10 Fragen an eine Hebamme, die du schon immer stellen wolltest
Fotos von Mina Monsef

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10 Fragen

10 Fragen an eine Hebamme, die du schon immer stellen wolltest

Wie viele Babys hast du schon vertauscht? Hast du die Schreie anderer Leute nicht langsam satt? Was ist das Ekligste an deinem Job?

Es klingt nach einem Klischee, hat aber einen wahren Kern: In den kalten Monaten haben wir mehr Sex. Dementsprechend viel hat Elena Reusser im Juni, Juli und August zu tun. Sie arbeitet mit acht anderen Hebammen in einer Praxis und half schon allen möglichen und unmöglichen Frauen zwischen 18 und 52 Jahren beim Gebären.

2016 wurden in der Schweiz fast 88.000 Kinder geboren. Das sind zehn pro Stunde, so viele wie seit 1993 nicht mehr. Mit ein Grund: "In einer unsicheren, schnelllebigen Welt bildet die Familie eine Art Insel", erklärt der Familiensoziologe François Höpflinger. "Traditionelle Werte erhalten neuen Aufwind."

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Elena selbst ist 29 Jahre alt und hat das Gebären nicht nur in der Theorie, sondern vor zweieinhalb Jahren auch in der Praxis gelernt. Während ich mit Elena über Schamhaare, unterschiedliche Schreiqualitäten und den ominösen Schleimpfropf rede, lässt ihre Tochter Hana slowenische Weihnachtslieder in Dauerschleife laufen.

VICE: Sind Hebammen gescheiterte Ärztinnen, die das Medizinstudium nicht geschafft haben?
Elena: Definitiv nicht. Medizin zu studieren wäre nicht mein Ding. Ich habe keine Lust, Medikamente zu verordnen und nur immer in den Scheisssituationen beigezogen zu werden. Die Schwangerschaft und die Geburt sind für mich in der Regel normal verlaufende Prozesse. Solange alles gut läuft, macht die Hebamme alles und ruft den Arzt erst in den letzten paar Minuten. Sobald das Kind da und alles in Ordnung ist, verschwindet der schon wieder. Mir persönlich geht es um die Beziehung. Ich will nicht reinkommen und schauen, ob genäht werden muss und dann wieder abhauen. Einen Kaiserschnitt würde ich aber schon mal gerne machen.

Welche Patientinnen findest du anstrengend?
Solche, die beinahe im Selbstmitleid versinken und während der Geburt den Kartoffelsack geben, während sie die Hebamme in eine andere Position verlagern will. Schliesslich müssen die selbst gebären – dass kann ihnen die Hebamme nicht abnehmen.

Für uns Hebammen ist es ausserdem echt nervig, wenn nach der Geburt Blut oder gar Stuhl in den Schamhaaren kleben bleibt: Ich bin froh, wenn sich die Frau vor der Geburt rasiert. Auch fürs Nähen nach Geburtsverletzungen ist es für den Arzt praktisch, wenn nicht drei Zentimeter lange Haare die Sicht versperren. Aber nach zehn Minuten habe ich jeweils sowieso wieder vergessen, wie die Frau da unten aussieht. Das beruhigt meine schwangeren Freundinnen jeweils, wenn sie Bedenken haben, ob sie wirklich mich als Hebamme haben möchten.

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Hast du die Schreie anderer Leute nicht langsam satt?
Für meine eigene Tochter habe ich mein Pensum reduziert und hatte dadurch gerade eine längere Pause vom Gebärsaal hinter mir und Frauen nur vor und nach der Geburt begleitet. Kürzlich hat mich eine Kollegin im Gebärsaal als Unterstützung gebraucht. Für mich war es unglaublich toll, sowas wieder einmal zu erleben und es zeigte mir, dass ich beruflich am richtigen Ort bin. Dabei zu sein, wenn es laut ist, und die Frau in diesem speziellen Moment zu begleiten fühlt sich wahnsinnig gut an. Es gibt aber natürlich auch Schreie, die du kaum erträgst. Dann musst du halt mal kurz aus dem Gebärsaal raus. Und wenn jemand nur für die Aufmerksamkeit schreit, ist das schon nervig.

Wie viele Babys hast du schon vertauscht?
Es gibt noch keine Kuckuckskinder wegen mir. Bei uns werden die Kinder gleich nach der Geburt angeschrieben. Natürlich können die Armbändchen mit den Namen theoretisch abfallen, aber dann müsste das ja bei zwei Babys gleichzeitig passieren und die Mütter müssten dazu noch sehr benebelt sein, sonst würden sie es mitbekommen.

Bemitleidest du die Männer, die tatenlos dabei zusehen müssen, während ihre Partnerinnen die schlimmsten Schmerzen ihres Lebens ertragen?
In den Geburtsvorbereitungskursen bin ich froh, dass die Männer dabei sind: Sie stellen viel die ehrlicheren Fragen, weil sie weniger Hemmungen haben und sich nicht fürchten, dumm dazustehen. Während der Geburt sind die Männer dann schon teilweise frustriert, dass sie ausser da zu sein, auszuhalten und zu akzeptieren nicht viel machen können. Zur Unterhaltung scherze ich gerne mit ihnen. Bauern sind zum Beispiel sehr witzig während der Geburt. Die sagen so Dinge wie: “Das ist ja wie bei der Kuh!” Man darf dann einfach nicht den Moment verpassen, wenn Schluss mit Lustig ist.

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Wenn eine Frau kotzt, überfordert das die Männer noch eine Stufe mehr. Mich hat auch schon ein Mann angeschrien, ich soll gefälligst seiner Partnerin helfen. Wenn du aber die Frau selbst fragst, geht es ihr meistens gut. Ganz wichtig ist, als Mann nicht das Gefühl zu haben, dass man sich bis zum Umfallen durchbeissen muss. Wenn er zum Beispiel Hunger hat, sollte er sich was zu Essen holen. Bei meiner ersten Geburt musste ich einen Mann auffangen, weil er umgekippt ist.

Musst du dich manchmal beherrschen, um beim Anblick eines besonders hässlichen Babys nicht laut loszulachen?
Es stimmt, Babys sehen nach der Geburt sehr zerdrückt aus. Und als frisch gebackene Mama bist du sehr erschöpft und hast vielleicht gar nicht richtig Lust, dich um dein Kind zu kümmern. Um die Frauen nicht zu überfordern, habe ich angefangen, das Baby nicht sofort auf ihre Brust zu legen, obwohl bei uns in der Theorie das Kind klar zur Mutter gehört. Ich lasse es stattdessen eine kurze Minute zwischen ihren Beinen liegen, damit die Frau mal durchschnaufen und sich dann im eigenen Tempo ihrem Baby widmen kann. Solange es noch blutig ist, wollen Frauen das Kind je nach Kulturkreis auch gar nicht bei sich haben.

Was ist für dich wertvoller: Das Leben des Babys oder das seiner Mutter?
Diese ethische Frage muss zum Glück nicht ich beantworten, sondern die Ärzte. Wenn es dem Kind nicht gut geht und keine anderen Massnahmen greifen, muss man einen Kaiserschnitt machen – dieser birgt ein gewisses Risiko für die Frau. Wenn es der Mutter schlecht geht und ihr Kind noch zu klein ist, um zu überleben, ist man noch viel früher mit dieser Frage konfrontiert. Ich selber habe glücklicherweise noch nie ein Baby verloren. Es gibt da andere Kolleginnen, die deutlich mehr Pech haben. Schlussendlich gibst du einfach alles und machst immer das, was du in der jeweiligen Situation für richtig hältst.

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Hast du bei der Geburtszeit schon einmal beschissen?
Es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass Leute darum gebeten haben, bei der Angabe der Geburtszeit ein wenig zu schummeln, wenn das Kind einige Minuten vor Mitternacht zur Welt gebracht wird. Aber das machen wir sicherlich nicht.

Gibt es Momente, in denen du an der Intelligenz der Menschen zweifelst?
Eine Frage, die bei der Gebärsaalbesichtigung jedes Mal kommt, ist: Was mache ich, wenn beim Gebären in der Badewanne das Wasser kalt wird? Da muss ich mich jeweils recht zusammenreissen, um nicht loszulachen. Du machst es halt wie zuhause auch: Hahn auf, heisses Wasser rein.

Und dann gibt es noch den ominösen Schleimpfropf, der viele Leute unnötig oft beschäftigt. Damit keine Keime in die Gebärmutter gelangen, verdichtet Schleim den Gebärmutterhals. Der kann sich vor der Geburt lösen und sieht aus wie ein riesiger Popel. Viele meinen, die Geburt würde losgehen, wenn sie den Schleimpfropf zu sehen bekommen. Er hat aber rein gar nichts auszusagen.

Was ist das Ekligste an deinem Job?
Ich halte vieles aus, aber wenn die Badewanne mit Durchfall verkackt wird, finde ich das schon recht eklig. Die Frau hinauszuhieven, während sie selber nur wenig Lust hat, in dem peinlichen Moment irgendetwas zu tun, sie abzuduschen, die Badewanne zu reinigen und dazu der ganze Gestank – es gibt deutlich schönere Momente in meiner Arbeit.

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