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Wie Schweizer aus Versehen rassistisch sind

Nein, ich spreche kein Afrikanisch und Twerken kann ich auch nicht. Und es ist mir egal, dass du in Kenia auf Safari warst.
Foto von Steve Snodgrass

Wie bereits Lars von Trier sagte: „In jedem Menschen steckt ein kleiner Nazi." Diese Aussage bescherte dem Regisseur zwar einen Shit-Storm der Stärke 10, trotzdem muss ich ihm partiell Recht geben.

Wenn es darum geht, sich eingestehen zu müssen, dass man sich gewissen Ethnien gegenüber ziemlich ignorant verhält, setzen die meisten ihre Scheuklappen auf und plädieren für unschuldig. Dabei wäre es viel besser, wir würden uns alle mit unseren Vorurteilen konfrontieren.

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Es ist nämlich so gut wie unmöglich, ein zu 100 Prozent politisch korrekter, kulturell aufgeklärter Mensch zu sein. Das heisst nicht, dass man es nicht zumindest annähernd versuchen sollte.

Ich kann nicht sagen, mit welchen Vorurteilen und Standardphrasen ein Chinese oder Türke klarkommen muss, doch kann ich von mir und den Reaktionen auf meine nigerianischen Wurzeln sprechen. Und euch sagen, was gar nicht geht. Seid mir nicht böse.

Hört auf, das N-Wort zu benutzen

„Hey mini eint Kollegin, die wird ide Sunne schwarz wie en Neger!"

„Ich bin doch nöd de Neger, gahn dis Handy selber go hole!"

Foto von Steven Perez | Flickr | CC BY-SA 2.0

Vielleicht kannst du solche Phrasen bei deinen eidgenössischen Freunden rauslassen, ohne ein Stirnrunzeln zu kassieren. Fakt ist aber: Wenn du so was ohne zu überlegen in eine Runde wirfst, in der auch nur eine Person mit komplett oder partiell afrikanischer Abstammung sitzt, hast du dich verdammt unbeliebt gemacht.

Wenn ich in solchen Fällen versucht habe, meine offensichtliche Empörung zu rechtfertigen, stiess ich meistens auf Unverständnis. Es sei ja nur ein Witz, ein Ausdruck, den man so halt verwendet. Das mag sein. Doch abgesehen davon, dass ich viele Schweizer kenne, die sich weitaus mehr darüber aufregen würden als ich, ist das rein sprachliche Argument keine Entschuldigung.

Im Jahr 2015 gibt es zwei Arten von Menschen, die noch solchen Mist rauslassen: Rassisten und Sprachvergewaltiger. Wenn ich mit dir rede, will ich nicht prompt an eines der schlimmsten Kapitel der Geschichte erinnert werden. Jedenfalls nicht im Zusammenhang mit deinem Handy. Oder der Hautfarbe deines weissen Freundes.

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Der Punkt ist ja schliesslich der: Praktisch jeder Mensch mit dunkler Haut in der Schweiz hat mehr oder weniger schlechte Erfahrungen machen müssen. Spurlos an ihm vorbeigegangen sind die wahrscheinlich nicht (vor allem Kinder können grausam sein).

Wahrscheinlich werden manche Menschen nie verstehen, was schlecht an diesem Wort ist. Das ist scheissegal. Lasst. Es. Einfach.

Versucht nicht, Eugeniker zu spielen

„Hää, dini mueter isch ja wiiss. Wie gaht denn das?"

„Ah chum etz, du bisch doch gar nöd schwarz. Ich kenn eine, de gsehsch nöd ide Nacht, echt etz!"

Foto von SreeBot | Wikipedia | Public Domain

Ja daaann, hab ich ja grad noch Glück gehabt. Oder was genau wolltest du mir damit sagen?

Welche Hautfarbe man hat, wenn ein Elternteil weiss und der andere schwarz ist, ist doch irgendwie logisch: Man ist schwarz und weiss—und keines von beidem. Das mag dich vielleicht ein wenig verwirren aber dann hast du noch nicht begriffen, dass die menschliche Einteilung in Schubladen nicht zwingend Sinn ergibt.

Was noch dazu kommt ist die Tatsache, dass du nicht in meiner Haut steckst (das ist wortwörtlich gemeint). Wenn du mir sagst, ich sei nicht schwarz oder eben doch schwarz, dann denkst du gleichzeitig, deine Auffassung über Hautfarben habe universelle Gültigkeit und du seist das Mass dieser Gültigkeit. Ob du nun schwarz oder weiss bist, spielt keine Rolle. Hör auf, Menschen zu sagen, was sie sind, erst recht, wenn du etwas anderes bist.

Versucht es doch zuerst auf Deutsch

"Kud ju pliis schou mi jur pässport?"

Foto von Mattes | Wikipedia | Public Domain

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Wenn ich allein im Niederdorf unterwegs bin, werde ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf Englisch angesprochen. Man könnte jetzt sagen: „Die meinen das ja nur gut, die wollen dir doch nur entgegenkommen." Mag sein, trotzdem haben sie ein komplett archaisches Bild der Schweizer Bevölkerung, sie denken in Stereotypen.

Natürlich kann einem so was am Flughafen passieren, wahrscheinlich sogar mehrmals, aber verdammt, wenn du dir nicht sicher bist, dann sprich deutsch! Es ist nicht einmal so, dass es nur mir auf den Sack ginge—du wirst nachher vor Scham rot anlaufen und dich entschuldigen. Und das wollen wir ja nicht, oder?

Ich wurde übrigens einmal von einem Zollbeamten am Flughafen mit den Worten „Stop! Are you an immigrant? Could you please show me your passport!" gestoppt. Sein Gesicht könnt ihr euch vorstellen, als ich ihm in perfektem Züridütsch antwortete und ihm mit dem roten Pass vor der Nase rumwedelte.

Stellt keine blöden Fragen

„Redsch Afrikanisch?"

„Chasch twerke?"

Foto von Kowarski | Flickr | CC BY 2.0

Ich muss auf diesem Weg ja nicht erklären, dass Afrikanisch keine Sprache ist (und komm mir jetzt nicht mit Afrikaans, das ist fucking holländisch!). Also frag doch einfach, was man so spricht in Nigeria und ob ich die Sprache meiner nigerianischen Familie auch spreche. Auch eine Alternative: Lass es einfach.

Natürlich gibt es Wege, sich in Afrika international zu verständigen. Die gibt es in Europa ja auch. Englisch und Französisch sind ziemlich gute Voraussetzungen und zwar auf beiden Kontinenten. In Afrika gibt es über 2.000 Sprachen und Dialekte, in Europa circa 150. Trotzdem würde es niemandem in den Sinn kommen, dich zu fragen, ob du Europäisch sprichst.

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Und was das Twerken betrifft: Es ist nicht der Nationalsport in Nigeria und man muss auch keinen Twerk-Test absolvieren, um offiziell als „schwarz" zu gelten. In der Schweiz würde so ein Test mehr Sinn machen: Um definitiv und endgültig den Unterschied zwischen sich und der helleren Mehrheit zu betonen, müsste man twerken. Sonst drohen Schubladisierungsprobleme.

Ich kann übrigens nicht twerken, noch nicht, jedenfalls.

Seid differenzierter

„Ich hanen Kolleg, de isch us Eritrea. Chönd eu ja mal treffe!"

„Nigeria? Ich bin grad drü Mönet in Kenia gsi, uf Safari!"

Der Verallgemeinerung, der afrikanische Staaten unterliegen, hat sich bereits ein ziemlich erfolgreicher Blog gewidmet. Den solltest du lesen.

Wenn du im Ausland bist, sagen wir in Marokko, wie würdest du reagieren, wenn ein Einheimischer dich voller Begeisterung einem Polen vorstellen wollte? Das einzige, was mich auf Anhieb mit dem Eritreer verbindet, hat nichts mit Geographie zu tun, sondern mit komischen Phrasen bezüglich Herkunft und Hautfarbe.

Es ist nicht leicht, in der Schweiz ein differenziertes Bild von Afrika zu haben. Wir verbinden den Kontinent wegen der Presse hauptsächlich mit Krieg, Hunger und Korruption. Das ist scheisse. Aber nicht einmal das Hauptproblem.

Das Problem liegt darin, dass wir nicht anders können, als Unterschiede zwischen Menschen festzustellen aber trotzdem nicht wissen, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Und auch wenn wir mit Menschen verschiedener Ursprünge kein Problem haben, verhalten wir uns ihnen gegenüber ignorant. Und signalisieren so, dass wir prinzipiell einen Exotismus-Fetisch haben, jedoch kein Interesse, unser Weltbild zu erweitern.

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Das passiert auch mir. Ich habe vor kurzem eine serbisch-orthodoxe Freundin gefragt, ob sie Ramadan mache. Hab mich ziemlich blöd gefühlt danach.

Die schwarze ääh weisse ääh einfach die Nora auf Twitter: @nora_nova_

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von Steve Snodgrass | Flickr | CC BY 2.0