Zu Gast bei deutschen Putin-Fans

Die westlichen Medien belügen uns im Auftrage Washingtons, das habe ich im Internet gelesen. Unter anderem auf den Montagsdemos ist es Allgemeinplatz, dass eine US-kontrollierte Journaille uns aufhetzen will gegen Putin. Das russische Staatsfernsehen RT (ehemals RussiaToday) hat angekündigt demnächst auf Deutsch zu senden, selbsternannte „Infokrieger“ rufen ständig dazu auf, sich jenseits der sogenannten Systemmedien zu informieren. Ich wollte herausfinden, wer die Leute sind, die das tatsächlich machen und warum sie niemandem vertrauen—außer Putin.

Eigentlich stehe ich als Blogger dem Medienbusiness ja selbst eher skeptisch gegenüber. Die etablierten Verlage haben in den letzten Jahren Vertrauen verspielt und einiges liegt im Argen. Gerade in der Auslandsberichterstattung wird bekanntermaßen viel gespart, es herrscht enormer Zeitdruck und häufig wird kurzerhand auf Agenturmeldungen zurückgegriffen. Aber ist das wirklich alles—oder zieht jemand im Hintergrund die Fäden?

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Der Medienforscher Uwe Krüger hat mit einer Netzwerkanalyse nachgewiesen, dass deutsche Top-Journalisten wirtschaftlichen und politischen Eliten persönlich nahestehen und häufig bei umstrittenen Themen (beispielsweise Sicherheitspolitik oder Militär) eher in deren Sinne berichten als in dem der Bevölkerung.

Anfang Juli besuche ich einen Vortrag von Uwe Krüger in einer Galerie namens ‚Sprechsaal‘ in Berlin-Mitte. Seine Forschung ist sehr interessant, bezieht sich aber ausschließlich auf US-Organisationen. Auf meine Frage hin ergänzt der Forscher, dass es empirische Untersuchungen zu ähnlichen Elite-Netzwerken anderer einflussreicher Länder wie Russland oder China noch nicht gibt. Das heißt natürlich keineswegs, dass die keine Lobbyarbeit betreiben—wir wissen einfach nur weniger darüber.

Den Rahmen des Vortrags bildet eine Ausstellung der in der Truther-Szene beliebten Medienkritikerin Sabine Schiffer. Anhand von ausgewählten Zeitungsausschnitten will sie zeigen, dass die Berichterstattung über Russland Stereotype des Kalten Krieges verwendet. Dem Publikum geht das jedoch nicht weit genug, zeigt die Diskussion. Eine blonde Frau schimpft, dass die Journalisten das Völkerrecht nicht kennen und Kriegshetze betreiben. Ein älterer Herr hofft, dass die Mainstreampresse insgesamt bald den Bach runtergeht. Von weiter hinten wird eingeworfen, die Medien seien ja „schon immer“ Helfer dunkler Mächte gewesen.

Uwe Krüger bemüht sich um Sachlichkeit, warnt vor Verschwörungsideologien und gibt zu bedenken, dass Reporter mitunter auch zu Recherchezwecken die Nähe mächtiger Menschen suchen müssen. Solche Äußerungen werden zwar murrend hingenommen, aber nicht wirklich akzeptiert. Stattdessen fragt jemand, ob Krüger selbst von ‚denen da oben‘ an seinen Enthüllungen gehindert würde, was er verneint. Der Fragesteller jedoch belehrt den Referenten: Die Wahrheit wird unterdrückt!

Im Rahmen der Ausstellung finden täglich Veranstaltungen mit diversen Gästen statt, jeweils bei kostenlosem Eintritt. Ich will wissen, wer am Ende des Tages die Rechnung bezahlt. Deshalb besuche ich den ‚Sprechsaal‘ kurz darauf erneut. Der Galerist Lars Dreiucker erklärt mir, dass die Galerie vom Frankfurter ‚Selbrund-Verlag‘ finanziert wird, der das Magazin ‚Hintergrund‘ herausgibt. Obwohl er in diesem Umfeld arbeitet, ist Lars persönlich eher skeptisch, was Verschwörungstheorien angeht. Er sieht in seiner Galerie einen Ort, an dem er alternative Kunst ausstellen kann (wenn dort gerade keine Veranstaltungen des Verlags stattfindet). Russisches Fernsehen interessiert ihn nicht besonders.

Andere sind da enthusiastischer. In der Berliner Innenstadt kleben seit einigen Wochen Plakate mit dem Titel „Frieden mit Russland!“ Sie fordern dazu auf, deutsche Alternativmedien zu konsumieren, aber auch das iranische PressTV oder eben RT. Die Werbeaktion wurde von Heiner Bücker mithilfe von Crowdfunding finanziert. Der Aktivist betreibt auch den YouTube-Kanal „antikrieg.tv“, der den Vortrag Uwe Krügers im Sprechsaal mit einer Kamera vor Ort filmte und online veröffentlichte. Aber damit nicht genug, Hücker ist obendrein der Wirt einer Kneipe in Mitte, dem „Coop Antikriegscafé.“ Da muss ich natürlich hin.

Wer das Coop besucht, lässt den Cowboyhut besser zu Hause, denn Amerika ist hier nicht besonders en vogue. Die Wände sind dekoriert mit umgedrehten US-Flaggen und allerlei Krimskrams. Man findet Werbung für den 9/11-Truth-Film ‚Loose Change‘ und kostenlose Ausgaben des Magazins ‚Hintergrund‘. Ich bestelle ein Bier und rede mit Heiner über Krieg und Frieden. Er sagt, wenn Putin Kämpfer in die Ostukraine entsendet, dann tut er das zur Selbstverteidigung, nicht in kriegerischer Absicht. Schließlich setzt sich der Präsident der Russischen Föderation „für sein Land“ ein und damit irgendwie auch für den Frieden. Ähnlich geht es übrigens Assad in Syrien, der von der US-finanzierten ISIS bedroht wird. Ich frage da jetzt nicht genauer nach, stelle aber fest: In Heiners Welt gibt es zwei Arten von Kämpfern. Die einen sind brutale Söldner des Ami-Imperialismus und die anderen Friedenssoldaten.

Die westlichen Medien würden bewusst „Opfer zu Tätern“ machen, weil sie von den USA kontrolliert werden, knirscht Heiner. Nun ist es für jemanden, der sich um die Pressefreiheit sorgt, ja nicht unbedingt selbstverständlich, ausgerechnet Russland zum Gelobten Land zu erklären, das auf der aktuellen Rangliste von ‚Reporter ohne Grenzen‘ auf Platz 148 liegt, aber das wundert vielleicht nur mich. Als ich Heiner frage, ob er als Kritiker der deutschen und amerikanischen Regierungen nicht auch Sympathien für die russische Opposition habe, wiegelt er ab. Es gäbe an Putin nichts auszusetzen. Etwas verdutzt erfahre ich bei der Gelegenheit auch, dass Lesben und Schwule in Russland keineswegs diskriminiert werden, das sei nur westliche Propaganda.

Während ich ein Bier nach dem anderen zische, diskutiere ich mit mehreren Leuten gleichzeitig. Eines muss ich den Jungs lassen: Sie haben tatsächlich auf alles eine Antwort. Menschenrechtsverletzungen in Russland werden von den westlichen Medien übertrieben oder gar erfunden. An anderen Missständen (die sich nicht abstreiten lassen) trägt der Präsident ganz einfach keine Schuld. Eigentlich ist er ein eher liberaler Politiker, höre ich erstaunt, und würde gern mehr Freiheiten zulassen, aber wird daran gehindert. Von wem? Na, zum Beispiel von Amerika.

Warum diese Deutschen so begeistert von Putin sind, mit dem sie ja eigentlich nichts zu tun haben, wird mir nicht recht klar. Sie wundern sich aber auch über mich und schauen mich an, als sei ich ein Alien von der Area 51. Das ist kein Wunder, schließlich bin ich hier eingedrungen und stelle nun frech alles infrage, was ihnen heilig ist. Unterm Strich bleiben sie da noch verhältnismäßig freundlich, muss ich zugeben. Wenn man in Berlin einen Abend mit sehr schrägen Weltbildern aber korrekten Bierpreisen erleben möchte, dann ist das Coop genau der richtige Ort, denke ich beim Hinauswanken.

Nicht nur die Berliner Friedensaktivisten setzen sich für ein positiveres Putin- und Russlandbild ein. Wjatscheslaw Seewald, mit dem ich am nächsten Abend telefoniere, hat eine Online-Petition gestartet mit dem Ziel, RT davon zu überzeugen, in Zukunft auch auf Deutsch zu senden. Um das zu erreichen machte er unter anderem eine Plakataktion auf Inlineskates.

Der Deutschrusse betreibt von Niederbayern aus einen Online-Versand für Esoterik-Produkte und produziert außerdem YouTube-Videos mit Titeln wie ‚Wann und wozu kommen Propheten auf die Erde?‘, aber auch ‚Sanktionen gegen Russland—wem nützt das?‘ oder ‚Wladimir Putin, ein Gesandter Gottes‘.

Auf die Idee zur Petition kam der umtriebige Jungunternehmer nach eigenen Angaben, als er die Medienberichte zum Euromaidan sah. Da wurden Randalierer als „friedliche Demonstranten“ dargestellt, aber die rechtschaffenen Berkut-Sonderpolizisten als „Aggressoren“. Ein objektives Bild vermittelte nur der „erfolgreichste Nachrichtensender überhaupt“, nämlich RT.

Putin, den die westlichen Medien zu Unrecht schlechtmachen, hat verstanden, dass ein Volk sich vermehren muss, um nicht auszusterben. Und zwar „auf natürliche Weise“, nicht etwa durch Einwanderung, fügt mein in Sibirien geborener Gesprächspartner hinzu. Entschlossen tritt der russische Präsident den USA und ihren Kriegsplänen entgegen. Ein Friedensnobelpreis wäre gerade angemessen für diesen Staatsmann von Format, meint Wjatscheslaw.

Logisch, denke ich, wenn mehr Deutsche wüssten, was für ein feiner Kerl der Wladimir Wladimirowitsch ist, würden sie auch sagen: „Ich will einen wie Putin!“

Doch warum wollen die Amerikaner lieber Krieg? Selbstverständlich, um einen Keil zwischen Europa und Russland zu treiben, erklärt er weiter. Damit wir uns nicht zu einem „einheitlichen kulturellen und wirtschaftlichen Block“ auf dem „eurasischen Kontinent“ vereinen, was gerade für die Deutschen aber sehr wichtig wäre. Die „Arier und Slawen“ haben nämlich eine jahrtausendealte gemeinsame Geschichte, erfahre ich staunend. Früher haben wir sogar dieselbe Sprache gesprochen.

Tatsächlich wird Seewalds Traum bald Wirklichkeit. Also der erste Teil des Traums. Das mit dem vereinten Eurasien könnte noch eine Weile dauern. Aber RT wird es demnächst auf Deutsch geben, verkündet Jürgen Elsässer, seines Zeichens Herausgeber des verschwörungstheoretischen Fachmagazins ‚Compact‘, am 21.8. auf einer Konferenz in Berlin. Bei der darf ich natürlich nicht fehlen. Die Gäste in der Reihe hinter mir holen sich gleich zu Beginn das erste Bier, ich habe heute aber keinen Durst.

Der Hauptredner fällt leider aus: Iwan Rodionow, Chef der Agentur Ruptly und verantwortlich für RT-Deutsch. Aber Yasmine Pazio ist da. Die Facebook-Infokriegerin war bereits an der Herausgabe des Compact-Buches Putin: Reden an die Deutschen beteiligt, neuerdings arbeitet sie bei Ruptly.

An der Online-Petition könne man nach Ansicht der journalistischen Quereinsteigerin sehen, dass die Deutschen „geradezu danach schreien“, von RT informiert zu werden. Elsässer ergänzt, dass es nach der Petition nun in eine neue Phase ginge. Wir müssen jetzt alle das deutsche RT unterstützen, indem wir möglichst viel auf deren YouTube-Clips klicken. Hinter mir gibt es eine weitere Runde Bier.

Die deutschen Putin-Fans aus der Verschwörungstheoretikerszene sind gesellschaftliche Außenseiter, die sich einbilden, Avantgarde einer schweigenden Mehrheit zu sein. Putins Russland ist für sie Sehnsuchtsort und Projektionsfläche. Wenn das die ‚fünfte Kolonne‘ des Kremls sein sollte, hat die ‚freie Welt‘ wohl gerade nochmal Glück gehabt.

Mehr von Krzysztof gibt’s hier und hier.