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Ich habe den Einstiegstest der Scientology-Kirche gemacht

Scientology startete eine Deutschlandkampagne, aber was genau wollen die hier und vor allem wer sind ihre Zielgruppe und wie gefährlich sind die wirklich? Wir haben uns für euch mal umgeschaut und sogar den Test gemacht.

„Du bist zu kritisch!“ „Ach was!“, denke ich mir. „Immerhin sitze ich hier bei Scientology, um euch mal auf den Zahn zu fühlen“, möchte ich der jungen Frau bei der Auswertung meines Persönlichkeitstests entgegnen.

Das Image eilt der selbsternannten Religion voraus. Genau das will die deutsche Zentrale mit einer bundesweiten Kampagne nun ändern. Aber ob die Vorbehalte gegenüber der Organisation begründet sind, will ich selbst herausfinden.

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Nach Gesprächen mit Aussteigern und Sektenberatern befolge ich den Ratschlag des Chanalogy-Anhängers „Magnum“, der sich für Protestaktionen gegen Scientology einsetzt. Er empfiehlt mir, falsche Angaben zu machen, indem ich mir vorstelle, eine Person zu sein, die ich sehr gut kenne, um so beim Test zu schummeln und die am Ende nichts gegen mich verwenden können. Ich stelle mir also meine besten Freundin vor.  Vielleicht etwas voreingenommen statte ich den Berliner Scientologen eine „Spontanbesuch“ ab und schien sie damit glatt zu überfordern.

Im ersten Moment stellt sich der Rezeptionistin die Herausforderung, mir überhaupt jemanden zu finden, der den Persönlichkeitstest mit mir durchführen kann. Ohne mich muss sie sich in diesen Räumen ziemlich einsam fühlen—von den angeblichen 700 Mitgliedern keine Spur. Gut besucht sieht anders aus. Während ich warte, setzt sie mich vor einen Einspieler, der mir junge, hoch motivierte Scientologen zeigt, die vorgeben, die Welt zu retten: Sie erzählen mir hier im Vox-Pop-Format, wie sie in Haiti und in anderen internationalen Krisengebieten beim Aufbau mitgeholfen haben. Ich hätte lieber einen Kaffee getrunken—eigentlich der erste und durchaus preiswerterer Schritt zur Mitgliedergewinnung.

Szene aus dem Film, den sie mir gezeigt haben

Zuerst sollte ich mir einen Katalog mit 200 Aussagen anschauen, bei denen ich entweder Zustimmung, Ablehnung oder neutral ankreuzen konnte: Bei der Frageformulierung, ob es mich eine eindeutige Anstrengung kosten würde, Selbstmord in Erwägung zu ziehen, musste ich dreimal nachdenken bei welcher Antwort ich nicht als suizidgefährdet rüberkomme. Im Anschluss hatte ich eine halbe Stunde Zeit, meine Intelligenz mit einem Multiplechoicetest auf die Probe zu stellen.

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Ich wusste schon vor dem IQ-Test, dass in mir kein Mathegenie steckt, dennoch hatte ich die größten Schwierigkeiten in einer anderen Kategorie—einer ohne richtige oder falsche Antwortmöglichkeiten. „Wie bezeichnet man einen Menschen, der Behauptungen verbreitet, obwohl er von dessen Unwahrheit weiß?“ Unter den vier Lösungsvorschlägen kamen „Lügner“ und „Verräter“ vor. Auch wenn Letzteres vielleicht überzeugender ist, habe ich mich für „Lügner“ entschieden. Ich würde gern wissen, was mir diese Einschätzung an IQ-Punkte eingebracht hat?

Meine Testauswertung

Nach ein paar Stunden bekomme ich meine Ergebnisse und erfahre von einer Scientologin, dass ich mein Potenzial nicht ausschöpfe. Als hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie mir so etwas sagen und gleich mit einem Kursangebot kommen. OK, ich bin wirklich kritisch, aber wer ist das bei dieser berüchtigten Sekte nicht? Ach ja, ihre 100.000 Anhänger weltweit. Die Frau war zierlich gebaut und ganz in schwarz gekleidet, mit ihrem eindringlichen Blick ist sie das Abbild einer eingefleischten Mode-PR-Schnepfe. Das ist sie auch, nur dass sie sich nicht dem Modezirkus widmet, sondern ihre Seele an die Gemeinde Scientology verkauft hat. Obwohl das bei denen nicht Seele, sondern Thetan heißt, und diese Frau sehr viel Geld bezahlen musste, um hier mitmachen zu dürfen: Der Weg zu einem vorbildlichen Scientologendasein ist mit teuren Seelsorgeprogrammen gepflastert.

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Die Scientologen wollen in Deutschland größer werden. 

Das erahnte ich bereits während des Gesprächs, in dem die Frau besonders auf meine Schwächen eingeht und mir zusichert, dass es für mein kritisches Wesen auch Abhilfe gibt. Klar. Es wäre ja auch keine Weltverbesserungsanstalt, wenn sie dafür keinen Kurs anbieten würden. Ein zweitägiges Seminar für 90 Euro. Es gibt teurere Wochenendausflüge, vielleicht auch nutzlosere Beschäftigungen, trotzdem: Nein, Danke! Außerdem bin ich nach den Anstrengungen der Testreihe zu erschöpft. Sollte meine Erschöpfung nach der Testreihe beabsichtigt sein, dann wirkt das eher kontraproduktiv auf mich, sodass meine Reise in die Scheinwelt bereits im Vorzimmer endet. Vielleicht auch weil ich aus Erfahrungsberichten schon weiß, wie es weitergehen kann.

Stefan Barthel von der Leitstelle für Sektenfragen

Ich frage Stefan Barthel von der Leitstelle für Sektenfragen, warum nicht alle Menschen so skeptisch sind wie ich, sondern bei Scientology einsteigen. „Es gibt zwei Sorten von Menschen, die da rein gehen: Die Einen, die alles verloren haben, auch denen ein soziales Netzwerk fehlt, und einfach einen Anker suchen. Und andere, die das wirklich einmal kennenlernen wollen, worüber alle Leute schlecht reden, um sich der Mehrheitsmeinung entgegenzustellen“, sagt er mir. Bei meinem Scientology-Besuch habe ich drei flüchtige Bekanntschaften gemacht. Alle freundlich und zuvorkommend, aber selbst beim ersten Eindruck merkt man, dass sie höchstwahrscheinlich zur ersteren Sorte gehören.

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Ein Aussteiger begründet seine Mitgliedschaft in der Berliner „Org“, alias Kirche, anders. „Die Neugierde war viel größer als die Angst vor denen“, erzählt Stefan mir. Nachdem er einen Zeitungsartikel über Scientology gelesen hatte, in dem vor der Sekte gewarnt wurde, ging er in die Berliner Org, um es einmal selbst zu erleben. Er machte den Persönlichkeitstest, kehrte aber immer noch skeptisch nach Hause. Am nächsten Tag ging er zurück und ein Scientologe beseitigte seine Zweifel, empfahl ihm nicht alles, was in der Presse steht, zu glauben, da „sie erstmal über Neues aus Angst immer erstmal schlecht berichten. Wie früher über Miniröcke.“ Das überzeugte den damals arbeitslosen Berliner, der bei Scientology schnell so eine Art Karriere machte. Nach zwei Wochen sicherte er sich einen Platz bei der paramilitärischen Eliteeinheit „Sea Org“ in England und leistete einen Eid für eine Milliarde Jahre.

Ganz so lang blieb er Scientology dann doch nicht treu. Er war die ständigen Spendenaktionen leid, hinterfragte plötzlich die Aufrichtigkeit der selbsternannten Religion, brauchte jedoch zwei Anläufe für seinen endgültigen Ausstieg. Die Sekte hatte ihn nicht nur finanziell, sondern auch emotional abhängig gemacht. „Du denkst ja, du tust was Gutes und wenn du, wie ich, noch dazu eine Machtposition bekommst, läufst du durch die Gegend, als wärest du Gott.“

Prospekte, die ich bei Scientology in Berlin bekommen habe und die dir ein besseres Leben versprechen

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Außerhalb von Scientology fehlte ihm der Gruppenzusammenhalt und das gemeinsame Ziel. Genau darin liegt der Reiz von Scientology für junge Menschen in der heutigen Leistungsgesellschaft, für die Selbstverwirklichung oberste Priorität hat. Die Organisation verspricht seinen Mitgliedern, den Erwartungen des Umfelds und der Gesellschaft gerecht werden zu können.

Stefan versucht, die entstandene Lücke nach seinem Ausstieg mit einer Ausbildung zum Dachdecker und Fußball zu füllen. Als glücklicher bezeichnet er sich selbst aber nicht. „Es ist anders. Du entscheidest wieder Sachen selbst. Also, die Freiheit, die sie dir da versprechen, kriegst du nicht. Aber ich könnte jetzt nicht sagen, dass es jetzt besser ist. Gerade wenn ich denke, die ganze Geschichte ist überwunden, kommt ein neues Tief und ich will zurück.“

Noch mehr Versprechen der Scientologen

Dass Scientology einem Entscheidungen und sogar das Denken abnimmt, vom Alltag entfremdet und dich dadurch abhängig macht, weiß die Berliner Leitstelle für Sektenfragen. Barthel begleitet Aussteiger auf dem Weg zurück ins richtige Leben. Manche haben nie eine Welt außerhalb von Scientology kennengelernt. Ein Fall ging ihm besonders nah: eine Frau, die zum Treffen in Gartenschuhen erschien. Sie hatte ihr ganzes Leben für Scientology geopfert. „Sie hatte keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung, keine Steuernummer … Nichts! Sie ist überhaupt nicht fähig, sich in dieser Welt einzufinden, und wir mussten sie intensiv betreuen, damit sie diese Welt versteht. Die werden dort wirklich finanziell ruiniert. Man fragt sich, weshalb die ihre eigenen Leute so schlecht behandeln.“

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An dem Beispiel wird deutlich, wie abgeschottet Scientologen leben, wobei nach außen eine weltoffene, tolerante Religion propagiert wird. Auch der Aussteiger berichtet über einen fließenden Übergang von passiver zu aktiver Ablehnung. „Du hast immer weniger Zeit für dich und bekommst auch nach und nach weniger mit, was draußen passiert. Selbst wenn du negative Sachen liest, interessiert dich das nicht mehr. Das ist eine andere Welt und du bist halt dafür da, das Andere zu bekämpfen“, sagt er.

Scientologen leben unter sich und sind abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. 

Der Gegner sind die Nicht-Scientologen und das Ziel ist es, die Religion und das technikaffine Gedankengut zur einzigen gesellschaftspolitischen Macht zu erheben. Das totalitäre Geschäftsmodell beunruhigt auch den deutschen Verfassungsschutz, der Scientology seit Jahren überwacht. „Die haben selbst einmal intern gesagt, sie seien wie Rottweiler, die niemals loslassen. Die sind von Natur aus so, wie sie sind, die sind auch gefährlich, aber sie sind zur Zeit gut angeleint und tragen Maulkorb“, antwortet Barthel von der Sektenberatung auf meine Frage nach dem Gefahrenpotenzial von Scientology.

Von einem Maulkorb will die Pressesprecherin der Religionsgemeinschaft, Sabine Weber, nichts wissen. Sie sieht in der angestrebten Kampagne eine Chance, die Deutungshoheit über ihre Religion „zurückzuerlangen“, als sei alles nur ein großes Missverständnis und schlechte Presse. „Es ist so, als würde man es dem Metzgerverband übertragen, die Allgemeinheit über die Vorzüge vegetarischen Essens aufzuklären.“ Schließlich biete die moderne Religion praktische Antworten auf die Fragen des Lebens und diese seien auch nicht so teuer wie immer beklagt. „Für die einen ist es das Auto und die Eigentumswohnung, für andere ihr persönlicher spiritueller Werdegang.“ (Ich hatte schon Probleme damit, allein meine Zeit in diese Scientology-Tests zu investieren.) Laut Weber gebe es aber genug andere Interessenten und trotzdem will sie mit einer groß angelegten, bundesweiten Werbekampagne in die Offensive gehen und arbeitet nach eigenen Angaben bereits mit einer Agentur zusammen. Wie beurteile ich das wohl? Kritisch.