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Popkultur

Glööckler-Land

Harald Glööckler ist wohl die öffentlichste und sowohl akustisch auch als visuell lauteste Person, die die deutsche Modelandschaft zu bieten hat.

Man sollte ja nicht mit der ewig gleichen Leier anfangen, dass die Mode, die uns in Anzeigen und Modestrecken präsentiert wird, ein vollkommen unrealistisches Weltbild vermittelt, das aus extrem dünnen Models besteht, die nymphenhaft in den Kreationen extrem cooler Designer über die Catwalks dieser Welt schweben. Aber jetzt mal im Ernst. Ist das wirklich die Realität? Eher nicht, mittlerweile leiden mehr als 50 Prozent der Deutschen an Übergewicht und niemand von denen ist auch nur annähernd nymphenhaft. Irgendwas anziehen müssen diese Leute trotzdem, nur leider scheint sich darum niemand wirklich kümmern zu wollen. Designer für Frauen ohne Anorexie bleiben namenlose Entitäten auf Kleiderständern im hinteren Teil des Ladens oder verschwinden in Läden für große Größen, über die wir uns heute lustig machen, in denen in ein paar Jahren aber mindestens 51 Prozent von uns Stammkunden sein werden. Es gibt allerdings zumindest einen Designer, der nicht in der Obskurität Schutz sucht, genau genommen tut er das exakte Gegenteil davon. Harald Glööckler ist wohl die öffentlichste und sowohl akustisch auch als visuell lauteste Person, die die deutsche Modelandschaft zu bieten hat, was sich für ihn auch bezahlt macht. Mit seinen Lizenzprodukten und Kollektionen, die er weltweit auf TV-Sendern im Homeshopping verkauft, ist er mit seinem Label Pompöös der wirtschaftlich erfolgreichste deutsche Designer. Ich wollte wissen, was sich hinter dieser Kunstfigur verbirgt, oder ob Harald Glöckler tatsächlich Harald Glööckler ist. Nach Auftritten in ungezählten TV-Formaten, Realityshows und Beiträgen in allen möglichen Medien weiß die ganze Welt fast alles über ihn. Von der schrecklichen Kindheit in der baden-würtembergischen Provinz mit dem schlagenden Alkoholikervater, der die Mutter eine Treppe hinunterstürzte, woraufhin sie wenige Tage später starb, bis zu seiner Meinung über Maite Kelly. Aktuell gibt es wohl niemanden mehr, der mehr Kunstfigur ist als er. Und das meint nicht nur seine öffentlichen Auftritte, sondern auch seinen Körper. Harald Glööckler ist eine strassbesetzte Mischung aus Thierry Mugler und Lolo Ferrari, äußerst muskulös, aufgespritzte Lippen, starkes Make-up und eine eingeschränkte Mimik, die großzügiger Botoxnutzung geschuldet ist. Trotzdem scheint er für seine Fans unglaublich greifbar zu sein. Er personifiziert das Idealbild des klassischen Modeschöpfers, genauso wie ihn sich unsere Mütter auf ihrer Couch vorstellen. Es dauert lange, bis man einen Termin mit Harald Glööckler bekommt. Erst einmal warte ich auf eine Antwort seiner PR-Agentin. Sehr lange. Dann sagt sie mir irgendwann ab. Ein paar Wochen später frage ich noch mal nach. Sie verspricht mir, sich für uns einzusetzen. Ich warte also wieder. Zwei Wochen vor der Berliner Fashion Week rufe ich sie wieder an und mittlerweile gibt es eine neue Agentur. Ich erzähle dem neuen Agenten, dass wir gerne eine Homestory machen würden. Herr Glööckler ist nämlich mittlerweile umgezogen und wohnt jetzt in einem gigantischen Penthouse in der Nähe des Brandenburger Tors. Während ich auf einen Termin warte, ist die Glööckler-Homestory zu einem eigenen journalistischen Genre geworden. Alle Boulevardzeitungen sind voll davon. Privatsender zeigen 90-minütige Dokusoaps über den Umzug. Nirgends wird mit Wortspielen zu dem doppelten Ö in seinem Nachnamen gespart. Plötzlich geht alles ein bisschen schneller. Nach ein paar Tagen habe ich eine Zusage. Am Donnerstag der Fashion Week ist der Termin. Ich soll um 11:30 Uhr vor Ort sein und das Interview soll zwei Stunden dauern. Ich betrete das Gebäude zusammen mit dem PR-Agenten und wir fahren in den vierten Stock. Wir befinden uns in einer Art Vorzimmer zum Vorzimmer. Ein Empfangsbereich, aus dem uns Herr Glööcklers Assistent demnächst abholen soll. Ich warte, diesmal zusammen mit dem PR-Agenten. Er erzählt davon, wie schwierig es ist, Herrn Glööcklers Team im letzten Moment noch auf die Fashion Week zu bringen. Berichte darüber haben mittlerweile übrigens kurzfristig die Homestorys über ihn ersetzt. Harald Glööckler besucht nämlich nicht nur zum ersten Mal die Fashion Week, sondern er hat auch im Felix, dem Club des Adlon, seine neue Kollektion für einen Online-Versand präsentiert. Ich habe die Berichte darüber in den letzten Tagen natürlich verfolgt. Harald Glööckler war ganz in weiß, trug eine Menge Strass im Gesicht und wurde von seinem Assistenten, der Frack trug, offensichtlich überallhin begleitet. Irgendwann kommt tatsächlich sein Assistent, Herr Mulsow, der heute keinen Frack trägt, sondern überraschend normal wirkt. Er führt uns vorbei an ein paar Büros, die alle bereits zum Glööckler-Imperium gehören und in denen seine Designer arbeiten. Nach einer weiteren Fahrt mit einem Aufzug, diesmal in den sechsten Stock, betreten wir das Penthouse. Schon von Weitem sehen wir seine selbst gemalten Bilder im Empfangsbereich. Wir betreten den Raum. Rechts steht ein in Marmor und Gold gehaltenes Buffet, auf dem Getränke und Schnittchen angerichtet sind. Wir setzen uns hin und der Assistent bietet uns Tee und Kaffee an, alles wird in einem von Glööckler designten Porzellan-Service serviert, das mit Kronen verziert und in Gold und Blau gehalten ist. OBEN und UNTEN: Harald Glööckler als Sonnenkönig oder als Märchenprinz. Herr Glööckler besitzt praktisch ausschließlich Bilder, die er selbst gemalt hat oder auf denen er zu sehen ist. Wir warten wieder und ständig laufen neue Leute aufgeregt an uns vorbei, eine davon ist Herrn Glööcklers Maskenbildnerin, die immer irgendwo im Hintergrund stehen und ihn auf Abruf nachpudern und schminken wird. Sie trägt einen seiner Hosenanzüge und benutzt ausschließlich seine Kosmetikprodukte. Sie ist eigentlich aus Düsseldorf und wurde extra für die Fashion Week eingeflogen. Plötzlich betritt ein dreiköpfiges Filmteam den Raum. Es ist ein Team von Vox, das Herrn Glööckler für eine neue Realityshow begleitet, die irgendwann im Frühling ausgestrahlt wird, und das uns auch bei unserem Interview begleiten wird. Wir warten jetzt wieder und hören irgendwann, dass er jetzt in der Maske ist und dass es jetzt nicht mehr allzu lange dauern kann. Irgendwann ist es dann soweit und Herr Glööckler schreitet die Treppen herab. Er trägt ein eng anliegendes, strassbesetztes Oberteil mit V-Ausschnitt, das den Blick auf einen Teil seines Einhorn-Tattoos freigibt, eine schwarze Hose mit einem großen Drachenschnallengürtel und mehrere sehr große Ringe mit riesigen Steinen. Er gibt gerne zu, dass er regelmäßig Botox spritzt, und das ist seinem Gesicht auch anzusehen. Seine Mimik ist relativ eingeschränkt, was im ersten Eindruck etwas beängstigend wirkt, weil er Emotionen hauptsächlich über den unteren Teil seines Gesichts transportieren muss. Während der gesamten Zeit trägt er eine seiner eigenen Lacktaschen bei sich, eine Sonnenbrille, eine Dose Odolspray und eine kleine Tube Bepanthen. Nachdem ich meine Bedenken wegen der zementierten Mimik überwunden habe, merke ich, dass er ein angenehmer Gesprächspartner ist. Seit dem dramatischen Tod seiner Mutter haben Frauen ihm immer alles bedeutet. Seine Philosophie ist es, dass er jede Frau, und eben auch die große Mehrheit der Frauen, die nicht dem perfekten Schönheitsideal entsprechen, glücklich machen will. In seinen Worten, „zu einer Prinzessin“. Das ist vielleicht auch der Grund, warum er seine Kundinnen mit seinen eigenen Produkten umgeben will, und das sind schon lange nicht mehr nur figurschmeichelnde Röcke mit Strass und Leopardenprints. Harald Glööckler will seine eigene Welt schaffen und erzählt erst einmal über seine Tapeten—wie von Zauberhand steht der Assistent plötzlich neben ihm und präsentiert uns drei Tapetenrollenprototypen in Grün, Blau und Silber. Die Tapeten sind strukturiert und glänzend und greifen das Kronenmotiv wieder auf. Es wird aber viel mehr als nur Tapeten geben, Herr Glööckler hat Großes vor und ist gerade dabei, Häuser zu entwerfen. Er arbeitet an zwei verschiedenen Fertighausvarianten, eine mit 200 Quadratmetern, die andere mit 500. „Beide Häuser sollen eine Tür haben, die drei bis vier Meter hoch ist—mit einer Krone.“ Auch die Inneneinrichtung soll seinen Maßstäben entsprechen: Innen wird man zunächst eine zweistöckige Halle betreten, und natürlich ist ihm besonders die Küche ein Anliegen: „In der Küche ist ein Speiseaufzug vom Keller bis hoch ins Schlafzimmer geplant—wenn die Frau das nicht haben will, kann sie es auch lassen.“ Die Häuser sind Gesamtkonzepte, sie sind der letzte Schritt zu einer perfekten Welt, die vollständig von ihm und seinen Produkten dominiert ist, „alles, was im Hause ist, ist von Harald Glööckler designt. Die Fliesen und alles andere—und jetzt wird diese ganze Welt von Harald Glööckler entstehen.“ Er plant eine Art Glööckler-Land vor den Toren von Berlin. Es wird ein kleines und ein großes Musterhaus geben, vielleicht ein Restaurant, einen Showroom: „Man findet die ganze Welt, die Tapeten, die Möbel, die Mode, die Türen der Schränke stehen auf, man kann reinschauen. Daneben ist das kleinere Haus, in dem Harald Glööckler wohnt. Natürlich nicht ausschließlich, aber auch. Dort liegt der Schlafanzug auf dem Bett, man darf in meinem Kleiderschrank wühlen und gegen Eintritt kann man alles besichtigen. Und ich könnte mir vorstellen, dass das ein Wallfahrtsort wird und es Butterfahrten dorthin geben wird. Es gibt so viele Frauen, die gerne das Reich von Harald Glööckler betreten würden.“ Sein momentanes Reich will er uns jetzt zeigen und schickt erst einmal den Assistenten weg, damit er überall die Lichter anschalten kann. Zuerst will ich aber noch wissen, wie er sich die Leute vorstellt, die seine Häuser später mal kaufen sollen: „Das kleinere Haus ist so konzipiert, dass Mutti, die begeistert ist, es auch kaufen kann. Es darf also nicht zu weitläufig sein, sodass die Frau, die eben kein Personal hat und ein ganz normales Leben führt, auch alles ganz normal bewältigen kann. Und das große Haus, das ist für die Frau des Vorstandsvorsitzenden. Ich denke mal, es sind die Frauen, die dann sagen: ,Du, ich will das Haus haben und Punkt, und so lange es das Haus nicht gibt, gibt es auch sonst nichts mehr.‘ Und irgendwann sagt er: ,Komm, damit ich Ruhe habe, wird das Haus jetzt gekauft und gut ist, ja?‘“ Harald Glööckler, der Modeprinz von Ines Veith, neben seiner Autobiografie Harald Glööckler von Harald Glööckler, darüber das Cover, in Gold. Glööcklers Apartment befindet sich in einem Neubau direkt Unter den Linden, im Erdgeschoss befindet sich ein Mercedes-Händler und in dem Teil des Gebäudes, der nicht von Glööcklers Wohnung eingenommen wird, scheinen eine Menge Büros untergebracht zu sein. Zweckmäßige Innenarchitektur herrscht auch in seiner Wohnung vor. Alle Wände sind weiß, die Decken nicht altbauhoch. Man könnte sich auch ein großes Büro hier vorstellen, wären nicht überall, und ich meine überall, riesige Kronleuchter und die barocksten aller barocken Möbel. Wir laufen an der Galerie mit seinen eigenen Bildern vorbei nach oben und bevor wir das Wohnzimmer betreten, passieren wir einen Gang, von dem mehrere Gästeapartments abgehen. Herr Glööckler erzählt uns jetzt und auch als wir später noch mal durchlaufen, wie sich wohl seine berühmten Gäste hier fühlen, und dass Dita von Teese vor Kurzem fast hier geschlafen hat. Wir gehen weiter ins Wohnzimmer, in dem sich auch die Hundehütte von Billy King befindet, dem Hund von Herrn Glööckler. Es ist ein goldlackierter Kamin mit Decken und Kissen. Die Tour geht sehr schnell weiter und damit meine ich schnell. Wir rennen mit seiner gesamten Entourage, Assistent, PR-Agent, Maske und Fernsehteam von einem wichtigen Punkt der Wohnung zum anderen. Ich fühle mich wie auf einer sehr schnellen Tour durch Neuschwanstein, wäre Neuschwanstein ein Penthouse in Berlin-Mitte und würde der Tourguide Strass tragen. Wir laufen durch die Arbeitszimmer von Herrn Schroth und Herrn Glööckler, die beiden sind nicht nur Lebens-, sondern auch Geschäftspartner, wobei Herr Schroth für Vermarktung und Geschäftliches verantwortlich ist und Herr Glööckler für das Kreative. Die Schreibtische sehen benutzt aus. Leider werden wir Herrn Schroth nicht treffen, weil er gerade mit Bandscheibenvorfall im Bett liegt. Wir laufen an einem Flachbildschirm vorbei, auf dem DVD-Player darunter liegt The September Issue. Ich frage mich, ob der Film eine Requisite bei der Inszenierung der Wohnung ist, da nirgends sonst irgendetwas herumliegt. Es geht weiter, vorbei an deckenhohen Bücherregalen, die zum großen Teil vollgestellt sind mit Bildbänden über Designer, Modemacher und Modehäuser. Auf anderen Regalen steht nur seine Autobiografie, die einfach nur Harald Glööckler heißt und die er 2010 veröffentlicht hat. Autor und Titel sind eins. Später zeigt er uns den Schreibtisch, an dem er an seinen Büchern arbeitet, dazu gehen wir eine weitere Treppe hoch und befinden uns praktisch auf dem Zugang zum Dach. Von hier überblickt man das Flachdach des Gebäudes, komplett mit vielen Antennen, Lüftungsausgängen, alles in Teergrau. Herr Glööckler sagt, der Ausblick erinnere ihn an Paris oder Rom. 2012 wird Glööckler nicht nur in Sachen Architektur expandieren, sondern auch sein literarisches Oeuvre weiter ausarbeiten: „Ich habe vor, dieses Jahr drei oder vier Bücher rauszubringen. Eines ist ein Taschenbuch, meine Biografie als Taschenbuch. Das Zweite wird eine Art Bildband werden, mit Ratschlägen an meine Prinzessinnen, also an die Frauen. Aber ganz viele Bilder, tolle Bilder, ganz hochwertig. Das Dritte schreibe nicht ich, sondern Billy King. Mein Leben mit Harald Glööckler oder Wie fühlt ein Hund. Und das Vierte ist nicht direkt ein Kochbuch, aber es wird so etwas wie Speisen mit Harald Glööckler.“ Wir laufen an mehreren Porträts von Herrn Glööckler vorbei, meistens sind es Variationen von royalen Motiven. Harald Glööckler als Sonnenkönig mit Billy King, übrigens ein Papillon, traditionell der Hund des europäischen Hochadels, „die französische Königsfamilie hatte Papillons, auch die spanische. Marie Antoinette hatte auch einen.“ Wir verlassen wieder das zweite Geschoss des Penthouses und die Führung geht im unteren Bereich weiter. Doch Herr Glööckler stoppt, bevor wir die Maske betreten können. Das Licht ist aus! Nachdem er seinen Assistenten, dessen Namen ihm kurz entfallen ist und den er deshalb kurzerhand Herr Dings nennt, durchaus bestimmt auf dieses Manko hinweist, erklärt er uns in der Wartezeit, bis der Lichtschalter gefunden wird, dass ja sowieso alle Schalter zentral bedient werden können. Auch sonst ist seine Entourage darauf vorbereitet, alle Wünsche des Meisters auf Zuruf zu erfüllen. Nach unserem Rundgang setzen wir uns in ein Esszimmer, um uns zu unterhalten—noch bevor wir richtig sitzen, ist Herr Glööckler empört, dass uns noch nichts zu trinken angeboten wurde und teilt das allen Umstehenden mit. Das Telefon von Harald Glööckler. Ein iPhone mit Glööckler Brilliant Cover, erhältlich ab 19,90 Euro. Eines der vielen Lizenzprodukte, mit denen er das ganze Geld verdient, das er für sein Penthouse wieder ausgibt. Etwas später erzählt er uns von seinem ersten Werk, einem schwarzen Etuikleid, das er zusammen mit seiner Tante genäht hat, als er sieben war. Herr Mulsow scheint um die Ecke gewartet zu haben und ist auf Zuruf von Herrn Glööckler sofort unterwegs, um das Kleid zu suchen. Leider zunächst erfolglos, weil der Meister nicht ganz sicher zu sein scheint, in welchem Stockwerk des Apartments es jetzt zu finden ist. Irgendwann ist es dann da—überraschend schlicht. Nichts ist zu sehen von Glitzer, vielen Rüschen und den anderen Details, die Pompöös ausmachen. Meine Reaktion scheint normal zu sein, „die Leute, die das sehen, sagen: ,Oh, so was Schönes hat er gemacht … wieso ist der denn so ausgeflippt später?‘“ Neben seiner Mutter und seiner Tante waren Frauen immer unglaublich wichtig und hatten großen Einfluss auf ihn, „es waren immer die Frauen, die starken Persönlichkeiten um mich herum, die den Karren aus dem Dreck gezogen und die Welt gemanaged haben. Die etwas auf die Beine gestellt haben.“ Seine Kindheit und Jugend träumte er davon, endlich aus seinem Leben auszubrechen: „Ich hatte diesen Traum, die Welt schöner zu machen. Ich habe Hollywoodfilme angeschaut. Und dann habe ich in meinen Träumen gedacht, du machst jetzt Mode. Du machst die Frauen schön.“ Dieses Vorhaben, alle Frauen zu Prinzessinnen zu machen, ist sein großer Antrieb, aber natürlich ist auch Harald Glööcklers Feminismus durchaus schillernd und selbst das Bild seiner Mutter ist ambivalenter, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. „Mit sechs Jahren habe ich beschlossen, die Welt zu verändern und ich wollte alle Frauen schön machen, weil meine Mutter sehr viel geweint hat und zwar nicht, weil sie eine Heulsuse war, sondern ein trauriges Leben hatte, das sie sich aber auch selbst ausgesucht hat. Das ist ja immer auch eine Täter-Opfer-Beziehung. Wobei man leider sagen muss, dass immer beide Täter und Opfer sind.“ Es scheint eine Menge Therapiestunden gekostet zu haben, um die Traumata aufzuarbeiten, die ihm seine verkorkste Kindheit mit Sicherheit eingebracht hat. Sein Frauenbild ist sicherlich auch deswegen komplexer als man zuerst annehmen könnte. Obwohl er sie zu Prinzessinnen machen will, spricht er besonders denjenigen, die in gewalttätigen Beziehungen feststecken, eine Menge Eigenverantwortung zu, was sich auch in seiner karitativen Arbeit niederschlägt. „Das ist der Grund, warum ich mich unter anderem um Kinder in schwierigen Verhältnissen kümmere, und nicht um Frauen. Ich sage immer, die Frauen sollen ihre Männer verlassen. Wissen Sie, vor 30 Jahren war das mit meiner Mutter noch ein bisschen anders. Da gab es keine Frauenhäuser und es war nicht so einfach, den Mann zu verlassen. Heute gibt es Frauenhäuser, heute gibt es Institutionen. Wenn ich einen Mann hätte, der mich schlagen würde—der würde erst einmal den Kochtopf über den Kopf gezogen bekommen und dann wäre ich weg.“ Harald Glööcklers Familie ist ohnehin immer wieder Stoff für betroffenheitsheischende Beiträge in allen Medien. Das arme Kind aus der Provinz, aufgewachsen in Gewalt und Ignoranz. Was selten berichtet wird, weil es vermutlich nicht ins eindimensionale Bild passt, das man sich so leicht von Herrn Glööckler machen kann, ist, dass seine Familiengeschichte um einiges faszinierender und komplexer ist—wobei er auch selbst zugibt, dass einiges davon seiner eigenen Mythenbildung zuzuschreiben ist. „Meine Kindheit war nicht so arm, wie ich tat. Immerhin hatten wir ein Gasthaus. Mit zwei großen Speichern, die nicht ausgebaut waren. Da gab es ein Jagdzimmer mit Geweihen, da gab es barocke Möbel, es gab sehr viel. Es gab Zeiten mit viel Geld, es gab Zeiten mit wenig Geld. Ich hatte eine Großmutter, die sehr exzentrisch war. Eine Diva, die auch einen sehr illustren Freundeskreis hatte, ihr Trauzeuge war Baron Rothschild. Meine Mutter hatte Freunde aus der Fabrikantenfamilie, ich bin also auch in Schlössern und Villen rumgekommen, habe diesen Luxus des alten Geldes gesehen. Nicht dieses Neureiche, was man so oft im Fernsehen sieht, wenn es dann heißt: ,Sollen wir jetzt Ferrari fahren oder fahren wir mit dem Porsche?‘“ Unsere Tour durch das Reich von Herrn Gööckler geht derweil weiter in Richtung Showroom. Hier zeigt er seine Haute Couture, präsentiert an kopflosen, weißen Puppen, die auf Stühlen und stehend in einer Art Halle aufgereiht sind. In diesem Raum zeigt er uns auch eine kleine Porzellanstatue von sich selbst, die ihn als Napoleon darstellt (für 15.000 Euro erhältlich). Er scheint eine Vorliebe dafür zu haben, sich selbst als absolutistischen Herrscher darzustellen: „Es fing damit an, dass ich mich als Ludwig XIV. hab malen lassen und er hat sich ja ursprünglich als Cäsar usw. darstellen lassen. Und so kam ich auf die Idee, mich als Napoleon malen zu lassen—irgendwie fand ich den schon cool. Ich meine, er ist über Europa gerast wie ein Tornado. Er hat eine ganze Ära geprägt.“ Historische Referenzen sind ihm ohnehin nicht fremd, Glööckler glaubt an ein komplexes Reinkarnationsprinzip: „Ich bin der Überzeugung, dass wir, bevor wir auf die Erde gekommen sind, uns entschieden haben, welches Leben wir leben wollen. Was wir brauchen, um uns weiterzuentwickeln, welche Erfahrungen die Seele braucht. Und wenn sie dieses Erlebnis machen wollen, dass ihre Seele enttäuscht wird, dann braucht es ja jemanden, der das Spiel mitmacht und sie enttäuscht.“ Deshalb ist er mittlerweile auch zu der Überzeugung gekommen, dass er sich seine Vergangenheit selbst ausgesucht hat und sie ihn schlussendlich zu dem gemacht hat, was er heute ist. „Ich habe mir diese Eltern ausgesucht, um diese schwere und auch schreckliche Erfahrung zu machen. Um daran zu reifen und mit sechs Jahren den Entschluss zu fassen, das Leben zu verändern. Die Entscheidung der Seele, was für ein Leben sie leben will, passiert aber nicht nur einmal, sondern immer wieder, und Herr Glööckler wäre nicht Herr Glööckler, wenn er von diesem Prinzip nicht auch in seinem jetzigen Leben profitieren würde. Seine erste Modenschau, 1994, war von einem seiner früheren Leben inspiriert. Er schuf Rokoko-Mode, „weil ich mithilfe eines Mediums eine Rückführung gemacht habe und mich im Rokoko wiedergefunden habe, als Mätresse. Und habe dann dieses Leben voll ausgelebt. Ich saß in der Kutsche und konnte den Samt riechen. Es war ein bisschen muffig alles. Ich konnte die Vorhänge in dem Schloss riechen. Und ich hatte einen solchen Flash, dass eine Rokoko-Kollektion dabei rauskommen musste.“ Harald Glööckler hat lange keine Couture mehr gemacht, und erst kürzlich wieder damit angefangen. Grundsätzlich besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was er im Fernsehen verkauft, und den Kleidern, die hier zu sehen sind, und trotzdem ist er wirtschaftlich unglaublich erfolgreich. Ich will wissen, woran das liegt und warum andere Designer und Modemarken immer wieder in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen: „Das Schöne ist, dass ich die Haute Couture nicht verkaufen muss. Man hat mich ja oft belächelt, dass ich so preisgünstige Mode mache. Es gibt zwei Sorten von Menschen. Solche, die sehr günstig kaufen, und solche, die sehr teuer kaufen. Und dazwischen geht gar nichts. Wer das nicht begreift, macht einfach kein Business und das ist auch der Grund, warum die Meisten kein Business machen in der Modebranche.“ Das ist sicherlich kein Problem für ihn und auch der Grund, warum ihm einfach nichts peinlich ist. Welcher andere Designer redet schon so offen über sein Leben wie er. „Peinlich ist, wenn man Konkurs anmelden muss, sich Investoren reinholen muss und den Laden ganz zu machen muss. Das ist peinlich. Business machen war noch nie peinlich.“ Und Business macht Glööckler auf alle Fälle, vor allem in einer Branche, der es schon um einiges besser ging und die mittlerweile tatsächlich von Luxuskonzernen geprägt ist, die ein Bild von Luxus und Glamour verkaufen, dem sie selbst eigentlich gar nicht mehr entsprechen. Das kann man Glööckler mit Sicherheit nicht vorwerfen. Er ist seine eigene Marke und das ist auch das, was er vorlebt. „Das liegt daran, dass ich nicht nur Modemacher bin. Ich bin Harald Glööckler. Ich habe mich selbst zu einer Persönlichkeit gemacht. Ich habe mich schon lange vor Lady Gaga in einer Art und Weise inszeniert, die der eine gut findet, der andere zum Erbrechen.“ Ich frage mich sowieso, wer diese Kundinnen sind, die zum Beispiel ein Kleid mit 13.500 Swarovskisteinen kaufen und dafür 25.000 Euro auf den Tisch legen können und wollen. Diese Frage bleibt unbeantwortet, zum Thema Design selbst ist er auch etwas vage. Ich will wissen, ob er selbst Hand anlegt, bei seinen Werken. „Nein, ich nähe ja nicht selbst. Der Architekt baut ja auch sein Haus nicht selbst, sondern er entwickelt es.“ Das größte Geschäft macht er ohnehin mit seinen Lizenzprodukten: „Ich habe im Grunde genau das gemacht, was Pierre Cardin schon lange vor mir gemacht hat. Er hat auch begonnen mit Haute Couture und Couture und hat sich dann vermarktet in Lizenzen. Alles, was ich mache, geht über Lizenzen. Das heißt, meine Lizenzpartner produzieren, vertreiben, investieren. Ich muss nicht einen Euro investieren. Nur in meine Haute Couture.“ Glööckler vertreibt seine Produkte auf QVC in Großbritannien und in Deutschland und auf einem Teleshoppingsender in Japan, außerdem verkauft er bei bonprix und Klingel und zwar alles: „Ich habe eine Schmucklizenz vergeben, ich habe Tapetenlizenzen, Lizenzen für Matratzen, für Kosmetik, für Parfüm, Geschirr, Betten, Handys, Laptop-Zubehör, und und und und und …“ Natürlich würde ich auch gerne wissen, wie viel er mit diesem ganzen Zeug eigentlich verdient, und auch hier merkt man, dass man es mit jemandem zu tun hat, der schmerzfrei über alles redet, auch gerne mal über Geld. „Wenn ich auf QVC bin und ein Angebot des Tages habe, dann sind das 20.000 Jogginganzüge, für sagen wir mal 80 Euro—und die gehen an einem Tag raus; und neben den 20.000 Jogginganzügen verkaufe ich vielleicht nochmal 10.000 andere Artikel. Also können Sie sich vorstellen, was an so einem Tag läuft.“ Bei der Vorstellung kann einem zwar durchaus schwindelig werden, aber langsam verstehe ich auch, wie er dieses Penthouse bezahlt. Sein immenser Erfolg war für seine Glaubwürdigkeit in der Modewelt offensichtlich nicht wirklich förderlich. Spätestens seit er seine Kollektionen per Teleshopping verkauft, kommt Glööckler in der nationalen und internationalen Modepresse nicht mehr vor, „wo ich vorher hochgejubelt wurde von der Vogue, von Cosmopolitan oder anderen Zeitungen. Französische Zeitungen, die mich abgelichtet haben mit Paco Rabanne mit den Colliers, die glitzern, mit Chanel und so weiter. Von jetzt auf nachher war ich gebrandmarkt.“ Zusätzlich ist sein Stil nicht gerade vergleichbar mit dem, was sonst so aus Deutschland kommt oder von deutschen Designern entworfen wird. Unvergessen ist für ihn immer noch sein wohl etwas einseitiger Streit mit Karl Lagerfeld, der sich über Chips essende Frauen auf Sofas vor dem Fernseher echauffierte, was Glööckler weder auf sich selbst, noch auf seiner Kernklientel sitzen lassen konnte und darum hart austeilte. Ironischerweise scheint sich aufgrund der Wirtschaftslage auch in diesen Quartieren einiges geändert zu haben. „Einige ältere Herren sind inzwischen umgeschwungen, wahrscheinlich gezwungenermaßen. Ich habe in Interviews gesagt, sie sollten sich mal Gedanken machen, dass diese dicken Muttis, die da mit den Chips vor dem Fernseher sitzen—wie sie sich so auszudrücken pflegen—vielleicht die sind, die ihre Handtaschen, ihre Lippenstifte kaufen. Mit denen macht man das Geld, nicht mit der Haute Couture. Also sagen wir mal, die Geschichte ist ein alter Zopf.“ Harald Glööckler wirkt manchmal so, als sei er im falschen Land oder gar auf dem falschen Planeten geboren worden, und trotzdem ist er einfach unglaublich deutsch, womit er eindeutig auch schon seit seinen ersten Shows hadert: „Die Leute kamen rigoros mit Kutschen vorgefahren. Die kamen total crazy, so verrückt ist hier niemand auf der Fashion Week. Und die erste Show war schon so bombastisch, dass alle gesagt haben: ,Wow, was ist denn das?‘ Aber die haben es in Deutschland—weil es auch kein Modeland ist—nie begriffen, wie man es anstellt, publicitywirksam eine Marke aufzubauen, um damit andere Sachen zu vermarkten.“ Am Ende unseres Treffens lässt Glööckler von Herr Mulsow zwei von etwa 50 Ordnern mit Fanpost bringen. Alles ist dabei, an den „werten und lieben Herrn Glööckler“, Bitten um finanzielle Unterstützung, Autogrammwünsche und so weiter. Die Schwelle, mit ihm in Kontakt zu kommen, ist wirklich niedrig, vor allem für eine Generation von Fans, die noch Fanbriefe verschickt. Ich wähle den E-Mail-Weg, um ihm noch ein paar der Fragen zu stellen, für die beim Interview keine Zeit mehr war. Auf meine Frage, welche anderen Designer seiner Meinung nach heute noch wichtig sind, antwortet er in Großbuchstaben: „DESIGNER SIND NICHT WICHTIG, DIE QUEEN IST WICHTIG.“

Bilder von Albrecht Fuchs