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Auf der Spur des rechtsextremen Frank S.

Die heutige Oberbürgermeisterin von Köln hat im Oktober eine Messerattacke überlebt. Wer ist der rechtsextreme Mann, der ihr noch immer den Tod wünscht?

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Ich stehe vor einem hell gestrichenen Haus in Köln-Nippes, das Licht der winterlichen Nachmittagssonne spiegelt sich in den Fenstern, die in dunkelbraune Holzrahmen eingefasst sind. Das Haus steht unter Denkmalschutz. Hier wohnte Frank S., der an einem Samstagmorgen im Oktober mit einem Butterfly-Messer auf die parteilose Kandidatin Henriette Reker losging. Frank S. stach ihr bei einer Wahlveranstaltung plötzlich in den Hals, offenbar in der Absicht, sie zu töten. Er verletzte vier weitere Personen, alle überlebten. Henriette Reker hat heute eine Narbe am Hals und sitzt nach wochenlangem Klinik-Aufenthalt als Oberbürgermeisterin im Rathaus von Köln.

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Laut dem NRW-Verfassungsschutz hatte Frank S. jahrelang Kontakte in die rechtsextremistische Szene in Bonn. Die Ermittler gehen davon aus, dass Frank S. aus fremdenfeindlichen Motiven handelte, wie ein Sprecher VICE gegenüber erklärte. Inzwischen hat die Generalbundesanwaltschaft die laufenden Ermittlungen übernommen, zum derzeitigen Stand will sich die Behörde nicht äußern. Vieles liegt noch im Dunkeln, unter welchen Umständen der Attentäter in den vergangenen Jahren in Köln lebte, ist bis heute weitgehend unbekannt.

Bier-Besorgungen am frühen Morgen

Ich fahre seit dem Anschlag im Oktober mehrfach nach Nippes, spreche mit Anwohnern und Ladenbesitzern, die Frank S. begegnet sind. Die Verkäuferin einer Tankstelle in der Nähe der Wohnung erzählt mir, dass sie am Morgen vor der Tat Bier an Frank S. verkauft hat. „An manche Leute erinnert man sich ja, aber das war ein unauffälliger Typ. Der wirkte nicht irre oder durcheinander." Frank S. war womöglich angetrunken bei seiner Tat. Er muss um circa 8 Uhr Richtung Tatort aufgebrochen sein, aber was genau er in den Minuten und Stunden unmittelbar vor der Tat machte, ist bisher nicht rekonstruiert.

An dieser Tankstelle kaufte Frank S. kurz vor der Tat Bier.

Die Straße, in der Frank S. gewohnt hat, ist von gepflegten Altbauten geprägt. Der Stadtteil hat sich in den vergangenen Jahren langsam vom Arbeiterviertel zu einer eher bürgerlichen Gegend mit jungen Familien entwickelt. Nachbarn haben um einen Baum Blumenkästen angebracht, die Blumen blühen schon, der Winter ist zu warm. An einem Laternenpfahl werden Geigen- und Klavierunterricht angeboten. Bunte Glühbirnen hängen vor einem Eckbeisl Am Straßenrand hat jemand seinen Sperrmüll abgeladen, Stühle und Hosen sind aufgeweicht vom Regen der letzten Tage.

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MOTHERBOARD: Eine Ehrenamtliche erzählt auf Reddit vom Alltag im deutschen Flüchtlingsheim

Als Frank S. Henriette Reker angriff, rief er angeblich: „Ich tue es für eure Kinder!" Die Ermittler gehen davon aus, dass der 44-Jährige Reker gezielt auswählte, weil sie sich für Flüchtlinge engagierte. Laut der Generalbundesanwaltschaft handelte es sich bei der Tat um einen vorläufigen „Höhepunkt in einer ganzen Reihe von Einschüchterungen und Bedrohungen gegen Personen, die sich zugunsten von Flüchtlingen und deren Aufnahme in Deutschland engagieren." Aus Polizeikreisen heißt es gegenüber VICE, dass Frank S. wenige Wochen vor der Tat auf den Seiten von Pro NRW und German Defence League aktiv gewesen sei. Ein psychologisches Gutachten hatte Frank S. als voll schuldfähig eingeschätzt, Polizei und Staatsanwaltschaft zogen dies nicht in Zweifel.

Der unauffällige Stammkunde

Der Kiosk von Mehmet liegt nur einen Block von der ehemaligen Wohnung von Frank S. entfernt, er will ihn auf einem Foto wiedererkannt haben. Der Kiosk-Besitzer habe Frank S. jahrelang als Kunden bedient. „Der ist eine Zeit lang fast jeden Tag zu mir gekommen. Er hat immer zwei Flaschen Bier und eine Packung Zigaretten gekauft. Er war mit seinem Fahrrad unterwegs, kam so gegen 17 Uhr, manchmal später, wohl von der Arbeit. Nehme ich mal an, weil er einen Rucksack trug und Farbkleckse auf der Kleidung hatte. Das sah aus wie Arbeitskleidung, was er trug."

Mehmet in seinem Kiosk

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Frank S. soll laut Kölner Stadt-Anzeiger als Maler und Lackierer gearbeitet haben, zuletzt aber längere Zeit arbeitslos gewesen sein und Hartz IV erhalten haben. Seine kleine Wohnung in Nippes muss wohl noch günstig genug gewesen sein, dass die Miete vom Arbeitsamt weiter getragen wurde. Das Jobcenter in Köln will sich allerdings dazu nicht äußern. Fest steht nur, dass er seit Antritt der Untersuchungshaft keinen Anspruch auf Sozialleistungen mehr hat.

Mehmet erzählt, Frank S. habe den Kiosk irgendwann sporadischer besucht und seit etwa einem Jahr sei er gar nicht mehr gekommen, um sich sein Feierabendbier zu holen. „Es war etwas komisch, mit all meinen Kunden habe ich einen guten Kontakt, die meisten sind meine Nachbarn. Wir unterhalten uns, viele erzählen mir von ihrem Leben. Aber er war immer still, nur ‚Hallo' und ‚Tschüss'."

In dieser Straße in Köln-Nippes wohnte Frank S.

Mustafa mit seinem Sohn und einem Freund im Döner-Laden

Auf der Hauptstraße des Viertels treffe ich Mustafa aus der Türkei, er hat hier einen Döner-Laden. Der Kurde ist 2002 nach Deutschland gekommen, hatte in Nippes einen Imbiss, einen Kiosk und jetzt seit bald zwei Jahren seinen Grill. Er sitzt mit einem Freund und seinem Sohn am Tisch und trinkt aus einem kleinen Glas Tee. Er meint, er kenne Nippes noch als Arbeiterviertel. Von Neonazis in Nippes will er nie etwas mitbekommen haben. „Es gefällt mir hier, ich mag die Durchmischung im Viertel. Früher gab es hier auch viele Griechen in der Umgebung, aber Nippes ist teuer geworden, vor allem die Miete für Geschäfte. Aber auch zum Wohnen: Wenn man eine Zwei-Zimmer-Wohnung haben will, dann findet man kaum etwas unter 600 Euro." Köln gilt in Nordrhein-Westfalen als die teuerste Stadt, in beliebten Wohnlagen liegt der Preis pro Quadratmeter bei zehn Euro und aufwärts.

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Die rechtsextreme Vergangenheit

Laut dem NRW-Verfassungsschutz hatte Frank S. jahrelang Kontakte in die rechtsextremistische Szene in Bonn. In den Jahren 1993 und 1994 soll er an Rudolf-Heß-Gedenkmärschen in Fulda und Luxemburg teilgenommen haben, berichtet die Antifa Bonn. Außerdem soll Frank S. mit der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) in Verbindung gestanden haben Die FAP zählte in den 1990ern zu einer der militantesten neonazistischen Organisationen in Deutschland, bis ihr der Parteistatus aberkannt und sie 1995 verboten wurde. In dieser Zeit soll Frank S. mehrfach durch das Amtsgericht Bonn für Delikte im Bereich Körperverletzung verurteilt worden sein, berichtete Spiegel Online. Offenbar erhielt er zuletzt eine Freiheitsstrafe und zog danach im Jahr 2000 nach Köln um. Das könnte auch den Kontakt mit ehemaligen Kameraden vermindert haben.

Dr. Bernd Wagner ist Begründer von Exit Deutschland, einer Initiative, die Aussteigern aus der rechtsradikalen Szene hilft. Zur FAP sagt Wagner: „Durch ein Verbot zerschlägt man nicht die gewachsenen Strukturen. Zwischen der FAP und dem NSU gibt es Bezüge. Die verschiedenen Organisationen sind über Personen miteinander verbunden. Es gibt Schlüsselfiguren, die etwa über Projekte den Kontakt zu verschiedenen Kreisen halten. So ist ein mehrdimensionales System geschaffen worden, hochkomplex und dynamisch, das ohne Führung von oben auskommt."

Wie der Verfassungsschutz NRW gegenüber VICE bestätigte, soll Frank S. sich im Jahr 2008 für die NPD interessiert haben und zuletzt sporadisch in rechtsgerichteten Online-Foren aktiv gewesen sein.

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VIDEO: Der Serienmörder „Cleveland Strangler" und seine vergessenen Opfer

Frank S. scheint seine Tat sehr genau vorbereitet zu haben. Als die Ermittler seine Wohnung durchsuchten, hatte Frank S. offenbar alle Spuren beseitigt, die auf sein Leben und seine Vergangenheit Rückschlüsse zugelassen hätten. Kein Personalausweis, keine Papiere, keine Hinweise auf die Tat, so berichten es verschiedene Medien.

„Hat man es hier tatsächlich mit einem Einzeltäter zu tun?", fragt sich Wagner. „Wenn tatsächlich alle Spuren vernichtet wurden, könnte dies womöglich auch ein Hinweis darauf sein, dass er Kameraden schützen will, mit denen er in Kontakt stand." Der NSU bestand mutmaßlich aus mindestens drei Mitgliedern und einem Unterstützernetzwerk, dessen Taten und Ausmaße im Prozess gegen Beate Zschäpe aufgeklärt werden sollen.

Das nachbarschaftliche Phantom

In einem Wirtshaus nahe beim Haus von Frank S. treffe ich Lars, der dort Küchenchef ist. „Soweit ich weiß, kennt keiner in der Straße den Attentäter. Er scheint wie ein Phantom jahrelang an allen vorbei gelebt zu haben. Selbst der Nachbar, der über ihm gewohnt hat, sagt, dass er ihn nie gesehen hat. Und der hat ja mit ihm zusammen in einem Haus gelebt." Was Nippes für ein Stadtteil ist? „Es ist eine sehr familiäre Atmosphäre. Die Leute achten aufeinander. Aber es ist auch viel im Umbruch. Früher galt Nippes als Arbeiterviertel mit hohem Ausländeranteil, hauptsächlich Türken. Die Arbeiter sind teilweise geblieben, aber die Gentrifizierung ist schon bei uns angekommen."

Küchenchef Lars

Und das schlägt sich auch in den Preisen nieder. „Mit 40 Quadratmetern Wohnung für 425 Euro ist meine Wohnung in der Lage ein Schnäppchen", freut sich Canan, die einige Straßen von der alten Wohnung von Frank S. entfernt wohnt.

Canan

Sie erzählt, dass sie als Fitnesstrainerin arbeitet. In der einen Hand hält sie einen Kaffeebecher aus Pappe, in der anderen die Leine, mit der sie ihren Hund führt. „Es ist eine ruhige Gegend, eher bürgerlich, viele junge Familien. Meine Vermieter haben großen Wert darauf gelegt, dass ich arbeite, sonst hätte ich meine Wohnung nicht bekommen." Seit einem Jahr lebt sie hier. „Ich liebe das Viertel und will hier nicht mehr weg", sagt Canan. „Ich kann als Frau auch nachts alleine nach Hause gehen, ohne Angst. In dem Stadtteil, in dem ich vorher gelebt habe, war das anders." Von dem Angreifer mit dem Messer hat sie gehört, doch dass er hier in Nippes gewohnt hat, wusste sie nicht.

Am Klingelschild der Wohnung von Frank S. steht inzwischen ein anderer Name an der Tür, möglicherweise sind längst neue Mieter eingezogen. Der mutmaßliche Reker-Attentäter sitzt unterdessen weiterhin in der JVA in Köln-Ossendorf in Untersuchungshaft. Bis zum Prozess, werden wohl weiterhin viele Fragen offen bleiben.