FYI.

This story is over 5 years old.

GAMES

Dieses Game gibt der Wehrmacht eine zweite Chance

„Frontline: Road to Moscow“ ist eines der meistgekauften Spiele im deutschen iTunes-Store. Warum macht es so vielen Leuten Spaß, als Wehrmachtsgeneral in Russland einzufallen?

Alle Screenshots aus dem Spiel oder dem iTunes-App Store.

Im Strategiespiel Frontline: Road to Moscow sollen Spieler Hitlers Träume Wirklichkeit werden lassen und als Wehrmacht Moskau erobern. Das Design benutzt realistische Wehrmachtsuniformen, auf dem Startbildschirm ist eine Generalsmütze abgebildet, auf der man ohne viel Phantasie ein Hakenkreuz unter dem Reichsadler erkennen kann.

Ich kaufe mir die App für 2,69€ im iTunes Store und werde begrüßt von einem Video mit Kriegsbildern und dem Untertitel „Op. Barbarossa 1941". Die erste Mission führt mich ins litauische Kaunas, das ich aus den Klauen des bolschewistischen Monsters befreien soll. Der Eingangstext erklärt mir den Sinn des Unternehmens: „Die Invasion ist Teil von Hitlers größerem Plan, dem deutschen Volk mehr Lebensraum und Rohstoffe zu verschaffen." Oha.

Anzeige

Ein Spiel, in der man aus der Perspektive von Hitlers „Volk ohne Raum"-Ideologie kämpft, im Jahr 2014? Natürlich gab es sowas schon öfters. Aber dass „Frontline" eines der beliebtesten iPad-Spiele zu einer Zeit ist, da die Frage nach deutscher Abhängigkeit von russischen Rohstoffen eine ganz andere Aktualität hat—irgendwie bedenklich. Die Sowjet-Perspektive gibt es in „Frontline: Road to Moscow" nicht.

Das Siegel des „Landkommissars" hat statt der Swastika ein Eisernes Kreuz unter dem Reichsadler, eine Standardmethode von Spieleentwicklern, der Indizierung zu entgehen. Das Logo des Spiels benutzt absurder Weise Hammer und Sichel. Ich bin nun also Teil der Heeresgruppe Mitte, und zwar als General der Wehrmacht. Zumindest begrüßt mich mein treuer Adjutant Günther so an der Ostfront, nur das „Guten Tag" ist nicht ganz realistisch:

Ich habe hier nicht die Absicht, dieses Spiel durchzuspielen und zu besprechen, denn ich bin ziemlich schlecht in sowas. Nach drei Runden werden meine grauen Landser von den rosa Sowjetpanzern zermalmt, ich bekomme keinen Nachschub mehr und lege das iPad weg. Ein glimpflicher Ausgang, wenn ich an meine Großonkels denke, die bei Stalingrad gefallen oder fast erfroren sind.

Lese ich bei den sachkundigen Kollegen richtig, soll „Frontline: Road to Moscow" Spaß machen, also rein strategisch gesehen. Aber mit Blick auf die Geschichte muss man sich doch fragen: Hat ein Spiel, das deutschen Usern in Aussicht stellt, den Russlandfeldzug doch noch zu gewinnen, etwas auf unseren iPads zu suchen? Revanchismus ist schließlich eines der zentralen rechtsradikalen Themen seit 1945.

Anzeige

Ich frage bei der Entwicklerfirma mit dem vielsagenden Namen „88mm Games" an, die ihren Sitz in Bukarest hat.

VICE: Eure Firma heißt „88mm Games". Ist das eine Anspielung auf Nazi-Zahlensymbolik?
Madalin Georgescu: Oh wow! Nein, definitiv nicht. 88mm hat für uns eine doppelte Bedeutung: Es ist eine der berühmtesten Flak-Kanonen im Zweiten Weltkrieg, und außerdem ist es das Geburtsdatum eines unserer Mitgründer (8.8.80).

Ihr verwendet realistische Symbole der Wehrmacht. Damit assoziiert man natürlich auch ihre Kriegsverbrechen. Aber die kommen bei euch nicht vor.
Wir haben genau darauf geachtet, dass es keine Nazisymbole oder SS-Namen gibt. Mit allem anderen, was mit Deutschland oder Russland zu tun hat, haben wir versucht sehr genau zu sein. So lange sie keine Kriegsverbrechen, politische Ansichten oder Nazisymbole enthalten, haben wir historische Begebenheiten verwendet. Unser Hauptfokus war, die Kämpfe aus strategischer Sicht zu schildern.

Glaubst du, dass es immer noch einen Markt für Spiele gibt, in denen Deutsche den verlorenen Krieg doch noch gewinnen können?
Ob Zufall oder nicht, es gibt derzeit mehrere Ostfront-Spiele, also scheint ein Markt dafür zu existieren. Man kann bei „Frontline" nichts außerhalb der Ereignisse machen, die in Geschichtsbüchern stehen. Zum Beispiel gibt es die Schlacht um Tula, in der man sehr nah an Moskau herankommt, aber es nie besetzen kann. Wir wollten kein Was-Wenn-Spiel machen. Am Ende des Spiels wird die deutsche Armee zum Rückzug gezwungen, und im Epilogfilm werden Kriegsfolgen und Verluste an der Front thematisiert.

Anzeige

Hätte ich „Frontline" nur mal durchgespielt, dann wüsste ich nun, dass Deutschland am Ende verlieren muss. Aber mit diesem Spoiler wirbt es sich natürlich schlecht—zu lesen ist davon nichts. In Brasilien und Südkorea wurde das Spiel wegen expliziter Gewalt aus den Appstores verbannt. Auf meine Frage, ob man darüber auch hier nachgedacht hat, bekomme ich von Apple keine Antwort. Die User sind überwiegend begeistert:

Die Diskussion um Spiele über den Zweiten Weltkrieg ist alt. 1994 wurde das Spiel „Panzer General" indiziert, in dem man als Wehrmacht die ganze Welt erobern konnte. Eine Wiederauflage als App namens „Panzer Corps" stammt übrigens aus dem gleichen Haus wie „Frontline", auch hier hält man sich an den Verlauf der Geschichte. Auch sie soll verdammt Spaß machen, wenn man diese enthusiastische Gamestar-Besprechung liest, man beachte die hirnlosen Zwischenüberschriften „Eine Armee zum Verlieben" und „We speak German. Irgendwann." Eine historisch informierte Perspektive gibt es unter Strategiespielern anscheinend kaum, kritische Stimmen sind selten.

Natürlich sind wir hier noch lange nicht bei Neonazi-Spielen wie dem berüchtigten „KZ Manager". „Frontline" ist nur ein Kriegsspiel. Aber das ist ja genau das Problem. So gefährlich „KZ Manager" war—es leugnete die Shoa nicht, sondern machte eine zynische Simulation daraus. „Frontline" lässt den Spieler dagegen in die Rolle einer „reinen" Wehrmacht schlüpfen, die mit Kriegsverbrechen nichts zu tun hat, sondern tapfer kämpft. Dabei wird die absurde Mission ja eingangs erwähnt: Hitlers „Lebensraum"-Politik.

Solange der iTunes-Appstore nichts unternimmt, klingelt bei „88mm Games" die Kasse mit geschichtsrevisionistischen Kriegsspielen. Man plant laut Facebook bereits ein Spiel namens „Wheels of Terror", nach einem Roman des dänischen Wehrmachtsfreiwilligen Sven Hassel von 1958, dessen Bücher in Deutschland gerne in rechten Kreisen gelesen wurden. Auf dem Cover der englischen Ausgabe ist sein Name mit Siegrunen dargestellt.