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Ein Geldautomaten-Räuber erzählt, wie ein Diebstahl abläuft

"Es gibt nichts Frustrierenderes als in Tinte getränkte Banknoten."

Foto von einem Unschuldigen, der einfach nur Geld abheben will | Foto: J.Ristaniemi | Flickr | CC BY-ND 2.0

Zwar verschwindet Bargeld immer mehr aus unserem Alltag, aber Münzen und Scheine bleiben trotzdem weiterhin schwerer nachzuverfolgen als digitale Transaktionen. Das und vielleicht auch noch die Tatsache, dass es sich auf einer Geldschein-Matratze echt gut schläft, machen Bargeld für zwielichtige Typen auch in Zukunft erstrebenswerter als die gute alte Überweisung. Und genau deswegen sind Bankautomaten auch so ideale Ziele für alle, die möglichst schnell an eine beträchtliche Menge Geld kommen wollen (so lange sie kein Problem mit Skimming-Tricksereien, Gasbomben oder Ramm-Einbrüchen haben). Alleine in Wien wurden dieses Jahr bereits 27 Skimming-Fälle gemeldet und auch Deutschland hat ein Problem mit Bankomatendiebstahl--2015 wurden dort mehr als 135 Geldautomaten gesprengt.

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Frankreich kennt diese Verbrechensform auch. Amine* ist einer von jenen, die nicht davor zurückschrecken, zu extremen und illegalen Mitteln zu greifen, um an Geld zu kommen. Mit fast 30 Jahren arbeitet er zwar eigentlich im Einzelhandel, bessert sein Einkommen aber trotzdem mit ein paar außergewöhnlich lukrativen Nebenbeschäftigungen auf. Er hat eingewilligt, mit mir über diese Nebenbeschäftigungen zu sprechen.

VICE: Erzähl mir doch zuerst mal ein wenig von deiner Vergangenheit.
Amine: Ich habe wohl den gleichen Weg hinter mir wie die meisten jungen Gesetzesbrecher. In der Schule hat alles mit Gras-Dealen angefangen und irgendwann bin ich dann dazu übergegangen, Motocross-Räder, Roller und Autos zu klauen. Im Grunde habe ich einfach alles gemacht, was mir schnell Geld eingebracht hat. Ich war jetzt zwar nicht wirklich reich, aber ich konnte mir doch auch ohne schwere Arbeit einiges leisten—Urlaube, Designer-Kleidung und so weiter. Mit 19 oder 20 fing ich dann einen richtigen Job an, aber meinen Nebenverdienst habe ich trotzdem nie ad acta gelegt. Man hat mich ja auch noch nie erwischt und das ist schon ein Ansporn, immer weiterzumachen.

Wie kamst du dann von solchen "Bagatellen" dazu, Bankautomaten zu knacken?
Ich habe einfach die richtigen bzw. die falschen Leute kennengelernt und mich dann mit ihnen angefreundet, weil sie so sind wie ich: einfallsreich, ernsthaft und motiviert, so schnell wie möglich viel Geld zu verdienen. So hat sich auch unsere sechs- oder siebenköpfige Bande gebildet. Unsere Spezialität waren früher Raubüberfälle, aber inzwischen haben wir auch schon einige Einbrüche und Autoraube durchgezogen. Oft sind wir aber gar nicht alle zusammen unterwegs, denn bei einem einfachen Einbruch müssen gar nicht alle dabei sein.

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Ihr seid also so etwas wie eine Gang?
Im Grunde schon. Wir ziehen nur dann Dinger, wenn wir einen konkreten Plan haben und nichts dem Zufall überlassen müssen. Das hat uns auch einen gewissen Ruf eingebracht. Dieser Ruf hat zur Folge, dass man uns oft Bescheid sagt, wenn irgendein Händler seine Gewinne zum Beispiel bei sich zu Hause aufbewahrt. Dann wägen wir die Vor- und Nachteile gegeneinander ab und entscheiden schließlich, ob wir die Sache durchziehen oder nicht. Solche Tipps kommen normalerweise von Freunden oder Verwandten des Opfers. Betrogene Frauen sehen in solchen Dingen oftmals eine Chance, Rache zu üben und dabei noch ein bisschen Geld zu machen.

Ich musste allerdings auch schon mal handgreiflich werden oder mit Drohungen um mich werfen, als es zu Widerstand kam.

Denkst du jemals über die Menschen nach, denen du damit schadest?
Nein. Ich bin kein Robin Hood, der nur von irgendwelchen kapitalistischen Unternehmen stiehlt. Mir ist es vollkommen egal, wen es trifft. Ich habe es halt lieber, wenn sich das Geld in meinen Taschen befindet. Ich habe noch nie jemanden getötet und wenn die Leute kooperieren, dann passiert ihnen auch nichts. Ich musste allerdings auch schon mal handgreiflich werden oder mit Drohungen um mich werfen, als es zu Widerstand kam. Für mich ist das jedoch einfach Teil des Jobs. Es ist jetzt nicht so, dass ich nachts nicht schlafen kann, weil ich bei irgendjemandem psychologischen Schaden angerichtet habe. Ich beschäftige mich einfach nicht mit den Opfern oder dem Einfluss, den ich vielleicht auf sie habe.

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Wie kam es dann dazu, dass du einen Geldautomaten geknackt hast?
Eines Tages lernten wir einen ehemaligen Bankräuber kennen, der wusste, wie man das macht. Du wählst ja nicht einfach nur irgendeine Bank aus und legst dann ohne Plan los. Ich kann hier jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber in einigen Gegenden liefern Kuriere das Bargeld zu den Angestellten, die die Bankautomaten "auffüllen". Sie parken dann auch parallel zu den Automaten, um einem Ramm-Einbruch vorzubeugen.

Anderswo ist dieser Geldautomat-Auffüller allein. Genau danach suchen wir. Niemand will ein Blutbad riskieren, wenn am Ende nur 40.000 Euro pro Nase rausspringen. Außerdem ist es wichtig zu wissen, ob die Bank ihre Geldschein-Lieferungen mit sogenannten Sicherheitspäckchen ausstattet oder nicht. Es gibt nämlich nichts Frustrierenderes als in Tinte getränkte Banknoten.

Verstehe. Und was passiert dann?
Man wartet ab, bis die Typen den Automaten auffüllen. Der Schlüssel liegt im richtigen Timing; und auch in der Location. Der Geldautomat muss sich nämlich an einem Ort befinden, wo wir einen Ramm-Überfall durchziehen können. Das heißt, dass wir mit unserem Auto in die Tür neben dem Automaten reinfahren—also die Tür, die der Auffüller benutzt. Der Bodenbelag darf uns bei der Flucht nicht bremsen und der Geldautomat muss sich im Freien befinden bzw. es muss zumindest möglich sein, direkt daneben zu parken.

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Wie bereitet man sich auf so etwas vor?
Im Vorfeld joggen wir immer viel, um fit zu bleiben. Man muss sich auf seine Beine verlassen können, falls Schwierigkeiten aufkommen. Außerdem wird man so besser mit dem Stress fertig. Während des Überfalls schlägt einem das Herz nämlich bis zum Hals, aber Ruhe ist trotzdem unabdingbar.

Schließlich beginnt die Überwachung des Bankautomaten. Man parkt in einer ruhigen Ecke und behält das Ding dann stundenlang im Auge, um herauszufinden, wann die Auffüller vorbeikommen. Dabei werden deren Schichtpläne und Routen ersichtlich. So muss man mehrere Wochen lang vorgehen, um am großen Tag jegliche Überraschungen zu vermeiden.

Natürlich dürfen die Anwohner aber auch keinen Verdacht schöpfen. Deshalb machen wir es immer folgendermaßen: Zwei von uns beschäftigen sich mit dem Geldautomaten und zwei andere schauen, dass die Polizei das Teil nicht überwacht. Dabei stehen wir durch unsere Handys in ständigem Kontakt. Um unsere Anonymität zu wahren, benutzen wir ausschließlich Wegwerf-SIM-Karten. Außerdem schalten wir unsere Handys immer nur in der ausgesuchten Gegend und niemals irgendwo bei uns zu Hause ein.

Ein geschmolzener Geldautomat | Foto: WedlockPictures | Flickr | CC BY 2.0

Was habt ihr bei der Planung eurer Flucht alles beachtet?
Wir mussten die Distanz zwischen dem Geldautomaten und dem nächsten Polizeirevier ermitteln, um herauszufinden, wie schnell die Polizei da sein würde. Außerdem war es essentiell zu wissen, wo die Stadt Überwachungskameras angebracht hat, denn die Polizei setzt die bei ihren Ermittlungen ausgiebig ein. Also mussten wir unser Fluchtauto an einem Ort parken, wo es keine Kamera sieht.

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Was habt ihr sonst noch gebraucht?
Wir hatten drei gestohlene Autos und eine Pistole, nur zur Sicherheit. Wir haben die Autos von Profis stehlen lassen—man kann sie bezahlen, damit sie das machen und auch alle GPS-Systeme entfernen. Solche Systeme gibt es immer häufiger in großen Autos. Wir haben die Autodiebe um drei Sportwagen und ein Auto mit Allradantrieb, sozusagen als Rammbock, gebeten. Das hat uns 9.000 Euro gekostet. Wir hätten es alles selber organisieren können, aber wir hatten nicht genug Zeit, weil wir für den Raub noch so viel anderes vorbereiten mussten. Die Waffe haben wir durch unser Netzwerk bekommen—da betrug der Preis etwa 1.500 Euro.

Und als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, was war da noch zu tun?
Wir hatten etwa drei oder vier Stunden vor dem Einsatz ein Meeting, nur um zu sehen, ob alles in Ordnung war und alle wussten, was sie zu tun hatten. Nach diesem Meeting ist einer von uns los, um ein Auto direkt vor dem Geldautomaten zu parken, damit uns niemand den Platz wegnimmt. In der Zwischenzeit stellten wir ein Auto draußen auf dem Land ab—damit würden wir dann sicher nach Hause kommen. Sobald das alles fertig war, trafen wir uns in einer Garage, um uns auf die zwei verbleibenden Autos zu verteilen. Ich war in dem Allrad-Rammbock und meine drei Partner in einem Auto von einem deutschen Hersteller.

Wir fuhren zum Geldautomaten, parkten in einiger Entfernung und warteten auf den Geldautomaten-Auffüller. Ich stellte meine Stoppuhr und als die Zeit um war, rammte ich meinen Wagen in die Tür neben dem Automaten. Sie gab ganz einfach nach. Meine Kollegen waren mit ihrem Auto direkt hinter mir, und zwei von ihnen rannten in das kleine Zimmer und hielten den Automaten-Auffüller in Schach, während der Letzte von uns die Wache an der Tür mit der Pistole bedrohte. Innerhalb von drei Minuten hatten wir unser Auto mit Scheinen in allen Farben gefüllt. Ich hatte gerade genug Zeit, um meinen Geländewagen in Brand zu stecken, damit keine Fingerabdrücke oder Genmaterial zurückbleiben würden. Dann setzten wir uns alle ins Fluchtauto und einer meiner Kollegen drückte aufs Gas, bis wir auf dem Land waren. Mitten in der Nacht mit 180 km/h und ohne Licht durch enge Straßen zu heizen, war wirklich furchterregend.

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Was ist dann passiert?
Wir haben uns einen stillen Ort gesucht, um das Geld aufzuteilen, und sind dann getrennte Wege gegangen. Ich habe viele Stunden lang mein Geld gezählt. In der ersten Nacht war ich zu aufgeregt, um zu schlafen. Ehrlich gesagt ist das Beste, was einem Mann in seinem Leben passieren kann, einen dicken Batzen Geld zu zählen. Als ich wieder auf dem Boden der Tatsachen stehen konnte, buchte ich einen Urlaub im Ausland. Ich hatte eine Pause nötig, nachdem ich zwei Monate lang sieben Tage die Woche gearbeitet hatte.

Warum hast du denn keinen Urlaub in Frankreich gebucht?
Mit dem Raub von 145.000 Euro davonzukommen, ist schon keine Kleinigkeit. Die Polizei tut in ihrer Macht Stehende, also wollten wir unter dem Radar bleiben. Und es ist sehr wichtig, dass nur die Beteiligten selbst etwas von dem Raub wissen. Die Bullen sind gewillt, kleine Dealer davonkommen zu lassen, wenn sie dafür Hinweise liefern. Also sind wir niemals sicher vor Leuten, die einfach nur ihren eigenen Arsch retten wollen. Ein Hinweis ist nicht genug, um uns hinter Gitter zu bringen, aber es würde ihnen helfen, denn dann wären sie schon einmal auf dem richtigen Weg. Aber wenn man alles richtig gemacht hat, dann hat man nach dem Raub auch nichts zu befürchten—außer, die Polizei fängt plötzlich mit revolutionären Ermittlungstaktiken an.

*Name aus offensichtlichen Gründen geändert