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outfit of the day

Stell dir vor, du wirst Ministerin – und alle reden nur über dein Outfit

Wenn es um deutsche Politikerinnen geht, wird auch die 'Bild' zur 'Vogue'.
Foto: imago | Jens Jeske

Seit Mittwochmittag haben wir endlich wieder eine Regierung. Angela Merkel wurde zum vierten Mal als Bundeskanzlerin vereidigt und auch die Ministerinnen und Minister der Großen Koalition, die niemand so richtig wollte, haben offiziell ihre Ämter angetreten. Es besteht allerdings eine ziemlich gute Chance, dass ihr von diesen Vorgängen vor allem eine Sache mitbekommen habt: Zwei Frauen hatten das gleiche Kleid an. Schock!

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Sowohl Familienministerin Franziska Giffey (SPD) als auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) entschieden sich für ein blaues Kleid mit passendem Blazer. "So eine Ernennung und Vereidigung zur Bundesministerin kommt nicht alle Tage vor, da soll es schon ein besonderes Outfit sein", schrieben unter anderem die Hamburger Morgenpost und Berliner Zeitung auf Basis einer Meldung der Deutschen Presseagentur dpa. Umso schlimmer natürlich, dass dieser besondere Anlass durch ein derartiges Klamotten-Fiasko überschattet wurde. Ganz so, als würde es sich bei Giffey und Klöckner nicht um zwei erwachsene Frauen in wichtigen politischen Positionen handeln, sondern um aufgeregte Schülerinnen, die sich für ihren Abiball ganz besonders hübsch machen wollten. Im gleichen dpa-Text wird außerdem das "recht kurze" (knielange) Kleid von Justizministerin Katarina Barley (SPD) moniert.

Die Welt setzte gleich ein "Protokoll einer Katastrophe" auf, erwähnte aber schon in der URL pflichtschuldig, dass es sich dabei natürlich um Satire handle. Man habe überzeichnen wollen, "dass die Menschen es ungefähr 3.000-mal lustiger finden, wenn sie zwei Politikerinnen im gleichen Outfit entdecken, als wenn 38 männliche Kollegen im praktisch gleichen anthrazitgrauen Anzug mit blau-grau-gestreifter Krawatte im Bundestag aufkreuzen".

Ob es nun wirklich "lustiger" ist, sei dahingestellt. Fakt ist aber: Wenn zwei Männer den gleichen Anzug tragen, interessiert das niemanden. Die Standard-Outfits deutscher Politiker unterscheiden sich im Zweifelsfall nur durch die Geschmacklosigkeit ihrer Krawatten voneinander. Außerdem stehen männliche Regierungsvertreter für Inhalte, gehässige Kommentare auf Basis ihres Äußern bekommen auch 2018 noch primär ihre Kolleginnen ab.

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Auch Spiegel Online wollte diese launige Anekdote der Ministervereidigung nicht unerwähnt lassen, verzichtete aber zumindest darauf, die beiden Frauen als modische Rivalinnen zu inszenieren: "Beide tragen ein fast identisches königsblaues Kostüm und scheinen sich schon blendend zu verstehen." Ob sich auch unter den Männern Pärchen gefunden haben, die aufgrund ähnlicher Socken nun für immer miteinander befreundet sein müssen? Wir erfahren es nicht.

"Kein Thema dagegen: Neun von zehn Ministern trugen dunkelgraue Anzüge, Modell 'GroKo'", stellte auch Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt in seinem "Checkpoint"-Newsletter fest. "Niemand schrieb 'Graue Schockjahre im Bundestag' (bis eben gerade jedenfalls)." Der Einzige, der zu einem helleren (aber ebenfalls grauen) Anzug griff, war Außenminister Heiko Maas. Der Rest trug verschiedene Abstufungen von Grauschwarz, die wohl nur ein hauptberuflicher Emo auseinanderhalten könnte.

Interessanterweise war es ausgerechnet die Bild, die Maas' Anzug in ihrem "Klamotten-Check" zum GroKo-Start dann doch noch aufgriff. Auch wenn die Geschlechterrollen weiterhin klar verteilt blieben: Männer stark, Frauen irgendwie hübsch. Designer Philipp Plein bezeichnete das Outfit des neuen Außenministers als "souverän", das Kleid von dessen Freundin Natalia Wörner hingegen als "süß" – ein Wort, das die 50-jährige Schauspielerin und Mutter wahrscheinlich nicht mit sich assoziieren würde.

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Ist es relevant, was die Menschen tragen, die hauptberuflich wichtige Entscheidungen für die Gegenwart und Zukunft unseres Landes treffen sollten? Natürlich nicht.

Es ist selbstverständlich dennoch legitim, sich mit den modischen Entscheidungen deutscher Politiker und Politikerinnen zu beschäftigen. Schließlich können die einiges über das Wesen der jeweiligen Person aussagen. Wenn wir aber immer noch in einer Welt leben, in der es auf der einen Seite die seriösen und "souveränen" Minister mit politischen Visionen gibt, und auf der anderen Seite die Ministerinnen mit ihren Mode-Fauxpas und "freizügigen" knielangen Kleidern, dann ist genau das ein Problem.

Vor allem aber ist es keine alles überschattende Nachrichtenmeldung, für welches Sakko, welchen Anzug, welchen Rock sich unsere Staatsoberhäupter entscheiden. Es sei denn, ein rechtskonservativer Politiker trüge zur Hundekrawatte plötzlich einen Hakenkreuz-Jumpsuit.

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