamkeit. Und nun diskutiert das Land schon seit Wochen über die bevorstehende Pride-Parade, ihre Pride.

Mit der aufkommenden Techno-Szene entstand gleichzeitig auch ein Safe Space für die queere Community in Tiflis

Seit Jahren scheiterten die Versuche queere Veranstaltungen zu organisieren immer wieder. 2013 stellten sich rund 20.000 religiöse Gegendemonstranten rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten entgegen, die gegen Homo- und Transfeindlichkeit auf die Straße gingen. Die queeren Aktivistinnen und Aktivisten wurden bespuckt, bedroht und mit Steinen beworfen – bis zu 20 Personen wurden dabei verletzt. Die Community in Tiflis ist noch immer traumatisiert. Einige von ihnen sind deshalb auch gegen eine Pride. Sie haben Angst.

Es gibt aber auch eine Gegenbewegung. So ist Tiflis seit Jahren für sein Nachtleben bekannt. Hier gibt es den renommierten Club "Bassiani" und mit "White Noise" eine Bewegung, die sich für die Entkriminalisierung von Drogen einsetzt. Mit der aufkommenden Techno-Szene entstand auf den Partys gleichzeitig auch ein Safe Space für die queere Community der Stadt.

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Die Situation, in der die Aktivistinnen und Aktivisten die Pride seit Oktober 2018 organisieren, ist trotzdem sehr schwierig. Von Anfang an gab es Probleme. Schnell schaltete sich die Regierung ein. "Sie wollten nicht, dass wir die Pride veranstalten", erzählt Giorgi, 32, ebenfalls einer der Veranstalter. Der offizielle Grund der Regierung: Die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. "Die Regierung hat die Mittel eine Pride zu schützen. Der politische Wille fehlt aber", sagt Tamaz.

Zeitgleich mobilisierte die Georgische orthodoxe Kirche gegen das Event. Sie sprach offiziell von einer "sodomitischen Sünde" und verlangte von der Regierung, das Event zu verbieten. Außerdem drohte der prominente, rechte Millionär Levan Vasadze damit, eine Bürgerwehr zu gründen und vermeintlich Homosexuelle anzugreifen.

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Die Aktivistinnen und Aktivisten, darunter auch Nino und Giorgi, beim Protest am 14. Juni vor dem Regierungsgebäude in Tiflis | Quelle: Facebook, privat

Um Druck auf die Regierung zu auszuüben, organisierten die Aktivistinnen und Aktivisten am 14. Juni einen kleinen Protest vor dem Regierungsgebäude. Dort kam es zum Tumult. Gegner der Pride versuchten, die Aktivistinnen und Aktivisten anzugreifen. Der Polizei fiel es schwer, die Gruppe zu schützen. Es kam zu 28 Festnahmen. Der Protest war landesweit in den Medien, alle Fernsehsender berichteten darüber. "Unser Gesicht war überall, seitdem können wir nicht mehr einfach auf die Straße", sagt Giorgi.

Die Veranstaltenden erhalten Todesdrohungen auf ihre privaten Handys

Einige Tage später versammelte sich eine Gruppe Pride-Gegner, darunter auch orthodoxe Priester, vor dem Büro der Aktivistinnen und Aktivisten. Sie demonstrierten dort gegen die Veranstaltung. Kurz darauf erhielten Tamaz, Georgi und eine weitere Person aus dem Team die Todesdrohungen auf ihre privaten Handys. "Ich konnte nicht aufhören zu zittern", sagt Tamaz. "Zwar habe ich schon oft Todesdrohungen auf Social Media erhalten. Auf meinem Handy hatten sie aber eine andere Dimension."

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Unter den Protestierenden gegen Homosexuelle im Vorfeld der Pride waren auch orthodoxe Priester | Foto: Julia Spacil

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"Ich habe so viel geweint und bin irgendwann zusammengebrochen, ich hatte keine Kraft und keine Hoffnung mehr", sagt Giorgi. "Mittlerweile glaube ich aber, dass die Regierung dahinter steckt." Er denkt, man habe ihnen Angst machen wollen, um die Pride zu verhindern. Eine Meinung, die viele aus dem Team teilen. Bestätigen lässt sich diese Vermutung nicht.

Das Organisationsteam wird sich nicht einig. Einige vermuteten, dass die Regierung nach der Eskalation beim Massenprotest vor dem Parlament für genügend Sicherheit bei der Pride Parade sorgen würde, um in westlichen Medien einen guten Eindruck zu hinterlassen. "Wir wollen uns nicht instrumentalisieren lassen", sagt Nino. Andere finden den Zeitpunkt während der Massenproteste nicht mehr passend. "Nach den Ausschreitungen vor dem Parlament hat die Polizei nicht mehr die Kraft unsere Demonstration zu schützen", sagt Giorgi.

All diese Ereignisse sind Gründe, die das Organisationsteam letztlich dazu bewegen, die Pride-Parade auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die erste Pride Georgiens wird abgesagt. Öffentlich kommunizierte die Gruppe, dass Sicherheitsbedenken aufgrund der anhaltenden Proteste der Grund sind.

Statt zur Pride zu gehen, verbringe ich auch meinen zweiten Tag in Tiflis auf einer Demonstration. Zehntausende Menschen sind auf dem Weg zum Parlament. Dort jubeln sie den Oppositionspolitikern zu, die eine Rede halten. Viele tragen eine Augenklappe aus Solidarität mit den Demonstranten, die am Tag zuvor ein Auge verloren haben sollen. Auf den Augenklappen steht "20 Prozent", eine Anspielung auf die von Russland besetzten Gebiete.

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Alles wirkt friedlich. Aber ich fühle die Blicke von einigen Männern auf mir. Keine guten Blicke. Merken sie mir an, dass ich schwul bin? Zur Sicherheit ziehe ich meinen Ohrring aus meinem rechten Ohrloch aus und verstecke ihn in meiner Tasche. Jemand könnte ihn als Zeichen für meine Homosexualität verstehen.

Die Pride-Afterparty findet statt, wie geplant

Am nächsten Tag gehe ich in einen kleinen Schwulenclub in einem Wohnhaus. Hier findet die Pride-Afterparty statt, wie geplant. Auch wenn sie keine Pride veranstalten konnten, wirken alle erleichtert. Vielleicht auch weil die United Nations, die Europäischen Union und einige weiteren Länder ein gemeinsames Statement veröffentlicht haben. Darin unterstützen sie die Aktivistinnen und Aktivisten und rufen die Regierung dazu auf, gegen Gewalt an Minderheiten vorzugehen. Also: geltende Gesetze einzuhalten.

Auf einen neuen Termin für die Pride konnte sich die Gruppe noch nicht einigen, sie soll aber schon bald stattfinden, da sind sich alle einig. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir so viel bewegen. Niemals zuvor gab es so viel Berichterstattung zu queeren Themen in Georgien", sagt Georgi.

"Wir brauchen eine Pride", sagt Tamaz. "Deshalb müssen wir weiterkämpfen."

Ob Georgien bereit für die Veranstaltung ist? Ob die Regierung die Pride am nächsten Termin schützen wird?

Daran will in dieser Nacht niemand denken. Es läuft Musik, Leute tanzen. Drei Drag Queens performen, alle jubeln. Das ist alles, wofür sie kämpfen. Ihr Leben so zu leben, wie sie es möchten. Im Club ist es möglich. Abseits einer Gesellschaft, die sie nicht willkommen heißt. Die ihnen Todesdrohungen schickt. Sobald die Party aber vorbei ist, endet die Freiheit wieder.

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