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Die Do it Well and Leave Something Witchy Issue

Willkommen in der Grubenstadt

Wir haben Cerro de Pasco besucht, einen der furchtbarsten Orte in Peru. Die Stadt wird von einem gigantischen Loch verschluckt.
Panoramaansicht der Grube inmitten von Cerro de Pasco, Peru. Foto vom Autor

Als wir in Cerro de Pasco, einer mittelgroßen Stadt in der hoch gelegenen peruanischen Sierra, eintrafen, war es Nacht. Ich konnte eine große Leere auf der anderen Seite spüren, so, als befände ich mich am Meer, ohne es jedoch direkt sehen zu können.

Ich stieg auf einen Felsen und schaute hinüber. In der Ferne leuchtete die umliegende Stadt. Vor mir klaffte das Loch, das bis auf die winzigen Scheinwerfer der LKW, die an seinen Seiten entlangkrochen, vollkommen dunkel war. Das war El Tajo: die Grube.

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In der Kosmologie der Anden ist die Erde Pachamama-Mutter Erde-und diese gewaltige Mine, in der verschiedene Metalle abgebaut werden, ist der Locus einer buchstäblichen Penetration. Sie ist 3,1 Kilometer breit und so tief, wie das Empire State Building hoch ist. Tag und Nacht geht von den Maschinen, die den Stein zermahlen, ein leises mechanisches Stöhnen aus, das von der Trichterform der Grube verstärkt wird. Es ist das Geräusch einer Stadt, die bei lebendigem Leib aufgefressen wird.

Cerro de Pasco ist Umweltkatastrophe und urbane Katastrophe zugleich. Die Grube, die 1956 eröffnet wurde, befindet sich in der Mitte der Stadt-nicht daneben, sondern mittendrin. Da sie weiter wächst, mussten bereits Tausende von Familien in unerschlossene städtische Gebiete ziehen, denen es zumeist an einem Abwasser- und Entsorgungssystem fehlt. Mittlerweile geht der Stadt der Platz aus. 2008 verabschiedete der peruanische Kongress ein Gesetz, das eine Umsiedlung der gesamten Bevölkerung von 67.000 Einwohnern vorsieht. Das Gesetz ist jedoch folgenlos geblieben.

Die Grube ist seit zwei Jahren nicht größer geworden, doch hat Volcan, das Unternehmen, das die Grube aktuell betreibt, kürzlich wieder begonnen, Häuser am Rand aufzukaufen und mit neongrüner Farbe zu bestreichen. Da nun die Stadt-einschließlich dessen, was vom Kolonialviertel noch übrig ist-zunehmend ihre Farbe wechselt, macht sich niemand Illusionen über die Zukunft.

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Cerro de Pasco war schon immer eine Bergbaustadt. Die Spanier fanden hier 1630 Silber und während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts war Cerro de Pasco eine wichtige koloniale Einnahmequelle. 1902 kaufte die US-amerikanische Cerro de Pasco Corporation mit Geldern von J. P. Morgan, Henry Clay Frick, den Hearsts und den Vanderbilts die zahlreichen kleinen Schachtgruben der Stadt auf und brachte den Großteil der Bergbauaktivitäten unter einem Unternehmensdach zusammen. Als das Unternehmen die Grube eröffnete, entschied es sich gegen eine Umsiedlung der Bevölkerung, die schon immer direkt über den Minen gelebt hatte und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beträchtlich angewachsen war.

Außerdem war Cerro de Pasco schon immer ein äußerst deprimierender Ort zum Leben. 1831 schrieb ein Besucher namens Alexander Cruckshanks, Cerro de Pasco sähe aus, „als habe jemand die ganze Landschaft mit einem nichtssagenden Anstrich versehen". Er fügte hinzu: „Die Häuser sind klein und dunkel und die meisten Menschen schmutzig und armselig."

Stolze Einheimische drücken es so aus, dass der Ort kein Land für jedermann, sondern für zähe Menschen sei. Es ist erfrischend kalt und die Stadt gehört mit einer Höhe von 4.338 Metern über dem Meeresspiegel zu den höchst gelegenen Städten der Welt (das Wasser in Cerro hat eine Siedetemperatur von 85 Grad Celsius). Körperlich hat der Aufenthalt in dieser Höhe eine ähnliche Wirkung wie ein sehr schlimmer Kater. Aufgrund der Bergbauaktivitäten ist es so ziemlich der ungesündeste Ort, den man auf diesem Planeten finden kann.

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„Hier in Cerro de Pasco herrscht totale Umweltverschmutzung", so Zénon Aira Díaz, 70 Jahre alt und langjähriger Einwohner und Historiker. Bei einer Untersuchung des US-amerikanischen Center for Disease Control and Prevention im Jahr 2007 wiesen 60 Prozent der Bodenproben, die bei Häusern in Cerro und umliegenden Ortschaften entnommen wurden, eine Bleikonzentration von mehr als 1.200 ppm auf-das Dreifache dessen, was laut US-Umweltschutzbehörde für Kinder als sicher gilt. Die Bodenprobe eines stark frequentierten Fußwegs ergab 20.000 ppm.

Ein großer Teil dieser Verschmutzung stammt aus dem Abraum, der rund um die Stadt zu gigantischen und farbenprächtigen Hügeln angehäuft wird, eine mit Schwermetallen belastete Mischung aus Gestein und Erde. Liegen diese frei, geben die Abraumhalden Schadstoffe wie Kadmium, Quecksilber und Arsen an die Umgebung ab. Einer dieser Hügel befindet sich direkt neben dem Krankenhaus, und in Carhuamaca werden die Häuser, die Grundschule und ein heruntergekommener Spielplatz von einem Hügel überragt, der den gesamten Vorort umgibt. Wirbelt ein vorbeifahrendes Auto oder eine Viehherde Staub auf, schmeckt man Metall. In den 1920ern begann die Bergbaugesellschaft, den Abraum in nahe gelegene Seen zu entsorgen. Diese sind nach wie vor unbehandelt, sodass Schadstoffe in die Luft und die darunter liegenden wasserführenden Schichten gelangen. Im Mai 2012 erklärte die peruanische Regierung die Gegend um die verunreinigten Seen zum ökologischen Notstandsgebiet und bewilligte 20 Millionen US-Dollar für Gesundheitsprogramme, um Bleivergiftungen, die vor allem unter Kindern verbreitet sind, zu lindern. Bisher ist von diesem Geld noch nichts ausgegeben worden.

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„Es ist, als würde man jemandem mitteilen, dass er Tuberkulose hat, um ihm dann zu sagen, dass er gefälligst abhauen soll", sagt Denis Cristóbal, eine tempramentvolle 29-jährige Kinderärztin und zugleich die Bürgermeisterin eines Ortes am Quiulacocha, einem ebenfalls vergifteten See. Mit ihrem schlafenden Sohn im Schoß erzählt sie mir, dass viele Kinder unter Zirrhosen und Entwicklungsverzögerungen leiden. Bis zum See, den sie den „ehemaligen Quiulacocha-See" nennt, sind es fünf Minuten Fußweg.

Als wir am Wasser entlangfahren, ist dieses violett. Ich halte an, um mich zu vergewissern, dass ich nicht halluziniere. „Das nennt man Fortschritt", meint meine Reisebegleiterin Elizabeth Lino, eine in Cerro geborene Schriftstellerin, Künstlerin, Aktivistin und selbst ernannte letzte Königin von Cerro de Pasco. Ihre ironische Kampagne, in der sie die Grube zum Kulturerbe ernannte, hat ihr landesweit Bewunderung und Bekanntheit eingebracht.

„Die Lage in Cerro de Pasco macht mich nicht traurig. Sie macht mich wütend", ließ sie mich auf der Hinfahrt von Lima bei ­einem gemeinsamen Pisco aus dem Flachmann wissen.

Am Eingang verkündet ein riesiges Schild: safety is non-negotiable. neither is your life. Doch in kleinen Gemeinden wie Quiulacocha handelt das Unternehmen Pachtverträge mit männerdominierten landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften aus, die Land besitzen, und umgeht gewählte Vertreter wie Cristóbal. (Das Unternehmen lehnte es ab, mit mir zu reden, ebenso die Bergleute, die in orangefarbenen Overalls mit düsteren Gesichtern die Straßen entlanggehen. Als wir ein Bergarbeiterlager besuchen, folgt uns ein silberner SUV ohne Kennzeichen.)

Regionalverwaltungen und Regierung wiederum zeigen sich bei der Regulierung des Ressourcenabbaus schwach. „Bergbau­gesellschaften und Regierung handeln das unter sich aus", meint Calmex Ramos, Umweltingenieur und Aktivist. Die Kommunen bauen luxuriöse Stadien und Unsinn wie das geplante „Denkmal des Pisco Sour". Derweil sind Projekte wie die Umsiedlung oder ein ambitioniertes, aber schlecht verwaltetes 45-Millionen-Dollar-Wasserversorgungssystem gescheitert. Im Mai wurde der Gouverneur von Pasco festgenommen, nachdem herauskam, dass seine Mitarbeiter ein Schmiergeld in Höhe von 100.000 US-Dollar für die Vergabe öffentlicher Arbeiten entgegennahmen.

Die Mine mahlt also weiter. Nach 400 Jahren wäre ein Leben ohne die Grube schwer vorstellbar. Romero, der Mechaniker, erzählt mir, dass ihn der Umweltschaden zwar entsetze, der Bergbau ihm und seinen Nachbarn aber einen Verdienst von 500 US-Dollar im Monat ermögliche, viel mehr, als sie als Viehzüchter verdienen würden. Am Morgen meiner Abreise hing eine dicke graue Wolke in der Grube. Stadtauswärts hatte jemand entlang der Straße in großen schwarzen Buchstaben auf Spanisch die Worte gemalt: lang lebe das verdammte cerro de pasco.