Jeder sollte mal einen Monat nichts trinken

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Jeder sollte mal einen Monat nichts trinken

Das wildeste Experiment des Jahres hat mir nicht nur zur Erleuchtung, sondern auch zu einem kaputten Handydisplay verholfen.

​Auch wenn Österreich gerade politisch so gespalten ist wie die Menschheit zum Thema Money Boy​, können wir uns fast alle darauf einigen, dass wir gerne saufen. Denn traditionell ist Österreich ein Land, in dem Alkohol zum Alltag gehört. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt, dass 40 Prozent der Erwachsenen gesundheitsgefĂ€hrdende Mengen an Alkohol​ konsumieren. Im internationalen Alkoholkonsumvergleich​ haben wir immer die fragwĂŒrdige Ehre, ganz vorne mit dabei zu sein. Normalerweise wĂŒrde ich solche Zahlen sehen, ein bisschen lachen und mir stolz das nĂ€chste Bier aufmachen.

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Aber nach dem letzten Frequency​ und der darauffolgenden VICE-Party​ inklusive ganztĂ€gigem Kotz-Kater verging mir das Lachen. Das brachte mich auf die extrem abgedrehte Idee​, zum ersten Mal in meinem Leben—entgegen meinem bisherigen Lebensstil—einen Monat lang auf Alkohol zu verzichten. Wahnsinn, oder? Ich habe ganze 30 Tage ĂŒberlebt und sogar ein paar Freunde dabei behalten, sehe mein nĂ€chstes Dosenbier aber auf jeden Fall mit anderen Augen. Vielleicht helfen euch meine Erkenntnisse dabei, auch einmal einen Monat der Erleuchtung durchzuziehen.

Hier ĂŒberlege ich, was ich als nĂ€chstes nicht trinken sollte. Fotos vom Autor

So ein Abstinenzmonat sollte echt nichts Besonderes sein—ist es auch fĂŒr genug Menschen, die das regelmĂ€ĂŸig machen​, nicht. FĂŒr mich war es anfangs trotzdem eine große Überwindung. Wahrscheinlich, weil ich statistisch gesehen Alltagsalkoholiker bin und mein Freundeskreis auch nicht gerade beim Spritzer spart. â€‹Ein Online-Selbsttest​, der Daten der WHO als Grundlage verwendet, besagt jedenfalls, dass ich höchstwahrscheinlich zu viel trinke. No Shit.

Es gibt so gut wie jeden Tag einen Anlass auf ein paar Drinks zu gehen und manchmal mache ich mir auch allein zuhause ein Klischee-Afterwork-Bier auf. Zur Entspannung. So rechtfertige ich mir das jedenfalls. Ein paar meiner Freunde habenmir erst gar nicht zugetraut, den Monat durchzuhalten. Dass mich das bloß motiviert hat, kann man sich denken.

VerfĂŒhrung sich anzusaufen, gab es im September—so wie in jedem anderen Monat auch—genug: das Waves Festival​, mein Besuch auf der Wiener Wiesn​, der mich eigentlich zum Vollblut-Alkoholiker machen mĂŒsste, um das Grauen zu vergessen, die Ink-Geburtstagsfeier, die gefĂŒhlten tausend Geburtstage der Silvester-Babys, eine Abschiedsfeier und jeder Abend, an dem ich mich einfach mit Freunden getroffen habe. Ausgelassen habe ich nur richtige Club-Abende. HĂ€tte ich nĂŒchtern einen Abend neben den ganzen Druffies verbracht, hĂ€tte mir das wahrscheinlich jeden zukĂŒnftigen Abend dort verdorben. Ich brauche dort Hilfsmittel zur RealitĂ€tsflucht​, sonst erschlĂ€gt mich wahrscheinlich die Tatsache, dass ich mich in jedem Besoffenen selber sehe.

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Den Rausch hab ich bereits nach dem ersten nĂŒchternen Wochenende nicht mehr vermisst. Nur in ein paar Situationen sind Gewohnheiten, die ich mir ĂŒber die Jahre aneignete, so stark durchgedrungen, dass ich mich aktiv gegen sie wehren musste. Vor allem beim VorglĂŒhen​ fehlte mir das konstante Trinken. Der regelmĂ€ĂŸige Griff zum Glas zwischen den GesprĂ€chen. Ich brauchte einen Ausgleich und den fand ich als Nichtraucher nicht bei Zigaretten, sondern bei irgendwelchen Kracherln​. Dabei habe ich genug von dem ĂŒberzuckerten Zeug runtergespĂŒlt, um meinen Zahnarzt sehr glĂŒcklich und reich zu machen. NĂ€chstes Mal werde ich mehr Wasser trinken, so wie es alle im Club immer machen. Die sind wahrscheinlich auch alle nĂŒchtern.​ Brav!

​Richtig schwierig wird es, wenn man in betrunkenen Gruppen als nĂŒchterner Teilnehmer kein Spaßverderber sein will. Denn mit steigendem Alkoholpegel geht die Lachgrenze unproportional​ nach unten. Bei mir Ă€nderte sich trotz Zuckerschock leider nichts und ich konnte ĂŒber einige Sachen einfach beim besten Willen nicht lachen. Ich hĂ€tte in solchen Situationen einfach versuchen sollen zu furzen​, dann hĂ€tte ich nicht nur die Fahnen der anderen ĂŒberdeckt, sondern auch die Tatsache, dass Betrunkene nicht lustig sind. Das funktioniert auf Kommando nur leider gar nicht. Darum werde ich im nĂ€chsten nĂŒchternen Monat nur noch Linsen- und Bohneneintopf essen.

​Auch die GesprĂ€che, in denen ich erklĂ€ren musste, warum ich denn nichts trinke, wurden zum Ende hin etwas nervig. Ich konnte mich darauf einstellen, mit jedem GesprĂ€chspartner eine tiefgrĂŒndige Unterhaltung ĂŒber unsere Konsumgesellschaft​ zu fĂŒhren. Das war im Großen und Ganzen sehr aufschlussreich, aber irgendwann hatte ich auch genug davon. Vor allem, weil die Leute, mit denen ich mich gerade eine halbe Stunde ĂŒber den Sinn des Ansaufens unterhalten habe, am selben Abend noch vergessen haben, dass ich nĂŒchtern bin und mich stĂ€ndig wieder fragen, ob ich mit ihnen einen Spritzer trinken​ gehen will. Ich schĂ€tze die Geste, aber noch mehr VerfĂŒhrung brauche ich nicht, danke!

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Das passiert, wenn man nach einem Monat Abstinenz zum ersten Mal wieder trinkt​

So gut wie alle meiner Freunde hatten aber letztendlich VerstĂ€ndnis fĂŒr meine Aktion und sprachen mir—meistens mit einem Bier in der Hand​—Mut zu. Nur in einer Situation wurde ich als Moralapostel beschimpft, weil ich einem meiner lallenden Freunde Wasser anbot und sagte, er soll sich doch noch eins holen. Nicht der betrunkene Freund war verĂ€rgert, sondern eine außenstehende Person. Sie nahm wahrscheinlich an, dass ich jetzt herumlaufe und jedem meinen Lebensstil anhĂ€ngen will wie ein Veganer. Dabei war es mir sehr egal, ob sich die Leute ins Koma saufen. Ich hatte in erster Linie Spaß dabei, den Leuten zuzusehen, wie sie nach und nach ihre SprachfĂ€higkeit verloren. Aber ich weiß nur allzu gut, wie es mir an Sonntagen geht​ und wollte verhindern, dass es meine Freunde auch so erleben.

Anfang Oktober habe ich dann mein Erlösungsbier gekippt. Wirklich Lust hatte ich nicht, aber ich brauchte den Rausch, um ein paar angehĂ€ufte Probleme​ wegzusaufen. Komischerweise waren die Probleme am nĂ€chsten Tag immer noch da. Nur kamen noch Kopfschmerzen und ein kaputtes Handydisplay dazu. Danke, Alkohol. Danke fĂŒr nichts.

Der lĂ€ngste Monat meines Lebens hat mir beigebracht, dass ich Alkohol hauptsĂ€chlich aus Gewohnheit trinke und dass ich der Beschreibung eines Alkoholikers erschreckend nahe komme. Ich trinke immer noch gerne, aber zumindest werde ich in den nĂ€chsten Monaten zweimal ĂŒberlegen, ob ich mir bei jeder Zusammensitzerei oder nach der Arbeit ein Bier aufmachen muss. Ich bin froh, so ein wagemutiges Experiment durchgefĂŒhrt zu haben und ich werde es bestimmt zur GedĂ€chtnisauffrischung wiederholen. Auch wenn meine Freunde dagegen sein werden.

Header: Kollage VICE Media

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