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Drogen

Darum verpfeife ich Heroin-Dealer bei der Polizei

Seit fünf Jahren ist Nate als geheimer Informant tätig. Uns erzählt er, was ihn antreibt und wie er ihn brenzligen Situationen die Ruhe bewahrt.
Michael Goldberg
aufgeschrieben von Michael Goldberg

Seit fünf Jahren arbeitet Nate* aus Philadelphia als geheimer Informant. Er hilft der Polizei dabei, örtliche Heroin-Dealer zu überführen. In Zusammenarbeit mit seinem Kontaktmann, dem Drogenfahnder Bill, kauft Nate Drogen und versorgt die Beamten anschließend mit Informationen. Einige der Dealer würden ihm wohl sofort eine Kugel verpassen, wüssten sie , dass er sie verpfeift. Nate hat uns erzählt, warum er es trotzdem macht.

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Ich war 22 und mit einem Kumpel unterwegs. Die Polizei stoppte uns, weil wir zu schnell gefahren waren. Der Polizist fragte sofort, ob ich Marihuana dabei habe. Mein Kumpel hatte mich verpfiffen. Der Beamte verhielt sich wie ein Arschloch, aber sein Kollege namens Bill behandelte mich wie einen normalen Menschen. Er war cool. Die Menge Gras, die ich bei mir hatte, reichte nicht, um mich wegen Drogenhandels vor Gericht zu bringen. Für eine Anklage wegen Drogenbesitzes war es dennoch genug. Bill sagte: "Hey, wir können da was machen. Willst du als Informant arbeiten?" Darauf hatte ich jedoch keine Lust.

Also landete ich vor einem Richter, der mich zu einer Bewährungsstrafe verurteilte. Später rief Bill mich an und bat mich auf die Wache. Dort sagte er, dass ihm das Gras egal sei, Heroin und Opioide seien wichtiger. Einige meiner Bekannten dealten tatsächlich mit dem Zeug. Bill wusste, dass ich mit vielen der Leute, die er im Auge hatte, auf Facebook befreundet war. Er brauchte nur jemanden aus deren Kreis, um sie dingfest zu machen. Schließlich willigte ich ein. Meine Bedingung: Ich würde ausschließlich Heroin-Dealer ans Messer liefern.


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Ich habe einen richtigen Hass auf Heroin, weil es mir viele meiner Freunde weggenommen hat. Auch ich war eine Zeit lang nach Opiaten süchtig, die mir ein Arzt wegen meiner Rückenschmerzen verschrieben hatte. Ich machte einen kalten Entzug. Marihuana hat mir bei den Entzugserscheinungen geholfen. Heroin habe ich nie genommen. Heroin und Opioide sind das größte Problem in meiner Community. Das gilt auch für die gesamten USA: Dort sterben täglich über 150 Menschen, weil sie zu viele Schmerzmittel oder Heroin konsumiert haben. Ich wollte auch etwas dagegen unternehmen.

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Ich sagte zu Bill, dass ich keine Freunde verpfeifen und auch kein verstecktes Aufnahmegerät tragen würde. Beides fand er vollkommen OK. Ich war mir sicher: Niemand würde mich verdächtigen. Viele meiner Freunde, die heroinabhängig sind, erzählen mir alles. Entweder kommt das Thema einfach so auf oder ich frage nach, da ich von Natur aus neugierig bin. So finde ich heraus, wer was verkauft und wie tief drinsteckt.

Ich dachte wirklich, dass er mich gleich über den Haufen schießt.

Bei meinem ersten Undercover-Einkauf hatte ich trotzdem Nervenflattern. Weil der Dealer jedoch ein richtiges Stück Scheiße war, zog ich es durch. Man muss in solchen Momenten aufpassen, denn Dealer bemerken selbst die kleinsten Unregelmäßigkeiten sofort. Da ich schon öfters Drogen gekauft habe, war mir das klar. Mein erster Einkauf lief geschmeidiger als befürchtet. Zusammen mit dem Dealer rauchte ich auf der Veranda ein bisschen Gras, kaufte dann das Heroin und ging anschließend wieder. So läuft es eigentlich immer ab. Ich vertraue darauf, dass Bill auf mich aufpasst. Ich kaufe das Zeug, haue wieder ab und bin so lange unterwegs, bis mich jemand aufsammelt. Dann ist mein Teil des Jobs erledigt und es liegt an der Polizei, das Ganze zu Ende zu bringen.

Es kam auch schon zu brenzligen Situationen. Bei einem Dealer war schon alles vorbereitet, ich musste nur noch den Drogenkauf erledigen. Allerdings ließ mich der Typ 40 Minuten lang vor seinem Haus warten, weil er high in seinem Zimmer lag. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Reingehen wollte ich nicht. Dann öffnete seine Mutter die Tür und fragte: "Warum wartest du hier draußen? Komm doch rein!" Ich hätte dieser Aufforderung nicht nachkommen sollen. Drinnen polterte ein Onkel des Dealers mit einer Waffe in der Hand die Treppe runter. Er schrie: "Wer ist das? Wer ist das?" Er war total durch. Ich dachte, dass er mich gleich über den Haufen schießt. Ich schaffte es, ihn etwas zu beruhigen. Dann stolperte endlich der Dealer aus seinem Zimmer. Er gab mir das Heroin nicht mal in einer Tüte, sondern kippte es mir einfach in die Hand.

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In solchen Momenten schlägt einem das Herz bis zum Hals. Diese Aufregung darf man sich nie anmerken lassen. Ich versuche immer zu lachen, Witze zu machen und die Stimmung aufzulockern. Das kann aber auch nach hinten losgehen. Einmal ist ein Kumpel zu einem Dealer nach Hause gegangen, um Drogen zu kaufen. Dort hielten sie ihm eine Pistole an den Kopf und zwangen ihn, Crack zu rauchen. Nur so konnte er in ihren Augen beweisen, dass er kein Polizist war. So etwas könnte auch mir passieren. Zum Glück kann ich gut reden und schaffe es so, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Ich lasse mir nicht schon vorher Ausreden einfallen. Dadurch wird man zögerlich und das macht einen verdächtig. Ich reagiere einfach auf den Moment und die Stimmung.

Den Gedanken daran, dass ich als "Ratte" gelte, lasse ich nicht an mich rankommen.

Das Ganze ist ein Adrenalinrausch. Und ich liebe Adrenalinräusche, die Intensität der Gefühle: Nervosität, Aufregung, die Angst, dass zu jedem Zeitpunkt etwas schiefgehen kann. Es ist wie Bungee-Jumping. In Afrika habe ich das schon öfters gemacht, dort gibt es kaum Sicherheitsvorschriften. Für mich ist das ein kalkuliertes Risiko.

Den Gedanken daran, dass ich als "Ratte" gelte, lasse ich nicht an mich rankommen. Ich helfe ja meinem Umfeld. Meine Vorstrafen verschwinden zu lassen, interessiert mich nicht. Ich lade meine Probleme auf niemand anderem ab. Ich werde für meine Informationen außerdem nicht bezahlt. Im Grunde mache ich einen ähnlichen Job wie die freiwillige Feuerwehrmänner. Wegen meiner Vergangenheit kann ich nicht direkt bei der Polizei arbeiten. Überhaupt mag ich keine Waffen. Genauso wenig wie Polizisten. Bill ist die Ausnahme.

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Ich weiß, welches Risiko ich eingehe.

Mir ist nur eine Sache wichtig: Heroin muss aus meinem Umfeld verschwinden. Selbst damals, als ich von den Opioiden loskommen wollte, schrieben mir die Dealer immer wieder, wenn sie neue Ware reinbekommen hatten. Sie zwängten mir das Ganze richtig auf, weil sie wussten, dass ich bei einem Rückfall ein sehr guter Kunde wäre. Wenn sie Geld wittern, ist ihnen ganz egal, wie viele Leben sie dabei zerstören. Sie sind die Bösewichte, nicht ich.

Meine Freunde haben keine Ahnung von meiner Zusammenarbeit mit Bill. Aber wenn die Dealer eins und eins zusammenzählen würden, hätte ich schnell Ärger am Hals. Bis jetzt habe ich mir aber noch keine Fehler geleistet. Ich bin mir sicher, dass ich noch niemandem Grund zum Verdacht gegeben habe. Falls es mal soweit kommen sollte und mich jemand um die Ecke bringen will, dann wäre das eben so. Ich habe getan, was ich tun konnte. Ich weiß, welches Risiko ich mit meiner Tätigkeit eingehe. Ich akzeptiere die Folgen. Und ich habe keine Angst zu sterben.

*Alle Namen zum Schutz der jeweiligen Person geändert

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