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Reisen

Das Land der Ausdauer

Die Nabatäer aus Petra hassen Touristen.

Frage: Was ist das Gegenteil von Coolness? Antwort: Ich mit meinem schlabberigen, weißen Sonnenhut. Er kostete fünf Dinar! Fünf Dinar erschienen mir mehr als fair um mich vor der Sonne im Mittleren Osten zu schützen. Und nur eine riesige Gürteltasche schlägt den schlabberigen, weißen Sonnenhut als universelles Symbol des Tourismus. Mein Hut sagte Ich komme in Frieden. Ich werde nicht feilschen. Können sie ein Foto von mir und meiner Frau machen? Meiner Männlichkeit beraubt und dick eingeschmiert mit Sonnencreme Schutzfaktor 90, machte ich mich auf die Reise nach Petra. Petra ist eine Steinstadt in der Wüste Jordaniens, drei Stunden südlich von Amman. Und wenn ich Steinstadt sage, dann meine ich das wörtlich. Es ist tatsächlich eine Stadt, die aus dem Fels gehauen wurde. Allerdings ist es keine wirkliche „Stadt“. Es ist nur eine Stadt im archäologischen und historischen Sinne der UNESCO. Es ist keine Stadt, in der man ein Hotel mieten oder ein Konferenzzentrum besuchen kann. Obwohl Petra aussieht, als sei sie Hunderte von Millionen Jahren alt, ist sie tatsächlich relativ jung. Die große Eröffnungszeremonie war erst vor etwa 2.600 Jahren. Die Erbauer der Stadt waren mysteriöse Leute mit dem Namen Nabatäer. Ich weiß was ihr jetzt denkt: „Aber Sam, ich dachte diese Region wurde von den Edomitern kontrolliert?“ Das wurde sie auch, bis zum Machtvakuum durch die babylonische Gefangenschaft im frühen sechsten Jahrhundert v. Chr. Dann verließen die Edomiter ihre kargen Verstecke für die fruchtbaren Böden von Juda. Die Nabatäer übernahmen das Gebiet, das heute das südliche Jordanien und die Wüste Negev umfasst.

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Für andere antike Völker hätte sich der Fall damit erledigt. Aber die Nabatäer nutzten das abgeschiedene System von Schluchten und Kehlen um Wasser zu sammeln und umzuleiten, woraufhin der Städtebau erblühte. Auf ihrem Höhepunkt lebten 20.000 Menschen in dieser Metropole aus Stein, der Hauptstadt eines Handelsimperiums, das sich von Gaza bis zum persischen Golf erstreckte. Nachdem die Römer die Zivilisation übernommen und zerstört hatten, verschwanden die Nabatäer vom Erdboden. Petra blieb tausend Jahre lang ein Geheimnis der Beduinen, bis 1812 ein Schweizer Entdecker auf sie stieß. Heutzutage ist der Weg einfach. Um Petra zu erreichen musst du nur nach Amman fliegen, einem Taxifahrer 80 US$ für die Fahrt nach Wadi Musa zahlen und runter zum Ticketschalter gehen. Ja, es gibt einen Ticketschalter. Die Nabatäer haben über Jahrhunderte an Petra gebaut. Sie hatten genug Zeit, an einen Ticketschalter zu denken. Als ich da war, kostete ein Zweitagespass 55$. Das ist weniger als die Hälfte des Eintrittspreises von Legoland. Also nörgelt nicht rum. Hinter dem Ticketstand liefen meine Frau und ich einen langen Abhang hinunter. Unter der extremen Hitze der Sonne liefen wir an einer Reihe von Händlern vorbei, die uns einen Ritt auf ziemlich ausgetrockneten Pferden anboten (in der Nähe warb ein großes Schild für die Webadresse einer internationalen Tierschutzorganisation, die die Nutztiere in Petra beschützt).

Wir erreichten den Siq. Das bedeutet „Schacht“ und ist der echte Eingang nach Petra. Hier tauchte der Pfad ab, die Steinwände kamen immer näher und der sich über uns zusammenschließende Fels war so glatt wie Beton. An einigen Stellen war der Durchgang nur noch fünf Meter breit, obwohl die Felswände über 200 Meter hoch emporstiegen—doppelt so hoch wie die Freiheitsstatue. Schilfige, kleine Feigenbäume sprossen aus Ritzen und von Klippen. Wir passierten kaum wahrnehmbare Skulpturen—Körper, Kamelhufe—mittlerweile zu Klumpen abgeschliffen. Hüfthohe Rillen auf beiden Seiten lieferten damals Bewässerungswasser und Schutz vor Springfluten, die eine wirkliche Gefahr darstellten. Selbst an diesem staubtrockenen Sommernachmittag. Und dann kam der Schmerz. Am Tag zuvor sind wir am roten Meer vorbeigekommen und jetzt fühlte ich ein unangenehmes, kleines Stechen in meinem Ohr. Nach zehn Minuten wurde aus dem kleinen Stechen die Qual tausender Ninjasterne. Wir waren auf einer der niedrigsten Erhebung der Erde und nach meiner Selbstdiagnose entschied ich einfach, diesen speziellen Ort des Planeten für den Rest meines Lebens zu meiden. Obwohl Petra etwa einen Kilometer höher ist, reichte der Abstieg aus, um den Schmerz wieder aufflammen zu lassen. Es fühlte sich an, als ob ein vorbeigehender Tourist einen Stock in meinen Kopf gerammt hätte.

Mit Ohrenschmerzen wie Dolchstiche ging ich um eine Ecke und erblickt Khazne al-Firaun. Besser bekannt als „Das Schatzhaus“ wurde diese außerweltliche Palastfassade direkt aus dem Sandstein gehauen, von oben bis unten. Seine Konstruktion spiegelt die Mischung von griechisch-römischen, ägyptischen und byzantinischen Einflüssen in Petra wieder. Baustufen waren noch auf beiden Seiten der 45 Meter hohen Fassade zu sehen, wie Druckermarkierungen, die jemand vergessen hatte rauszuschneiden. Auf der anderen Seite des sandigen Feldes bewirtet ein Souvenirshop die ehrfürchtigen Touristen. Dahinter lag ein Müllcontainer-großes Stück einer Säule neben einem Müllcontainer, vielleicht als Scherz. Das war eine seltene Attraktion. Ein weltberühmtes Monument, das tatsächlich größer und majestätischer aussah, wenn man es mit eigenen Augen sieht. Es war als ob die Nabatäer sagten: „Ach wisst ihr was, ihr ganzen nachfolgenden Menschen, die auf der Erde wandeln werden? Scheiß drauf! Der Grand Canyon? Damit wischen wir uns die Nase ab. Mondlandung? Zum Gähnen langweilig. Wir haben diese Felswände nur mit einem Stück Schnur und einer Spitzhacke bearbeitet. Die wir, nur zu eurer Information, ebenfalls aus einem Stein gebaut haben. Und als es Zeit zum Essen war? Da hat ein Typ an einem Vogelschwanz gezogen und alle riefen ‚Yabba Dabba Doo!’ Ja—das hier ist der echte Scheiß.“ Ich stand da und schaute den Spatzen zu, wie sie durch die Spalten in der Fassade rein und raus flogen, 10 oder 15 Meter über mir. Für eine tote Stadt beherbergte Petra eine Menge Leben. Überall waren Tiere. Wilde Katzen nutzten jeden Besucher als Leckerli-Automaten. Deprimierte Esel trotteten durch die Schlucht, die Augen abgewandt. Alle paar Minuten rannten mehrere verdammt hartgesottene Pferde mit starrem Blick und großem Gehänge vorbei und zogen Touristen in Karren, in denen verblichene Stofffetzen Schatten spendeten. Etwas näher dran parkte eine Flotte von Kamelen auf dem weiten Feld vor Khazne al-Firaun und kaute mit langsamer, prächtiger Gleichgültigkeit. Junge Männer boten auf den Höckern ihrer Tiere einen Ritt für 25 Dinar an. Die arabische Methode des Handels erforderte etwas Diplomatie. Im Sommer 2011 saß Jordanien zwischen den Stühlen des arabischen Frühlings, zwischen dem Triumph in Ägypten und dem Horror in Syrien. Aber während die politischen Sehnsüchte verborgen blieben, wurden die täglichen ökonomischen Erniedrigungen offenbar. Der Händler, der mir den Hut verkauft hatte, sagte dass wir „Brüder im Geiste“ seien. Sein Lachen kam zu schnell, sein Lächeln war zu gezwungen. Für die Zeit, die ich für den Einkauf dieses Zubehörs brauchte, war ich der imperialistische Andere für ihn—der Herr mit der ewigen Hand an seiner Kehle. Diese unterdrückte Aggression kam alle 15 Meter wieder auf, mit jedem Tierführer oder Postkartenverkäufer, der ein Nein nicht als Antwort akzeptierte. Ich hörte das Wort „Freund“ ohne eine Spur von Freundlichkeit, sondern als ironisches Mantra der Frustration, das den Schein wahren sollte. Es war der Slogan von erwachsenen Bürgern, die von der Wirtschaft gezwungen wurden, in der heißen Sonne zu sitzen und auf Menschen aus dem Westen zu warten, denen sie dann eine Postkarte oder eine Sprite verkaufen können. Als wir vom Schatzhaus aufbrachen, belagerte uns schon eine neue Welle von Kamel- und Pferdebesitzern. „Mein Freund, mein Freund“, riefen sie uns zu und versuchten uns ein schlechtes Gewissen für unsere unhöfliche Ablehnung zu machen. „Ich frage mich, wann sie endlich aufgeben“, sagte meine Frau. „Am Ende des Tages belästigen sie sich gegenseitig mit ihren Angeboten und das endet dann damit, dass Esel auf Kamelen reiten“, sagte ich. „Es ist wirklich ziemlich beschissen.“ Meine Frau hörte mir nicht zu. Sie schien mehr Interesse an meinen schmerzhaften Zuckungen zu haben. „Du weißt, dass Jim Henson an einer verschleppten Lungenentzündung gestorben ist.“ Ich verzog das Gesicht und der Schmerz strahlte in meinen Kiefer aus. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich hier einen Herzanfall hätte. Es wäre mit Sicherheit ein wunderbarer Ort zum Sterben.

Der Pfad führte uns immer weiter hinunter, hinter den äußeren Siq und dem kolossalen römischen Amphitheater. Meine Augen tränten vom Schmerz. Das Geschrei der Esel wurde von den Felswänden zurückgeworfen und klang wie die trauervollen Schreie der Sandleute aus Star Wars. Die Straße öffnete sich, neigte sich nach links und öffnete den Blick auf die Säulenstraße. Wir liefen etwa einen Häuserblock weit und bogen dann ab, um die Gräber zu sehen. Es waren Kolosse, ein ganzes Wohnviertel in den Fels gehauen. Trotz des Schmerzes hatte ich Mühe damit, das alles nicht für einen Traum zu halten. Auch hier schienen die Nabatäer zu sprechen: Das Schatzhaus? Das ist nett, na klar, für Kleinkinder. Aber ehrlich gesagt habt ihr noch gar nichts gesehen. Wartet, bis ihr das Felsgrab Ed-Deir erblickt. Ihr müsst eine eineinhalb Kilometer lange Treppe raufsteigen auf einem verdammten Esel. Eure Augen werden denken, sie hätten grade eine Line puren Regenbogens gezogen. Es ist wirklich unglaublich. Ich fühlte mich schwach. „Ich kann nicht mehr“, flüsterte ich. „Mein Ohr.“ Dein Ohr? Na und? Zeig mal ein bisschen Durchhaltevermögen. Wir hatten das auch. Glaubst du, das alles war leicht zu bauen? Wann wirst du jemals wieder an einem Ort wie diesem sein? Sieh dich um. Siehst du irgendwelche KFCs oder Walmarts hier? Das hier ist das Wahre, Chef. Also reiß dich verdammt nochmal zusammen. Ich sah mich noch einmal um. Der Weg fiel ab in die Ferne. Mein Schmerz überschritt die Schwelle des Aushaltbaren. Ich hatte eine lange Reise zurück bis zum Ticketschalter und nach Wadi Musa und Stunden über Stunden in einem jordanischen Krankenhaus vor mir. Es gab keine Schmerztabletten oder Antibiotika in der Welt der Nabatäer. Ich wappnete mich für die Antwort der Geister, aber die Gebäude schwiegen. Sie kannten solche Typen wie mich. Keine Ausdauer.