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Popkultur

18,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben jetzt in Deutschland

Und die Rechten im Netz rasten wegen dieser neuen Zahl aus. Wir haben die schlimmsten Vorurteile aus den Kommentarspalten einem Faktencheck unterzogen.

Es war wie ein schiefgelaufenes Stille-Post-Spiel. Am Anfang sagt einer etwas ziemlich Banales und zum Schluss kommt etwas dabei raus, was mit dem Ursprünglichen nichts mehr zu tun hat. In diesem Fall stand zuerst eine schnöde Zahl. Und am Ende kamen rechte Parolen raus. Aber nochmal von vorne: "Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland erreicht einen neuen Höchststand", lautete heute eine der Schlagzeilen und die verbreitete sich in den Timelines. Das Statistische Bundesamt hatte neuen Statistiken veröffentlicht und eine Erkenntnis lautete: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland stieg vergangenes Jahr um 8,5 Prozent. Damit hat etwas mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ausländische Wurzeln. Das Stille-Post-Spiel begann, verängstigt zu flüstern. Und unter einem Kommentar eines FAZ-Artikels stand schließlich: "Deutsche, holt Euch Euer Land zurück!"

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Unter einen B.Z.-Artikel schrieb ein User: "Die deutschen sterben aus". AfD-Fans und Headline-Leser sahen sich bereits von Muslimen überrannt und sie selbst, die armen Steuerzahler müssten all das ausbaden! Wir sind uns allerdings ziemlich sicher: Keiner von ihnen hat die 505 Seiten lange Studie des Statistischen Bundesamts gelesen, aus der die Zahl stammt. Dabei ist die im Internet frei verfügbar. Wir haben uns durch wütende Facebook-Kommentare geklickt und sie mit den tatsächlichen Zahlen verglichen. Getreu dem Motto: "Erst Fakten checken, dann posten."

Nein, tatsächlich wäre die Bezeichnung "Nichteuropäer" sogar sehr unangebracht: Von den 18,6 Millionen Menschen haben nämlich 6,6 Millionen Menschen ihre Wurzeln in EU-Ländern. Fast genauso viele haben einen Background aus Ländern, die in der Studie unter "Sonstiges Europa" fallen. Dazu gehören zum Beispiel Menschen aus Russland, dem Kosovo oder der Türkei. Zusammen sind das fast 70 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund. Die Türkei ist immer noch das wichtigste Herkunftsland. Dahinter folgen Menschen mit polnischen und russischen Wurzeln. Nur etwa 12 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund stammen aus dem Nahen und Mittleren Osten – knapp die Hälfte davon kommt übrigens aus Kasachstan. Viele von ihnen sind Spätaussiedler – also Zuwanderer mit deutschen Wurzeln, die in der ehemaligen Sowjetunion gelebt haben.

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Ja, es gab im Jahr 2016 ganze 8,5 Prozent mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Von den 18,6 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund sind 52 Prozent Deutsche und keine Ausländer. Der Ausländeranteil in Deutschland liegt somit bei knapp über 10 Prozent. Knapp die Hälfte der Deutschen mit Migrationshintergrund besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit schon seit ihrer Geburt. Sie werden in der Statistik nur als Menschen mit Migrationshintergrund geführt, weil mindestens ein Elternteil ausländisch, eingebürgert oder Aussiedler ist.

Zwar sind Menschen mit Migrationshintergrund häufiger erwerbslos als jene ohne. Allerdings gehen trotzdem nur 6,6 Prozent derzeit keiner Arbeit nach. Über 90 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 25 bis 65 Jahren sind also nicht nur "potentielle Steuerzahler", sondern tatsächliche. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung sind 3,2 Prozent aller Personen erwerbslos.

Wenn man die Menschen mit Migrationshintergrund aus überwiegend muslimischen Ländern zusammenrechnet (und zur Vereinfachung annimmt, dass alle muslimisch sind), wären das 6,3 Millionen Menschen, also knapp 33 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund. Da jedoch nicht alle Menschen eines Landes muslimisch sind, viele Menschen nach einer Zeit in Deutschland nicht mehr religiös sind und besonders Menschen anderer Religionen (zum Beispiel christliche Minderheiten) wegen Verfolgung nach Deutschland flüchteten, dürfte die Zahl von muslimischen Menschen mit Migrationshintergrund noch geringer sein.

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Wir freuen uns auch über die vielen Frauen, die hier leben. Denn momentan sind unter den Menschen mit ausländischen Wurzeln 9 Millionen Frauen und 9,6 Millionen Männer. Und afrikanische Wurzeln haben aktuell "nur" 740.000 Menschen in Deutschland – also knapp 4 Prozent.

Unter 25- bis 35-Jährigen machen heute genauso viele Menschen mit Migrationshintergrund ihr Abitur (37 Prozent) und einen akademischen Abschluss (27 Prozent) wie ohne. Allerdings haben Menschen mit ausländischem Background häufiger keinen beruflichen Abschluss oder Schulabschluss.

Und wenn du jetzt das Gefühl hast, es reicht dir immer noch nicht mit Zahlen und Statistiken, kannst du hier alle Ergebnisse selbst nachlesen.

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