Ein heruntergekommener Vorort von Albaniens Hauptstadt Tirana im Januar. Ich treffe mich mit zwei Kokainschmugglern, die gerade von einem Ausflug nach Deutschland zurückgekommen sind. Wie viele ihrer Kollegen sind Artin und Luli von Cannabis auf Kokain umgestiegen. Das bringt mehr Geld und der Stoff ist leicht zu beschaffen. Sie verdienen etwa 20.000 Euro, wenn sie ein Kilo Kokain in die reichen Länder Europas schaffen. Und der Markt wächst.
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Die beiden Männer erzählen Machogeschichten gespickt mit Schlagringen und Baseballschlägern, fachsimpeln über Rolex-Modelle, schnelle Autos und schöne Frauen. "Wie du wahrscheinlich gemerkt hast", Artan deutet mit einem Kopfnicken auf die kaputte, teils überschwemmte Straße, die nicht repariert wurde, seit sie denken können, "musst du die Tour nach Deutschland, Italien oder England machen, wenn du hier was erreichen willst. Kokain ist richtige Arbeit."
VICE-Video: Unterwegs in Barcelonas Drogen-Squats
In den 1990ern erschütterte eine schwere Wirtschaftskrise den Balkanstaat, der bereits vom Jugoslawienkrieg geschwächt war. Seitdem sind junge Albanerinnen und Albaner gefangen in einem Netz aus Armut und Korruption. Manche sehen den Drogenhandel als einzigen Ausweg. Das Schmuggelgeschäft hat in Albanien eine lange Geschichte. Mittlerweile hat sich das Land zum ersten Narco-Staat Europas entwickelt. Und das, obwohl Albanien NATO-Mitglied ist und kurz vor Beitrittsverhandlungen mit der EU steht.Nach der Definition des Internationalen Währungsfonds ist ein Narco-Staat ein Land, "in dem alle rechtmäßigen Institutionen von der Macht und dem Reichtum des illegalen Drogenhandels durchdrungen sind". Klassische Beispiele sind Venezuela, Guinea-Bissau und Afghanistan. Aber auch Albanien steht knietief im Drogengeld.Das kleine, gebirgige Land an der Adria ist Europas größter Produzent von illegalem Outdoor-Cannabis. 2017 beschlagnahmte die Polizei dort 68 Tonnen Gras. Seinen Titel als Narco-Staat verdient Albanien allerdings erst durch den Kokainhandel. In den vergangenen zehn Jahren haben sich albanische Gangs zu wichtigen Akteuren im europäischen Kokaingeschäft entwickelt. Mit verhältnismäßig reinem Stoff zu Kampfpreisen haben sie zu der steigenden Verfügbarkeit der Droge seit 2012 beigetragen.Albanische Schmuggler unterhalten direkte Schmuggelrouten von Südamerika und Europas großen Kokainumschlaghäfen in Belgien und den Niederlanden. Im Februar 2018 beschlagnahmte die albanische Polizei 613 Kilogramm Kokain, die versteckt in einer Ladung kolumbianischer Bananen die Hafenstadt Durrës erreichten.
VICE-Video: Unterwegs in Barcelonas Drogen-Squats
In den 1990ern erschütterte eine schwere Wirtschaftskrise den Balkanstaat, der bereits vom Jugoslawienkrieg geschwächt war. Seitdem sind junge Albanerinnen und Albaner gefangen in einem Netz aus Armut und Korruption. Manche sehen den Drogenhandel als einzigen Ausweg. Das Schmuggelgeschäft hat in Albanien eine lange Geschichte. Mittlerweile hat sich das Land zum ersten Narco-Staat Europas entwickelt. Und das, obwohl Albanien NATO-Mitglied ist und kurz vor Beitrittsverhandlungen mit der EU steht.Nach der Definition des Internationalen Währungsfonds ist ein Narco-Staat ein Land, "in dem alle rechtmäßigen Institutionen von der Macht und dem Reichtum des illegalen Drogenhandels durchdrungen sind". Klassische Beispiele sind Venezuela, Guinea-Bissau und Afghanistan. Aber auch Albanien steht knietief im Drogengeld.
Koks zu Kampfpreisen: Albanische Gangs mischen den europäischen Drogenmarkt auf
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Seit das Drogengeschäft in dem Balkanstaat an Bedeutung gewonnen hat, werden immer häufiger Albaner mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen in Südamerika getötet. 2017 wurde der Kosovo-Albaner und mutmaßliche Kokainhändler Remzi Azemi in Guayaquil, Ecuador, an einer Straßenkreuzung erschossen, als er in einem gepanzerten Auto unterwegs war. Im Vorjahr wurde Ilir Hiri, ein anderer Albaner mit mutmaßlichen Kontakten zum Drogengeschäft, in derselben Stadt ermordet.
Natürlich spielt das Geschäft mit illegalen Drogen auch in anderen europäischen Ländern eine große Rolle. Im Süden der Niederlande stellt die MDMA-Produktion sogar ein ernsthaftes Umweltproblem dar. Im Gegensatz zu anderen Staaten sind die Drogenbosse in Albanien jedoch bestens mit der politischen Elite vernetzt und beeinflussen maßgeblich die Entwicklung des Landes. Nicht selten stecken sie sogar mit den Strafverfolgungsbehörden unter einer Decke.Das Geld aus dem Drogengeschäft spielt in Albaniens politischem System eine große Rolle. Stimmen sichert man sich dort nämlich immer noch am besten gegen Bares. Eine von der EU finanzierte Studie fand heraus, dass mehr als jeder fünfte Erwachsene in Albanien mindestens einmal Geld für seine Stimme angeboten bekommen hat. Ende Januar dieses Jahres wurden Telefonmitschnitte veröffentlicht, die zu belegen scheinen, dass kriminelle Organisationen die Präsidentschaftswahlen 2017 beeinflusst haben.
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Laut Afrim Krasniqi, dem Vorsitzenden des albanischen Instituts für Politikwissenschaften, haben kriminelle Banden bei den Wahlen 2017 eine größere Rolle gespielt als die politischen Parteien. "Heute herrscht generell der Eindruck, dass Wahlen ohne die Unterstützung solcher Gruppen nicht zu gewinnen sind", sagt er.
Weil Drogenhandel und politische Macht in Albanien dermaßen verstrickt sind, hat der britische Geheimdienst Einheiten nach Tirana entsandt, um die Geschäfte im Auge zu behalten. Ein Mitglied des britischen Teams sagt gegenüber VICE, man habe eindeutige Beweise dafür, dass die albanische Polizei Informationen direkt an die Banden weitergebe. Neben Agenten aus Großbritannien befinden sich auch Teams aus den USA, den Niederlanden und Italien im Land. Sie alle mussten in der Vergangenheit feststellen, dass Informationen, die sie mit albanischen Behörden geteilt hatten, in die falschen Händen geraten waren.Seit der Regierungsbildung 2013 sind bereits zwei Innenminister von Ministerpräsident Edi Rama aus dem Amt geschieden. Der erste, Saimir Tahiri, wird sich dieses Jahr vor Gericht wegen Drogenhandels und Korruption verantworten müssen. Sein Nachfolger, Fatmir Xhafaj, trat nach 19 Monaten im Amt zurück, als sein Halbbruder in Italien wegen Drogenhandels zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Zwar konnte man Xhafaj keine Beteiligung an den Verbrechen seines Bruders nachweisen, aber nationaler und internationaler Druck brachten Rama vermutlich dazu, sich von dem Minister zu verabschieden.
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Klement Balili, der Pablo Escobar des Balkans
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Die griechische Polizei ist Balili seit zehn Jahren auf den Fersen. Aber immer, wenn sie Fortschritte zu machen schienen, stießen die Beamten bei albanischen Behörden auf Hindernisse. Im Mai 2016 verhaftete die griechische Polizei zwölf Mitglieder von Balilis Gang und beschlagnahmte knapp 700 Kilo Marihuana. Die Griechen stellten einen Haftbefehl für Balili aus, aber die albanische Polizei weigerte sich, eine Kopie davon anzunehmen. Als die Behörden das Dokument schließlich anerkannten, war Balili "verschwunden".Drei Monate später soll Balili mit einem hochrangigen Polizeioffizier auf seiner Jacht vor der albanischen Küste fotografiert worden sein. Das war kein Einzelfall: Zu der Zeit tauchte Balilis grinsendes Gesicht immer wieder im Hintergrund von Handyvideos und Fotos von Feiern der albanischen Polizeiführung auf.Balilis Nähe zur politischen Elite ist US-amerikanischen und griechischen Behörden zufolge der Grund für seinen Erfolg als Drogenschmuggler. Donald Lu, von 2014 bis 2018 US-Botschafter in Albanien, sagte 2016: "Politiker von Links und Rechts haben sich den Interessen von korrupten Geschäftsleuten, Verbrechern und Drogenhändlern gebeugt. Wie sonst lässt sich erklären, dass der Drogenschmuggler Klement Balili noch auf freiem Fuß ist?"
Diesen Januar verhaftete die albanische Polizei Balili schließlich. Die Regierung präsentierte die Festnahme als großen Coup, dabei hatte sich der Drogenboss gestellt und die Bedingungen seiner Festnahme selbst festgelegt. Das Innenministerium und die Strafverfolgungsbehörden wurden von Balilis Anwälten über dessen Ankunft informiert. Der albanische Polizeichef verhaftete ihn persönlich. Aufgrund einer frischen Verfassungsänderung wurde Balili nicht nach Griechenland ausgeliefert, sondern musste sich in seiner Heimat vor Gericht verantworten."Er hat immer gezahlt, die Gemeinde hat ihn respektiert. Er war ein Geschäftsmann, kein Pate."
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Im Februar akzeptierte der Strafgerichtshof Balilis Bitte um ein "verkürztes Verfahren". Damit ist ihm nicht nur garantiert, dass seine Strafe um ein Drittel gekürzt wird, es stellt auch sicher, dass er während des Prozesses nicht zu viel über die politische Elite Albaniens sprechen muss. Am 7. Mai wurde Balili wegen Drogenhandels, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sein Anwalt hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen.Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Balili mit einer milderen Strafe davonkommt oder komplett freigesprochen wird. Eine ganze Reihe einflussreicher Albaner sind bereits in Berufungsverfahren Anklagen oder Verurteilungen für schwere Korruptionsvergehen entkommen.Mehrere Bauleute, die für Balili an Bauprojekten gearbeitet haben, loben ihn gegenüber VICE. "Ich weiß nicht, was Klement gemacht hat, oder ob wirklich stimmt, was sie sagen, aber Klement hat Geld in unsere Gemeinde gebracht", sagt eine Person, die anonym bleiben möchte. "Er hatte viele Bauprojekte und wir haben jahrelang an ihnen gearbeitet. Er hat immer gezahlt, die Gemeinde hat ihn respektiert. Er war ein Geschäftsmann, kein Pate."Ein jüngerer Bauunternehmer zeigt sich weniger begeistert von Balili: "Er hat gezahlt, wenn er Lust dazu hatte. Wenn er nicht zahlen wollte, konntest du nichts dagegen tun", sagt er. "Er hat die Polizei, die Gerichte und die Steuerbehörden in der Tasche. Ich will nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich mich über eine offene Rechnung beschwert hätte. Er kennt und kontrolliert alles und jeden. Er hätte uns einfach wie eine Zigarre ausgedrückt."
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60 Prozent der Bevölkerung wollen auswandern
Der Erfolg von Albaniens Gangs kommt auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger, die im Korruptionssumpf sich selbst überlassen sind. In einer internationalen Umfrage gaben 2018 60 Prozent der Albanerinnen und Albaner an, auswandern zu wollen. Damit landete Albanien auf dem vierten Platz – hinter Haiti, Liberia und Sierra Leone. Junge Menschen machen schon in der Schule erste Erfahrungen mit Korruption, wenn Eltern Lehrerinnen und Lehrer für bessere Noten bestechen. An Universitäten hängt die Zulassung häufig davon ab, ob man Freunde in Machtpositionen hat.
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Im Juni beginnen die Beitrittsverhandlungen mit der EU
Albanerinnen und Albaner verfolgen gebannt, ob die EU diesen Juni die Beitrittsverhandlungen beginnen wird. Vielleicht dürfen sie bald visumfrei durch die komplette EU reisen. Frankreich und die Niederlande sehen die albanischen Drogenbanden allerdings als solche Bedrohung, dass sie gegen die Reisefreiheit sind.Ministerpräsident Rama war früher Basketballspieler und wurde 2013 auch wegen seines strengen Antikorruptionskurses ins Amt gewählt. Aus dem Ausland gab es viel Lob für ihn, als er das berüchtigte Cannabis-Anbaugebiet um das Dorf Lazarat unter Polizeigewalt brachte. Allerdings sieht auch Rama sich Betrugs- und Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Angeführt von der Opposition finden in Tirana seit einigen Wochen heftige Proteste gegen die Regierung statt.Ramas Gegner fordern, dass er sein Amt niederlegt, damit Albanien der EU beitreten kann. Lulzim Basha, Vorsitzender der konservativen, oppositionellen Demokratischen Partei Albaniens sagt: "Wir haben die Mission, Albanien von Verbrechen und Korruption zu befreien – damit Albanien wie der Rest von Europa wird."Die von Korruption geplagten Länder, die die Drogen für unseren Markt produzieren, waren bisher für Europäer eher weit weg. Albanien hat das Problem direkt vor unsere Haustüre gebracht – und der Großteil der Bevölkerung hofft, reingelassen zu werden. Das ist das Traurigste am Narco-Staat: Die Korruption und die kriminellen Machenschaften beschränken vor allem die Möglichkeiten seiner ganz normalen Bürgerinnen und Bürger.Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.