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Musik

Eine absurde Bombendrohung und andere Anzeichen, dass der Song Contest die Welt zum Durchdrehen bringt

Ex-Pegida-Mann Nagel demonstriert gegen Dekadenz und auf 4Chan schreibt jemand „Fuck Eurovision, Heil Hitler": Das Schlimmste am ESC ist, was er aus den Leuten rausholt.

Screenshot via 4Chan

Heute Vormittag habe ich folgendes Posting in meiner Facebook-Timeline gelesen: „Vom Song Contest hört man überhaupt nichts mehr. Wurde der etwa abgesagt?" Umgeben war das Posting natürlich von 1.000 anderen Postings zum Thema ESC, was auch ein bisschen der Witz ist. Trotzdem habe ich es nicht geschafft, darüber zu lachen. Meine Reaktion bestand aus einem eruptiven Rülpser und wildem, unfreiwilligem Geschrei, an dessen Inhalt ich mich aus Selbstschutz nicht mehr erinnern kann.

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Womit wir auch irgendwie beim Thema dieses Artikels wären. Das einzige, was noch schlimmer ist, als der Eurovision Song Contest, ist, was er aus den Leuten herausholt. Vor allem aus den Medien, den Netztrollen und aus Georg Nagel.

Georg Nagels Anti-ESC-Demo

Foto von Kurt Prinz, VICE Media

Falls ihr die kurze „Blütezeit" von Pegida Wien in der politischen Filterblase verbracht habt und euch während den zwei Spaziergängen mit ihren Hitlergrüßen im sozialen Netz nur Kätzchen-Postings und Grünen-Werbung angezeigt wurde, kann es sein, dass ihr völlig verpasst habt, wer Georg Nagel ist.

Kurz zusammengefasst: Georg Nagel ist der heterosexuelle, weiße Mitteleuropäer, der nach den Neonazi-Entgleisungen beim ersten Pegida-Aufmarschals Sprecher der Bewegung zurückgetreten ist, um sich über die Diskriminierung heterosexueller, weißer Mitteleuropäer aufzuregen. (Wer hat keine Lobby? Für wen tut wieder keiner was? Genau! Für die Armen, die schon alles haben! Eine Frechheit.)

Außerdem ist Nagel ehemaliger Techno-DJ und Organisator der Demonstration „Gegen Dekadenz und Werteverfall", bei der Susanne Winter von der FPÖ eine Gastrede halten soll. Einfach nur, um endlich mal darauf hinzuweisen, dass moderne Musikantenstadl-Spin-offs, bei denen Pensionisten neben Schwulen sitzen, wirklich ein Eck zu fortschrittlich für den Geschmack mancher gottesfürchtigen Rechten sind. Gratulation, Georg Immanuel Nagel: Aus allen möglichen Gründen, die uns einfallen würden, warum man gegen den Song Contest protestieren sollte, hast du zielsicher den schlechtesten gewählt.

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Die Medienberichterstattung

Foto von Danika Maia, via VICE Media

Bevor ihr irgendwas sagt: Ich weiß. ICH WEISS! In einem Artikel über den Song Contest die Fülle an anderen Artikeln über den Song Contest zu kritisieren, ist ein bisschen so, wie damals bei der Germanwings-Katastrophe darüber zu schreiben, dass andere Medien aus der Germanwings-Katastrophe Klicks holen wollen. Aber genau wie damals ist die Sache auch hier gar nicht so absurd, wie sie am Anfang klingt. Im Gegenteil.

Gerade bei Themen von öffentlichem Interesse ist es wichtig, dass Medien sich Gedanken darüber machen, wie und in welchem Ausmaß sie berichten wollen. Da der Eurovision Song Contest dieses Jahr vor unserer Haustüre stattfindet, macht die Berichterstattung kollektiv ein bisschen Hosilulu und sondert täglich mehrere Tröpfchen der Freude in der Form von Online-Schwerpunkten und Print-Sonderbeilagen ab.

Allein DerStandard.at veröffentlichte in den letzten 3 Tagen 27 Artikel zum Song Contest. Die meisten Redaktionen des Landes haben eigene Task-Forces, um eine flächendeckende Coverage sicherzustellen—was an sich OK ist, wenn man kurz außer Acht lässt, worüber hier eigentlich berichtet wird (nämlich unpolitische Kitschlieder und ihre Urheber, die zum 10. Mal erzählen, dass sie Katzen mögen und gerne Bungie-Jumpen gehen).

Das heißt nicht, dass es keine Artikel geben sollte. Es heißt auch nicht, dass man nicht in Artikeln darauf hinweisen sollte, dass es eventuell zu viele Artikel gibt. Es heißt eigentlich nur, dass die Energie und Ressourcen und damit auch die Gelder, die hier in die Berichterstattung eines Karaoke-Wettbewerbs fließen, den Journalismus an anderen Stellen vielleicht recht schnell aus der Krise befördern könnten.

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Die ESC-Bombendrohung auf 4chan

Screenshot via 4Chan

Dass das Internet ein absurder Ort ist, wissen wir eigentlich schon, seit 1997 das „Ate My Balls"-Meme aufkam oder unsere Eltern uns zum ersten Mal das tanzende Baby vorgespielt haben. Trotzdem wundern wir uns immer noch über manche moderne Blüten, die das Netz treibt—vor allem, wenn sie weniger harmlos sind. Das beginnt mit Dschihad-Selfies und endet, zumindest vorerst, mit diesem Thread auf 4chan.

Screenshot via 4Chan

„Let's make a chemical bomb with these people and send it to the Wiener Stadthalle!", schlägt ein anonymer User vor. Und weil er zeigen will, dass er Internet kann (wenn schon nicht so gutes Englisch), folgt auf die Nachricht eine Reihe von Hashtags: Nämlich #FUCKEUROVISION, #BOMBTHEARENA, #HEILHITLER, #WAFFENSS, #KKK, #RAPEJONOLASAND und #WIRLIEBENSCHUSSWAFFEN.

Danach werden noch einige Namen von Ärzten, Wissenschaftlern und Aktivisten aufgelistet, die Ebola bekämpfen, erforschen oder an der Krankheit gestorben sind. Warum sich ausgerechnet diese Menschen „ficken" sollen, können wir nur mutmaßen—man lehnt sich aber vermutlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man eine gewisse Nähe zu Verschwörungstheorien annimmt, denen zufolge Ebola nicht existiert/eine gerechte Strafe Gottes ist/von den USA künstlich erschaffen wurde. Inzwischen wurde der Thread natürlich offline genommen (uns liegt das HTML-File vor).

Markus auf Twitter: @wurstzombie