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Kambodschas Staatsgewalt oder „Hat hier jemand nach eurer Meinung gefragt?“

Die gewaltsamen Ausschreitungen gegen portestierende Textilarbeiter in Kambodscha sind ein trauriger Höhepunkt im Umgang mit Menschen, die gegen ihre Arbeitsarmut ankämpfen.

Foto von Daniel Göschl

Fast scheint es so als hätte Kambodscha eine Patentlösung für seine Demonstrationskultur gefunden. Politische Partizipation hat sich auf Regierungslinie abzuspielen bzw. sich nach dem immerhin schon seit fast 30 Jahren amtierenden und augenscheinlich nicht mehr aus dem Premierminstersessel herauszulösenden CPP-Capo Hun Sen zu richten. Die vorgesetzte Suppe muss stillschweigend gegessen werden. Wird zu lang gegen den Strich gebürstet, kommt die Militärpolizei, die meist nach dem Motto „Goschn halten" wild in die Demonstrationen schießt. Der Finger liegt dabei konstant relativ locker am Abzug.

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Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Textilarbeiterproteste vergangenen Freitag in Phnom Penh. Zuerst „nur" von einem, später von drei die Rede, stieg die Anzahl der bestätigten durch Polizeikugeln getöteten Opfer relativ schnell auf mindestens fünf Menschen an. Weiter bleiben mehr als 20 Verletzte und einigen Festgenommene zurück. Die Polizei knüpft damit nahtlos an die einige Wochen zuvor stattfindenden „Maßregelungen" an. Dabei wurde eine unbeteiligte Reisverkäuferin erschossen und mindestens 6 weitere, nicht an der Demonstration Teilnehmende angeschossen. Darin Involvierte nicht gezählt.

Die Bekleidungsindustrie zählt zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Kambodschas. Mehr als 600.000 Menschen sind in den Hunderten, sich meist in ausländischer Hand befindenden Firmen, angestellt. Da die Arbeitskosten zu den billigsten der Welt zählen, stehen auch westliche Unternehmen sofort freudig vor der Tür, um in Kambodscha produzieren zulassen. Konzerne wie GAP, Walmart, H&M, Puma, Adidas (oder wo wir halt sonst so unsere Kleidung kaufen) agieren dabei an vorderster Stelle.

Foto von Daniel Göschl

Seit Wochen demonstrieren Arbeiter der Textilfabriken für bessere Löhne und folgen dem Aufruf der Gewerkschaften nach einem landesweiten Streik. Neuerlicher Anlass ist der Beschluss des Beratungskomitees des Arbeitsministeriums von einem neuen monatlichen Mindestlohn von 65 bis 95 Dollar weniger als gefordert. Später wurde der Mindestlohn zwar um weitere 5 Dollar erhöht, eine Anhebung über 100 Dollar wird von Premierminister Hun Sen jedoch abgelehnt. Oppositionsführer Sam Rainsy hingegen versprach den Gewerkschaften bei einem Wahlsieg (der ihm aus kryptischen und Gründen und verschwundenen Wählerlisten verwehrt blieb) den Mindestlohn auf mindestens 160 Dollar anzuheben.

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Die Warnungen, mich bloß nicht in die Nähe zu begeben, beflügelten meine puerilistische (wenn auch nicht unbedingt naive) Neugierde eher, als dass sie mich abschrecken. Nach fast vier Monaten in Kambodscha habe ich mir zumindest einen relativen Überblick darüber verschaffen können, was sich demonstrationsmäßig so abspielt. Und nach fast einem Jahr Asien bin ich auch schon an einiges gewöhnt.

Mit einem Jausensackerl in der rechten Hand, einer Wasserflasche in der linken und investigativem Interesse überall sonst, verließ ich Freitag Vormittag vor einer Woche meine Bleibe und begab mich in Richtung besetzter Veng Sreng Street und dessen, was die lokale Menschenrechtsgruppe Licadho später als „die härteste Gewaltaktion gegen Zivilisten der letzten 15 Jahre" und als den „schlimmsten Vorfall, der jemals die Kleidungsindustrie des Landes erschütterte" bezeichnete.

Natürlich wusste ich das dann noch nicht. Was ich jedoch wusste war, dass die verschiedenen Proteste und Demonstrationen, die immer mehr ineinanderfließen, wieder einmal an einem ihrer Höhepunkte angekommen waren. Und den konnte und will ich mir als politisch und am Leben interessierter Mensch nicht entgehen lassen.

Zugespitzt hatte sich die Situation nach wochenlangen Protesten vergangenen Donnerstag, als Jugendliche die Misshandlungen und Verhaftungen von 15 Demonstranten dadurch beantworteten, dass sie sich, mit Molotov-Cocktails in den Händen, hinter Straßenblockaden und brennenden Reifen verschanzten. Als sich Demonstranten und Sicherheitskräfte gegenüberstanden, begannen Soldaten Wasserflaschen zu werfen, schossen laut Zeugen mit Steinschleudern Steine auf die Demonstranten, rissen Menschen von ihren Motorrädern, schlugen sie zusammen und zogen sie in die Fabriksgebäude. Der nächste Gewaltausbruch spielte sich gegen Mittag ab, als mindestens 3 Mönche zusammengeschlagen und in die Gebäude gezogen wurden. Ein vierter Mönch wurde bewusstlos geschlagen und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Dies führte—wenig überraschend—zu weiteren Ausschreitungen auf beiden Seiten.

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Auf Seite 2 geht es weiter mit Ungerechtigkeiten aus Tränengas, Blendgranaten und Schlagstöcken.

Foto von Daniel Göschl

Als die U.N. und einige Menschenrechtsorganisationen eintrafen, um die Lage auszukundschaften, waren die Verhafteten schon abtransportiert und die Organisationen fanden nur noch Bluttropfen am Boden der Fabriken vor. Die Menschenrechtsgruppen Licadho und das Community Legal Aducation Center nennen den Vorfall „beispielslos" und eine „gewalttätige Maßregelung" von „Soldaten mit einer Vielzahl von Waffen".

„Das Verhalten derBehörden ist ein eklatanter Angriff auf die Versammlungsfreiheit der kambodschanischen Arbeitervereinigung und einen offenkundlicher und illegaler Versuch einen legalen Streik zu brechen", setzt sich die Stellungsnahme fort.

Den ganzen Tag hindurch kam es zu Konfrontationen zwischen Steine werfenden Demonstranten und mit Kalashnikovs zurückfeuernden Sicherheitskräften, bis die Situation schließlich am Freitag, dem Tag des besagten Spaziergangs, vor einem Industriekomplex in  Phnom Penhs Bezirk Por Sen Chey eskalierte.

Zwar befand ich mich nicht unmittelbar im Zentrum des Geschehens (was einen ziemlich tödlichen und morbiden Beigeschmack gehabt hätte), die Insel der Seeligen war aber auch noch einige Ozeane entfernt und mein Blickfeld durch die Begebenheiten etwas getrübt.

Auf meinen Schultern streiten sich das kleine Engelchen und das kleine Teufelchen was zu tun sei? Während das Engelchen vernünftigerweise dafür plädierte, dass ich mich schnellstens in Sicherheit bringe, propagierte mein Teufelchen dafür, meine Schaulust zu befriedigen und sie einfach als Journalismus zu tarnen.

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Unbeeindruckt von meinem moralischen Dilemma und innerlichem Kampf, schleichte sich zeitgleich eine mit Sturmgewehr bewaffnete Elite-Einheit von der Maschekseite an die Demonstration an und bombardierte diese mit Tränengas, Blendgranaten und ähnlichem. neben der Demonstration auch auf die naheliegenden Balkone.

Foto von Daniel Göschl

Die Bewohner der Umgebung werden mit Lautsprecherdurchsagen davor gewarnt, ihr Haus zu verlassen, da jeder sich auf der Straße befindende Mensch „sich nur hier befände, da er ein Extremist sei" und gegen den deshalb auch „entsprechend vorgegangen" werde. Das hält  eine Vielzahl von Beobachtern jedoch nicht davon ab, der Szene von den Seiten beizuwohnen.

Ich hingegen gebe meinen Überlebensinstinkten den Vorzug, schleiche mich zurück ins Guesthouse, wickle mich in ein Fleecedecke und kuschel mich in meine Matratze. Während einige Strassen weiter die Kugeln die Luft und Kniescheiben zerfetzen, surrt neben mir nur der Standventilator monoton vor sich hin.

Das Verteidigungsministerium meldet sich währendessen in einem zweiseitigen Statement mit der Nachricht, dass die Royal Cambodian Armed Forces (RCAF) die Pflicht habe, Premierminister Hun Sen und die Wahlergebnisse zu schützen. Dass ein Großteil der CPP-Parteielite in beiden Situationen sitzt, verwundert dabei nur mäßig.

Nachdem ich den nächsten Tag damit verbringe, mit einem Buch neben mir und über einen vietnamesischen Kaffee gebeugt, über Gott und die Welt zu sinnieren, bahnt sich wieder etwas an. Durch meine Unterkunftwahl direkt am Ort des Geschehens, muss ich mich nicht einmal eine weite Reise antreten. Ich vernehme Tumulte und Schreie, greif nach meinem Kaffee, bewege mich Richtung Balkon, drehe um, hebe mein vergessenes Buch auf und setze mich auf die Terrasse, wo ich einen VIP Platz bei „Operation Unterdrückung – the next generation" genieße. Entweder die Behörden haben Angst vor erneuten Ausschreitungen, sie sind im Gewaltmodus gerade so schön drinnen (oder beides).

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Auf jedem Fall kann ich behelmten Staatsbediensteten dabei zusehen wie sie genüsslich das (von der Oppositionspartei CNRP getragene) Protestcamp im „Freedompark" aufgelösen. Von einer fadisierten Bereitschaftspolizei überwacht, werden Bühne und Errichtungen eingerissen und mit diversen Materialien malträtiert, während sich eine andere Gruppe um die Demonstranten kümmert. Egal um welche Demonstrationen es sich auch handelt, Polizisten, die mit gezogenen Schlagstöcken in Rambo-Manier auf Mönche mit erhobenen Händen zurennen und Gruppen von Beamten, die auf am Boden liegende Menschen einprügeln scheinen zum Standardrepartoire der Exekutive zu gehören.

Mit dieser Aktion scheint (zumindest kurzfristig) die revolutionäre Stimmung am Platz gegenüber meines Hostels, in der ich mich so gerne gesuhlt habe, erstickt worden zu sein.

Die entgegenkommenden Tuk-Tuks mit parolenschreienden Mönchen; die Autos, von deren Ladeflächen, flaggenschwingende Jugendliche zu mir hinunterrufen (und die mich beängstigenderweise an die Bilder der ankommenden Khmer Rouge erinnern), mit "Neuwahl"-Kampfstirnband betuchte Jugendliche, die mit mir die Situation zelebrieren wollen und UN-SUVs, die mit verdunkelten Windschutzscheiben traurig in der Maße stecken bleiben. Vorbei für jetzt.

Von 20.000 über 100.000 Teilnehmer zu einem zerstörten und „unbefriedeten" Park in wenigen Tagen. Kambodscha weiß, wie seine Bewohner ruhigzustellen sind (oder zumindest, wie man sie am besten zerstreut und Massenansammlungen effizient auflöst).

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Die (Textilarbeiter-)Proteste haben sich—wie nicht selten, wenn Proteste im Dunstkreis autoritärer Regierungen stattfinden—relativ schnell zum Schneewitchenapfel der Parteipolitik gewandelt, was nicht im Sinne der Sache ist.

Regierung und Opposition werfen sich gegenseitig Beschuldigungen an den Kopf und vereinnahmen bzw. missbrauchen die tragische Situation, um ihre präventiven, lax  geschriebenen Reden und verstaubten Anliegen loszuwerden.

So sprechen Regierungsvertreter davon, nicht Demonstranten sondern „Aufständische" erschossen zu haben. Das Arbeitsministerium gibt außerdem an, die meisten Arbeiter wären sowieso mit 100 Dollar Lohn zufrieden und macht die Opposition für die eskalierende Gewalt verantwortlich.

Ken Loo, Generalsekretär des kambodschanischen Textilherstellungsverbands,  meint die Tode und Verletzungen lägen nicht in der Verantwortung der Fabriksbesitzer und bezweifelt, dass es sich bei den Opfern überhaupt um Textilarbeiter handelt, was 19 der Verletzten, unter ihnen auch 4 Frauen (und einige davon wurden sogar mehrmals angeschossen), widerlegen.

Die  Opposition hingegen sieht das alles nur als Bestätigung ihrer „Schon lange vermeldet"-Agenda und spricht sich gegen die Unverhältnismäßigkeit aus; wettert gegen die CPP und pinselt Orwell'sche Szenarien an die Wand.

Währenddessen tritt die U.N. auf den Plan, verurteilt die scharfe Munition und ruft zu einer Untersuchung auf. Zusammen mit Vertretern der Phnom Penh Municipality und 6 Handelsorganisationen trafen sich Vertreter des UNOHCHR (U.N. Office of the High Commissioner for Human Rights in Cambodia) Freitagabend zur Krisensitzung und besprachen den weiteren Verlauf.

Die Orte des Geschehens spiegeln sich derweil in Baustellen, Rauchsäulen, Blutlachen und brennenden Barrikaden.