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Wie man eine Abschiebung in Deutschland verhindert

Schwer, aber nicht unmöglich: Marcus Staiger präsentiert drei Aktionen, die erfolgreich Flüchtlinge vor der Abschiebung bewahrt haben.
Foto: No Lager Osnabrück

Letzte Woche wurde im deutschen Bundestag die Verschärfung des Aufenthaltsrechts beschlossen. Dazu gehörte eine massive Ausweitung der Haftgründe, die zu einer Abschiebehaft führen können.

Deshalb stellt sich die Frage dringlicher als je zuvor: Was passiert eigentlich, wenn eine geflüchtete Person eine Abschiebeaufforderung bekommt—und ich aber der Meinung bin, dass diese Person hier bleiben sollte? Sei es, weil ich mich in sie verliebt habe, sei es, weil ich sie als Kollegen in der Ausbildung oder im Deutschkurs kennengelernt habe, sei es, weil ich mich mit ihr befreundet habe und denke, dass man noch einen tollen Sommer zusammen verbringen sollte.

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Vielleicht ist man auch nur einfach der Meinung, dass die Roma-Familie, die man gerade kennengelernt hat, nicht unbedingt in den Kosovo zurückkehren sollte, weil dort die Kinder nicht zur Schule gehen können, ihnen das Haus über dem Kopf angezündet werden könnte und die medizinische Versorgung beschissen ist.

Vielleicht denkt man sich auch, dass der bulgarische Bauarbeiter, der auf einer Baustelle gearbeitet hat und um seinen Lohn geprellt wurde, zumindest so lange da bleiben sollte, bis er sein Geld bekommen hat.

Dann kommt so ein Behördenschreiben zur Unzeit und die ganze Wucht der Bürokratie, die darüber befindet, wann man sich wo und wie aufhalten darf, wird plötzlich ganz konkret.

Dann wird es time for some action, denn wie man an den folgenden Beispielen sehen kann, hat man doch ein paar Handlungsoptionen. Das funktioniert zwar nicht immer und auch nicht immer gleich gut, und man braucht auch ein paar solidarische Leute um sich herum, aber es ist immerhin machbar. Abschiebungen zu verhindern ist möglich. Drei Städte, drei Beispiele.

Osnabrück – die Vorzeigestadt

Foto: No Lager Osnabrück

Osnabrück gilt unter den Insidern der Abschiebegegner als die Vorzeigestadt. Insgesamt wurden hier schon 36 Abschiebungen verhindert. Ein breites Bündnis aus Kirchen, sozialen Trägern und linken Gruppierungen stellt sich hier mit schöner Regelmäßigkeit den Behörden in den Weg.

Das Bündnis No Lager Osnabrück unterhält Beziehungen zu allen wichtigen karitativen Einrichtungen der Stadt, die sich mit Flüchtlingen beschäftigen. Das reicht von der Uni-Gruppe, die Deutschkurse für geflüchtete Kinder anbietet, bis hin zu Gruppen, die sich im Zuge der No-Pegida-Demonstrationen gegründet haben.

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Auch wenn die Mitglieder von No Lager Osnabrück selbst keine praktischen Arbeiten übernehmen, weil sie laut eigenem Selbstverständnis nicht die „Handlangerjobs des Staates" machen wollen, sind sie mit allen anderen Initiativen gut vernetzt und erfahren eine breite Akzeptanz innerhalb der sogenannten Zivilgesellschaft.

Dabei ist der Standpunkt des Bündnisses so einfach wie radikal, wie Tom, ein Sprecher des Bündnisses, erklärt: „Wir fordern Bewegungsfreiheit für jeden Menschen, auf allen Ebenen und zu jeder Zeit." Dabei versteht sich No Lager Osnabrück als politische Gruppe, die eben auch mit politischen Forderungen antritt und außerparlamentarisch mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams für die Rechte von Geflüchteten eintritt.

Foto: No Lager Osnabrück

Die Gruppe existiert bereits seit 2001, aber so richtig los ging es erst im Februar 2014, als sie vom Schicksal von 80 Geflüchteten erfuhr, die alle gemeinsam und zur gleichen Zeit abgeschoben werden sollten. Leute aus der Gruppe fuhren daraufhin in die Einrichtung, in der die Betroffenen untergebracht waren, und veranstalteten ein Plenum, um zu beraten, was zu tun wäre.

Zum ersten Treffen kamen nur zwei Leute, erzählt Tom, doch bereits beim zweiten Treffen kamen um die 80 Personen, die Sache nahm langsam Fahrt auf. No Lager machte die Geschichte öffentlich, nahm Kontakt zu den Medien und den Kirchen auf, und plötzlich stellte sich eine große Welle der Solidarität ein.

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Zahlreiche Initiativen, die mit Flüchtlingen arbeiten, klinkten sich ein, und so standen dann am Tag der Abschiebung um drei Uhr morgens tatsächlich 30 bis 40 Menschen vor der Einrichtung und gingen auch nicht weg, als die Polizei eintraf. Diese kam, motzte ein wenig herum, verließ dann aber nach kurzer Zeit den Ort des Geschehens—ohne den Versuch unternommen zu haben, die Abschiebungen durchzusetzen oder die Blockade auszulösen. Die Abschiebegegner hatten gewonnen—zu ihrer eigenen Überraschung.

Foto: No Lager Osnabrück

„Damit hatten wir nicht gerechnet. Das hat uns aber gezeigt, dass man mit einfachen Mitteln Abschiebungen verhindern kann", erklärt Tom. Seitdem gibt es eine öffentliche Telefonkette, in die sich jeder tragen kann, der Abschiebungen aktiv verhindern will. Hat zwar den Nachteil, dass der Staatsschutz über jede geplante Aktion Bescheid weiß, aber dieses Risiko müsse man eingehen, sagt Tom—und letztendlich sei es ja auch egal.

Immerhin bekomme man so 70 bis 90 Personen aus den unterschiedlichsten Spektren zusammen und 36 erfolgreiche Abschiebeverhinderungen sprechen ja auch eine deutliche Sprache.

Allerdings, so räumt auch Tom ein, hat dieser Erfolg auch durchaus mit dem Wohlwollen der Osnabrücker Polizei zu tun, die in mehreren Stellungnahmen erklärte, dass man Verständnis für die Blockierer habe. Auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hält es generell für gut, wenn sich Menschen auf friedliche Weise für Flüchtlinge einsetzen, und sieht keinen Anlass, das Vorgehen der Polizei zu ändern. Mittlerweile sei es sogar schon so, erzählt Tom, dass die Polizei bei Abschiebungen gar nicht mehr auftauche und die Blockaden nurmehr reine Formsache seien.

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„Das kann sich natürlich ganz schnell ändern, wenn jetzt das Gesetz zur Neuregelung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung in Kraft tritt, das letzte Woche in Berlin beschlossen wurde. Wenn da alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die in dem Gesetz verankert sind, dann kann die politische Arbeit der letzten Jahre ganz schnell für die Katz sein." So lange das nicht aber der Fall ist, vertrauen sie aber in Osnabrück auf eine starke Zivilgesellschaft, die hinter ihnen steht und auf eine Polizei, die zumindest Verständnis zeigt für den zivilen Ungehorsam der Aktivistinnen und Aktivisten.

Göttingen – die Szenestadt

Obwohl ebenfalls in Niedersachsen liegend hatte die Polizei in Göttingen gar kein Verständnis, als sie im April 2014 einen Somalier zur Abschiebung abholen wollte und dabei auf den Widerstand von ungefähr 80 Abschiebegegnern traf.

Mit unglaublicher Härte gingen die Beamten gegen die Blockierer vor, schlugen mit Schlagstöcken um sich, setzten Pfefferspray ein und hetzten Polizeihunde auf die Menge. Zwei Aktivisten mussten mit Bisswunden behandelt werden, 16 Aktivistinnen und Aktivisten werden bis heute strafrechtlich verfolgt.

Der Vorfall im Video:

Das Ganze hatte ein öffentlichkeitswirksames Nachspiel und wurde sogar im Landtag verhandelt—führte aber auch dazu, dass sich die Situation in Göttingen mittlerweile vollkommen verändert habe, erklärt der Antirassismus-Aktivist Nima* aus Göttingen: „Normalerweise kommt das zuständige BAMF (Bundesamt für Migration), um eine Abschiebung durchzuführen. Wenn es dann zu Problemen kommt, dann wird die Polizei um Amtshilfe gebeten. Dann stehen da aber 120 Menschen vor dem Haus, und dann fahren sie einfach wieder weiter. Seit dem Vorfall 2014 werden abzuschiebende Flüchtlinge auf der anderen Seite im Abschiebebescheid aber auch dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass keine Hindernisse im Weg stehen, wenn die Behörden kommen."

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Eine Forderung, die bei der wachsenden Zahl von Abschiebegegnerinnen und -gegnern manchmal gar nicht so leicht umzusetzen ist. Bis zu 200 Personen kommen zurzeit, wenn wieder einmal dazu aufgefordert wird zu blockieren. Trotz allem setzen die Abschiebegegner in Göttingen eher auf das Mittel des stillen Widerstands.

Da es in Göttingen zwar eine starke linke Szene gibt, die sich aktiv beteiligt, aber der Rückhalt in der Zivilbevölkerung nicht so stark ausgeprägt ist wie in Osnabrück, konzentriert man sich hier eher darauf, die Abschiebungen schon im Vorfeld zu verhindern. Das bedeutet ganz konkret, dass man die Geflüchteten bei den Behördengängen begleitet und medizinische sowie juristische Möglichkeiten ausnutzt, damit es gar nicht erst zu einem Abschiebebescheid kommt.

Hier hätten in den letzten Jahren die verschiedensten Akteure wie Kirchen, Bürger*innen, Lehrer*innen, Anwält*innen, auf lokaler Ebene sehr gut zusammen gearbeitet und man habe mit dieser Taktik schon einige Abschiebungen verhindert, erzählt Nima. Seine klammheimliche Freude ist ihm anzumerken: „Auch wenn der Innenminister denkt, wir hätten nur vier Abschiebungen verhindert—in Wirklichkeit waren es über Hundert."

Die Abschiebeblockaden selbst hält Nima aus diesem Grund auch nur für einen allerletzten Notfallplan, der dann angewandt wird, wenn gar nichts anderes mehr geht. Auch er hat Angst vor der Umsetzung des neuen Aufenthaltsgesetzes und befürchtet eine Verschärfung der Repressionen.

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Allerdings hält er die linke Szene in Göttingen für so stark, dass man auch noch in absehbarer Zeit mit einer starken Gegenwehr rechnen könne. Im Landkreis Göttingen sähe die Situation zwar anders aus, was auch an den Behörden liege, die im Umland viel aggressiver und teilweise auch rassistischer vorgehen würden, aber in der Stadt selbst habe sich durch die Abschiebeblockaden der Virus der Solidarität ausgebreitet.

Trotz allem wünscht sich Nima eine kontinuierlichere Arbeit und einen stärkeren Rückhalt in der normalen Bevölkerung außerhalb der Szene: „Viele linke Gruppen machen jetzt auch Basisarbeit, das ist sehr gut. Aber gerade wenn jetzt das neue Gesetzt in Kraft tritt, brauchen wir noch mehr Vernetzung und mehr Strukturen—auch bundesweit."

Magdeburg – Wettlauf mit Magida

Über den Rückhalt aus der Bevölkerung kann sich Astrid vom Arbeitskreis Antirassismus Magdeburg nicht beklagen.

Sie arbeitet zunehmend mit Menschen zusammen, die einfach nur mit Flüchtlingen zusammen kamen, weil sie irgendwie helfen wollten. „Aber wenn du dann einen Deutschkurs gibst und da sitzt dann jemand drin, der dir erzählt, dass er in zwei Wochen abgeschoben wird, dann setzt automatisch eine Politisierung ein", erklärt sie, warum sich so viele Menschen aus der praktischen Flüchtlingshilfe in Magdeburg nun auch politisch engagieren.

So habe sich jetzt im letzten Jahr eine breite Solidaritätsbewegung in Magdeburg gebildet, die von der Anti-MAGIDA-Gruppe bis hin zum Willkommensbündnis in den verschiedenen Stadtteilen reicht. Mittlerweile seien die unterschiedlichsten antirassistischen Initiativen aktiv und die Facebook-Seite Refugees-Welcome-Magdeburg, die von einer anderen Gruppe betreut wird, sei der zentrale Ansprechpartner für alle möglichen Anfragen rund um das Thema Flüchtlinge. Gerade auch, wenn sich die sogenannten braven Bürger melden, Leute, die einfach das Bedürfnis haben zu helfen.

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Gerade diese seien es dann aber auch, die von der Abschiebepraxis und den neuen angedrohten Abschiebehaftregelungen am meisten moralisch erschüttert sind. Sie können und wollen nicht glauben, dass ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland Menschen ins Gefängnis steckt, nur weil diese den falschen Aufenthaltstitel besitzen.

„Wir sind mit vielen bürgerlichen Initiativen gut vernetzt und wir sammeln diesen zivilgesellschaftlichen Protest ein und versuchen ihn zu begleiten. Das ist ein langsamer Prozess, aber genau wie die Flüchtlinge lernen müssen, sich selbst zu organisieren, muss der Rest der Gesellschaft das eben auch lernen", betont Astrid und fügt hinzu, dass man in Magdeburg in dieser Frage aber eine ganz besondere Form des Gegenwinds zu spüren bekommt.

Im Gegensatz zu Göttingen oder gar Osnabrück sind die Behörden ganz und gar nicht begeistert vom zivilen Ungehorsam ihrer Bürgerinnen und Bürger. Namentlich der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper, im Volksmund auch gerne als König Trümper bezeichnet, sprach sich persönlich dafür aus, dass Abschiebungen in seiner Stadt auf jeden Fall durchzusetzen seien.

Nach der ersten durch das Netzwerk „Stop-Deportation-MD" erfolgreich verhinderten Abschiebung stellte sich der SPD-Mann zusammen mit dem CDU-Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, vor die Presse, drohte den Demonstranten mit Strafanzeigen und forderte eine bedingungslose Umsetzung von geltendem Recht.

OB Lutz Trümper—sieht aus und benimmt sich wie ein Bond-Bösewicht. Foto: imago/Christian Schroedter

Aus diesem Grund wurde Ende Juni dann auch ein massives Aufgebot an Polizei eingesetzt, um den Versuch, eine weitere Abschiebung zu verhindern, im Keim zu ersticken. Dabei zeigten die Beamtinnen und Beamten, was sie in Sachen Auflösung einer Blockade gelernt hatten und setzten dieses Wissen mit vollem Körpereinsatz ein.

In diesem Sinn ist der Kampf des Arbeitskreises auch immer ein Kampf gegen die Allmachtfantasien des Oberbürgermeisters, der in einem weiteren Statement auch schon angekündigt hat, dass er dafür sorgen werde, dass die Geflüchteten zukünftig den Termin ihrer Abschiebung nicht mehr mitgeteilt bekommen. Zusätzlich zum Starrsinn der Behörden kommt in Magdeburg als Problem hinzu, dass sich die antirassistischen Initiativen zunehmend auch im Visier von alten und neuen Nazis befinden, die sich im Zuge des Magdeburger Pegida-Ablegers Magida wieder verstärkt in der Öffentlichkeit zu Wort melden.

So erhielten schon mehrere Leute, die sich für Flüchtlinge engagieren, persönliche Drohungen. Das Klima in der Stadt sei stark gespalten, erklärt Astrid: „Ich würde sagen, es bleibt sehr, sehr angespannt in der Stadt. Die Nazi-Szene ist präsent, trainiert mit den Hells Angels und ist auch sonst mit denen verbandelt und bedroht zunehmend linke Aktivistinnen und Aktivisten. Auf der anderen Seite gibt es wirklich eine große Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft. Es ist also genau die Stimmung, die jederzeit umkippen kann. Das Einzige, was hilft, ist eben mehr Vernetzung mit allen Bereichen der Gesellschaft und mehr öffentlicher Druck. Dann wird das schon."