"Ich habe niemals ein Kind angefasst" – Trainer wehren sich gegen Missbrauchsvorwürfe
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Prozessbericht

"Ich habe niemals ein Kind angefasst" – Trainer wehren sich gegen Missbrauchsvorwürfe

Vor Gericht sagen die Berliner Jugendtrainer, die Vorwürfe seien eine "Racheaktion" der Eltern – weil ihre Kinder nicht gut genug für die Mannschaft waren.

Was die Anklage im Gericht beschreibt, klingt wie ein Albtraum: Zwei Männer, die elf- und zwölfjährige Jungen stundenlang quälen, erniedrigen und zu sexuellen Handlungen zwingen. Kinder, die sich nicht trauen, zu den immer schlimmeren Forderungen der Erwachsenen Nein zu sagen, weil sie Angst haben. Weil die beiden ihre Trainer sind, die über ihr Schicksal in der Fußballmannschaft entscheiden können, die ihnen so viel bedeutet.

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"Befohlen, an den Fußzehen zu lecken"

Genau das soll vor zwei Jahren passiert sein. Die D-Jugend-Mannschaft des Berliner Fußballclubs BFC Dynamo war zu einem Turnier nach Rostock gereist. Die Trainer, Dardan K. und Simon G., damals 24 und 23 Jahre alt, sollen fünf Jungen auf ihr Hotelzimmer geholt haben, um mit ihnen "Wahrheit, Pflicht, Konsum" zu spielen. Hier sollen die beiden Männer – meistens aber K. – den Kindern entwürdigende Aufgaben gestellt haben: Die Kinder mussten Wasser aus der Klospülung trinken, an den getragenen Unterhosen ihrer Trainer riechen und an deren Badelatschen lecken. Zwei Jungs hätten an einem rostigen Heizungsrohr lecken müssen, "bis ihre Zungen schwarz waren".

Andere Aufgaben hätten klar sexuelle Hintergründe gehabt: K. soll verschiedene Kinder aufgefordert haben, an den Fußzehen, den Achselhöhlen und am Rücken des Co-Trainers G. zu lecken. Außerdem sei ein Junge gezwungen worden, Sit-ups zu machen, während ein anderer "mit heruntergelassener Hose und Unterhose" über seinem Gesicht hockte. Irgendwann habe K. das Gesicht eines Jungen mehrere Sekunden in das entblößte Gesäß eines anderen gedrückt. Schließlich habe K. ein Kind aufgefordert, den Penis eines anderen Jungen in den Mund zu nehmen. "Es kam ihnen darauf an, sich und die anwesenden Zeugen in einen Zustand der sexuellen Erregung zu versetzen", heißt es in der Anklage, die die Staatsanwältin beim ersten Prozesstag am Mittwoch in Berlin verlas.

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Die Angeklagten hätten "ihre Machtposition als Trainer junger Spieler, die sich Hoffnung auf eine Karriere als Fußballer machten", ausgenutzt. Nach den Geschehnissen hätten sie den Kindern mit Ausschluss aus der Mannschaft gedroht, sollten sie davon erzählen. Dardan K. und Simon G. hätten über Jahre "ein Klima der Einschüchterung" geschaffen, den Kindern regelmäßig Nackenschläge erteilt, sie beleidigt und bedroht. K. wird in noch zwei weiteren Fällen angeklagt, ein Kind erniedrigt zu haben – einen Spieler soll er "Scheiß-Serbe" bezeichnet und gezwungen haben, "wie ein Hund" unter dem Tisch zu sitzen.

Im Mai 2016 erhoben mehrere Eltern schließlich Anklage gegen die Trainer. Als der Verein von diesen Vorwürfen erfuhr, entließ er die beiden Trainer, erteilte ihnen Platzverbot und nominierte einen Kinderschutzbeauftragten. Sowohl K. als auch G. verloren außerdem ihre richtigen Jobs – K. hatte in einer Bar, G. als Werksstudent gearbeitet. Seitdem sorgen die "perversen Spiele" (Berliner Kurier) der beiden in Berlin für Schlagzeilen.

"Die wollen sich rächen, weil ich ihre Kinder aussortiert habe"

Für Überraschung sorgten im Prozess dann die Beschuldigten selbst. Die Anklage hatten sich beide stumm angehört und dabei auf den Tisch gestarrt. Aber als sie an der Reihe sind, passiert das Unerwartete: Statt zu schweigen oder eine vorsichtig formulierte Erklärung von seinem Anwalt vorlesen zu lassen, steht zuerst Dardan K. auf und erklärt laut: "Was hier gerade passiert, ist völliger Schwachsinn." Er könne gar nicht glauben, was ihm in den letzten anderthalb Jahren alles angetan wurde.

Sechs Jahre habe er mehr oder weniger ehrenamtlich als Jugendtrainer gearbeitet, davon die letzten vier für den BFC Dynamo. Die Jungs, um die es gehe, trainiere er teilweise schon seit der F-Jugend (7 - 8 Jahre), sein Ziel sei immer gewesen, sie bis zur A-Jugend (17 - 19 Jahre) zu begleiten. "Ich war ein strenger Trainer, keine Frage", sagt K. "Aber wir hatten großen Erfolg. Eltern kamen immer wieder zu mir und wollten, dass ihre Kinder in meine Mannschaft wechseln." Aber Eltern könnten auch schwierig werden – vor allem, wenn ihre Kinder nicht gut genug waren, um in der Mannschaft zu bleiben. Genau solche Eltern steckten auch hinter dieser Anklage. "Die wollen sich rächen, weil ich ihre Kinder aussortiert habe", sagt K. "Ich habe niemals ein Kind angefasst, um Gottes willen!"

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Die Vorfälle in Rostock schildert der Ex-Trainer völlig anders: Alle Kinder seien mit einem Elternteil angereist, mit dem sie auch das Hotelzimmer teilten. Die Eltern wollten sich nach der Ankunft gegen 16 Uhr ausruhen, fünf der Kinder aber nicht – also hätte man sich geeinigt, dass die Kinder die Zeit bis zum Abendessen im Zimmer der Trainer verbringen können. Die Eltern hätten ihren Kindern noch "viel Spaß" gewünscht, sagt K.

Nach einer Weile hätten die Kinder angefangen, aus Langeweile das Spiel zu spielen. G. und er hätten daran gar nicht teilgenommen, er sei wegen eines Beziehungsstreits auch oft in den Nachbarraum gegangen, um zu telefonieren oder zu chatten. "Keiner von uns beiden hat den Kindern Aufgaben gestellt, das waren die Jungs untereinander." Trotzdem habe er die Aufgaben mitbekommen, die die Kinder sich unter großem Gekicher gegenseitig stellten: Einer musste laut "Penis" und seinen Namen in den leeren Hof brüllen, ein anderer ein paar saubere Badelatschen kurz mit der Zunge berühren, zwei andere die Heizung – die sei aber nicht rostig, sondern normal gewesen, "das war ein gutes Hotel, das Zimmer war frisch geputzt". Dann hätten die Jungs eine saubere Unterhose aus seiner Tasche gekramt, auch die hätte sich einer vors Gesicht halten müssen. Ein paarmal habe K. den Kinder gedroht, das Spiel abzubrechen, die hätten ihn aber angefleht, es ihnen nicht zu verderben. "Mein Fehler war, dass ich das Spiel geduldet habe, bis eine gewisse Grenze erreicht war – vielleicht aber zu lang."

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Irgendwann sei es aber doch zu weit gegangen: Ein Junge, gegen den sich die anderen verbündet hatten, musste einen Flaschendeckel mit Wasser aus der Klospülung trinken. Dann habe K. mitbekommen, wie ein Junge vom anderen verlangte, "irgendwas mit dem Penis" eines anderen zu machen. Da habe er das Spiel sofort abgebrochen. "Ich habe denen gesagt: 'Solange ihr mit uns zu tun habt, passiert das nie wieder, das will ich nie mehr sehen, sowas will ich nie mehr hören!'" Keines der Kinder, bekräftigt K., habe sich zu irgendeinem Zeitpunkt ausgezogen. Sit-ups unter nackten Ärschen, Penisspiele, Achsel- oder Rückenlecken – das alles hätte es überhaupt nicht gegeben.

Danach, so K., habe sich die Stimmung wieder beruhigt. "Die Kinder haben danach noch im Zimmer gechillt, bis es Zeit zum Abendessen war." Am nächsten Tag habe die Mannschaft den ersten Platz bei dem Turnier gewonnen, und er nie wieder von dem Wochenende gehört – bis zu den Vorwürfen im Mai 2016.

Der angeklagte Co-Trainer, Simon G., wirkt nervöser als K., bestätigt aber dessen Version des Nachmittags in Rostock. "K. hat am Handy gechillt, war mit seiner Freundin beschäftigt, ich habe am Handy gechillt", sagt er. "Keiner von uns hat Aufgaben gestellt." Die Kinder hätten sich währenddessen immer weiter in das Spiel hineingesteigert. "Keiner von den Jungs hat uns berührt."

"Alles kaputt gemacht"

Beide Beschuldigte berichten, dass die Vorwürfe ihr Leben belastet hätten. "Das ist die größte Hetze, die ich je erlebt habe", sagt G. "Auf Facebook markieren Leute unsere Namen unter Artikeln darüber." K. stimmt ihm zu: "Diese Anklage hat uns alles kaputt gemacht. Jeder kennt uns, und seit der Geschichte können wir uns auf keinem Berliner Sportplatz mehr blicken lassen."

Alles habe angefangen, sagt G., als K. einen Spieler (der im Jahr davor auch im Hotelzimmer gewesen war) im Februar 2016 nach wenigen Minuten wieder vom Platz genommen habe. Der Vater des Jungen sei daraufhin ausgerastet, habe K. beleidigt und bedroht und sei schließlich sogar in die Umkleidekabine gestürmt, habe Dinge um sich geworfen und sei kurz davor gewesen, K. zu schlagen. Weil der Vater verweigert habe, sich zu entschuldigen, sei der Junge schließlich aus dem Verein ausgeschlossen worden. Danach seien die Vorwürfe aufgetaucht.

Gegen Nachmittag wird der Prozess unterbrochen, damit der Richter und die Anwälte sich beraten können. Nach der Pause verkündet der Richter, dass eine Einstellung des Verfahrens im Raum stand, die Staatsanwältin dem aber nicht zustimmen will. Jetzt muss der Prozess also verlängert werden, in zwei Wochen geht es weiter. Das Gericht will zusätzliche Zeugen anhören: den Vater eines der Kinder und den Jugendleiter des BFC. Letzterer soll den beiden Trainern schon vor Monaten angeboten haben, wieder im Verein anzufangen, sobald die Sache beendet sei.

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