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Popkultur

'FEMEN – Mit Leib und Seele': Atheistische Tittenkunst à discrétion

Dieser Film schreit dir die Meinung ins Gesicht und haut dir den Feminismus um die Ohren. Trotzdem ist er gut!

Titelbild von | |

javierridn

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Die Frauen von FEMEN glauben nicht an Gott, denn gäbe es ihn, würden die Tiere im Kiewer Zoo nicht verhungern und Oksana Makar wäre nicht massenvergewaltigt und angezündet worden. Gäbe es einen Gott, hätte er Brüste und eine Vagina. Gäbe es einen Gott, hätte er den Menschen nicht dem Tier übergeordnet und den Männern nicht das Gefühl gegeben, der Penis regiere die Welt. Aber „gäbe es" gibt es nicht. FEMEN kämpfen einen gottlosen Kampf. Sie werfen blutige Innereien vor die Tore des grössten ukrainischen Zoos, den sie als Schlachthaus und dessen Angestellte als Killer beschimpfen. Sie stellen sich breitbeinig auf das Dach der Generalstaatsanwaltschaft in Kiew und fordern blutige Rache an den Bastarden, die Oksana töteten.

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Foto von endeknews | Flickr | CC by 2.0

FEMEN schreit der ganzen Ukraine die Meinung ins Gesicht. Ihre Parolen klingen von den Strassen Kiews bis in die Schweizer Kinos. Hier wird seit letzten Freitag Alain Margots Film FEMEN – Mit Leib und Seele auf die Leinwand projiziert. Der Westschweizer Regisseur begleitete die Aktivistinnen seit 2011 und dokumentiert ihren unerbittlichen Kampf gegen das Patriarchat und für die Freiheit der Frauen.

Foto von FilmCoopi

Den Film als „nacktes und ungeschminktes Porträt" von FEMEN zu loben, wäre aber zu pauschal. Intimität gibt es nicht à discrétion, obwohl dem Zuschauer Brüste serviert werden wie Chicken Wings im All-you-can-eat-Restaurant. Intim wird der Film in kleinen Portionen und zumeist sittlich gekleidet. Zum Beispiel dann, wenn die Protagonistin Oxana Shachko auf dem Schoss ihrer Mutter sitzt und diese die Sorge um ihre Tochter mit Hilfe von Galgenhumor verdrängen möchte. In Saudi-Arabien oben ohne bei einem Protest mitzulaufen, ist nicht wirklich harmlos.

Foto von FilmCoopi

Gäbe es nun doch einen Gott, wäre das Kettensägenmassaker am Holzkreuz in Kiew ziemlich blasphemisch und keine hundert „Ave Marias" könnten Busse tun. Es gibt definitiv keinen Gott. Die FEMEN-Aktivistin, Inna Shevchenko, ist schließlich aufgrund ihrer brachialen Solidaritätsaktion für Pussy Riot nicht zur Hölle sondern ins Exil gegangen. Und Oxana, eine gelernte Ikonenmalerin, hat anstatt Kirchenwände mit Heiligenbildern zu verzieren, der Kirche den Mittelfinger gezeigt und bepinselt jetzt Brüste von FEMEN mit „Fuck God".

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Foto von FilmCoopi

Bei FEMEN wird der Mittelfinger aber auch inflationär gezeigt, besonders gerne verschiedensten Religionsvertretern, der EM 2012 und natürlich Putins Visage. Diese Fuck-you-Attitüde ist grundsätzlich nichts Schlechtes, aber was in Alain Margots Film teilweise fehlt, ist eine Begründung dafür und eine Meinung dagegen. Solche Gründe, Gegendarstellungen und ein paar extra Mittelfinger habe ich mir geholt beim Interview mit Oxana Shachko, Yana Zhdanova und Sasha Shevchenko von FEMEN:

VICE: Rückt Alain Margot die Titten von FEMEN ins richtige Licht? Ist FEMEN tatsächlich das, was wir da auf der Leinwand sehen?
Über viele unsere Proteste ist in letzter Zeit reisserisch berichtet worden. Dieser Film zeigt die Aktionen in allen Facetten und uns im privaten Leben. Eine Mischung, die sehr realitätsnahe ist. Realitätsnahe und sicher der beste Weg, unsere Bewegung wahrheitsgetreu darzustellen.

Früher zählte FEMEN keine zehn ukrainische Nasen. Heute seid ihr über 300 und international. Euer Bootcamp rekrutiert FEMEN-Soldatinnen, der Online-Shop verkauft Abdrücke eurer Brüste als abstrakte Kunst und jetzt der Kinofilm. Kämpft ihr noch oder seid ihr nicht schon lange Statisten im kommerziellen Werbezirkus?
Du stellst lustige Fragen. Natürlich geht es nicht ums grosse Geld.

Im Bootcamp würde mir die Oben-ohne-Kampfkunst also gratis beigebracht werden?
Klar wäre das gratis. Wir sind kein Fitnessclub.

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Apropos. Im Film heisst es, dass Frauen stärker als Männer seien. Oxana, denkst du so, weil dein Vater arbeitslos und alkoholabhängig ist?
Ich sage das nicht nur wegen meinem Vater. Man muss sich nur die aktuelle Weltlage anschauen. Da komme ich einfach zu der Überzeugung, dass Frauen stärker sind als Männer. Nur mit der Kraft der Frauen können wir die Krise des kapitalistischen Systems überwinden.

Müssten in einer gleichberechtigten Gesellschaft, Frauen nicht ebenso stark wie Männer sein oder was meinst du, Sasha?
Nein. Zwar sollten unsere Rechte gleich sein, unsere Körper sind es aber nicht. Frauen können Kinder gebären und neue Generationen schaffen, Männer können das nicht. Es ist nicht nett so etwas zu sagen und die Männer werden nicht glücklich damit sein, aber es ist wahr: Wir sind nicht gleich.

Auch René Kuhn, unser Schweizer Antifeminist, muss jetzt vielleicht ein Tränchen zurückhalten. Er beschreibt Feministinnen als frustrierte Lesben und beklagt die Unterdrückung der Männer.
Das ist nicht wahr. Er ist ein dummer Mann und hat bloss Angst vor der Kraft der Frauen.

Eure Proteste in Ehren. Aber bringt FEMEN auch einen Antifeministen zum Umdenken?
Ja, wir können diese Art von Männern ändern, wir können Frauen ändern, die ganze Gesellschaft. Auch die Ukraine änderte bereits ihre Meinung. Und jetzt geschieht eine Revolution, die in den Köpfen des Volkes startete und nicht auf Entscheidungen eines politischen Führers basiert.

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Es wird behauptet, dass die Ukraine-Revolution an euch vorbeigegangen ist.
Die Revolution ist nicht an uns vorbeigegangen, wir haben sie herbeigeführt! Wir mussten aus der Ukraine flüchten, nachdem jemand eine Pistole und Granate in unser Büro schmuggelte. Wir wurden als Terroristen beschuldigt! Und auch wenn wir geblieben wären, hätten wir auch nichts an der Situation ändern können. Im besten Fall hieße das für uns Gefängnis, im schlimmsten Fall würden sie uns verprügeln und umbringen.

Und in Paris fühlt ihr euch sicherer?
Sacha: Nicht unbedingt. Wir werden von seltsamen Typen verfolgt und erhalten Drohungen von französischen Nationalisten.

Yana: Manchmal hab ich sogar Angst, unser FEMEN-Symbol zu tragen. Ich habe Angst, dass irgendein verrückter Anhänger von Front National mich sieht und mitten auf der Strasse angreift.

Sasha: Warum strahlst du so, wenn du das sagst?

Yana: Ich dreh sonst durch, wenn ich es zu ernst nehme.

Trotzdem findet ihr den Mut weiter zu protestieren. Wenn ihr in diesem Moment einen Slogan zur Ukraine auf eure Brüste schreiben müsstet, wie würde der lauten?
Fuck Putin!