Zuhälter und Familienmensch – gewalttätiger Verbrecher und Freund der Promis – Drogendealer und Charmebolzen. Es gibt viele Beschreibungen, die auf Leon Fristup Jensen zutreffen. Die meisten Bewohner von Kopenhagens Stadtteil Vesterbro kennen ihn nur als “Lonne”, den unbelehrbaren Gangster aus der Nachbarschaft, der fast sein halbes Leben hinter Gittern verbracht hat.
In dem Buch Born Free erzählt Peter Grønlund die Geschichte Lonnes. Lonne wuchs im Kopenhagener Stadtteil Vesterbro in einer Arbeiterfamilie auf. Vesterbro war damals das berüchtigte Rotlichtviertel – und ist es auch heute noch, doch hat der Zahn der Gentrifizierung daran genagt. Mit 15 saß Lonne über Weihnachten zum ersten Mal im Gefängnis. Danach wurde er immer wieder weggesperrt – unter anderem wegen Diebstahls, Körperverletzung, Schmuggels, Zuhälterei und Hehlerei.
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Lonnes Geschichte steht sinnbildlich für den Wandel in Vesterbro. In den 70er und 80er Jahren reihten sich dort Porno-Kinos an zwielichtige Kneipen. Heutzutage ist das Straßenbild eher von Gallerien und hippen Cafés geprägt. Lonne ist ein Symbol für das alte Vesterbro – genauso wie seine Freunde mit vielsagenden Namen wie Schlachter-John, Bent Ricardo oder Der gewaltsame Willy.
“Lonnes Freunde und Bekannte waren Kriminelle. Vesterbro galt als raues Pflaster und wenn man dort aufwuchs, hatte man normalerweise zwei Optionen: Entweder endete man als einfacher Arbeiter oder man fand wie Lonne grenzwertige oder gar illegale Wege, sich den Lebensunterhalt zu verdienen”, erzählt der Born Free-Autor Grønlund.
Obwohl die dänischen Medien schon seit Jahren über Lonne berichten, gab es für Peter Grønlund noch genug Geschichten, um ein ganzes Buch zu füllen. Wir erfahren, wie es sich als Hardcore-Krimineller und gefeierter Partylöwe lebt, der genauso gerne mit Geld um sich wirft, wie er Gesichter einschlägt.
“Es gibt nicht viele Dänen, die genauso so viel Zeit im Gefängnis gesessen haben wie Lonne. Er beschwert sich aber nicht. Er weiß, dass seine Haftstrafen – darunter auch 17 lange Monate in Isolationshaft – die Konsequenzen seiner Taten waren. Sie gehörten eben zu seinem Leben”, sagt Grønlund. “Das hat mein Interesse geweckt. Lonne ist ein Mensch, der eine völlig andere Moralvorstellung hat als wir.”
Heute führt Lonne ein zurückgezogenes Leben und kümmert sich vor allem um seinen neunjährigen Sohn. Laut Grønlund musste er in den vergangenen Jahren zwar einige kleinere Rückschläge hinnehmen (30- oder 60-tägige Inhaftierungen und Geldstrafen für Bagatelldelikte), aber im Vergleich zu den Verbrechen aus seiner Hochzeit in den 70er und 80er Jahren ist das nichts.
“Er lässt sich zwar nicht mehr so gehen wie früher, aber von Zeit zu Zeit gönnt er sich noch einen Drink”, erzählt Grønlund. Seiner Meinung nach ist Lonne “im Grunde ein netter Kerl. Wenn man hinter seine Gesichtstattoos und seine Vergangenheit blickt, dann erkennt man einen freundlichen und gesprächigen Mann mit vielen verrückten Geschichten in petto. Sein ganzes Leben hat sich ja nur um Verbrechen gedreht.”
Lonne denkt nicht viel über die Opfer seiner Verbrechen nach. “Er ist der Meinung, er hätte seine Zeit abgesessen. Die Menschen, die er in den vergangenen Jahrzehnten abgezogen, ausgeraubt oder zu Brei geschlagen hat, tun ihm nicht leid”, sagt Grønlund. “Das meine ich mit der anderen Moralvorstellungen. Ihm ist es zum Beispiel vollkommen egal, dass er Heroin nach Versterbro gebracht hat. Wenn es er nicht gemacht hätte, dann eben jemand anderes. Er bereut lediglich, dass man ihn erwischt hat.”
Es folgt nun ein Ausschnitt aus Born Free. Darin erklärt Lonne, wie er sich einen Namen in der Kopenhagener Unterwelt gemacht hat.
Mit 15 verbrachte ich zwei Jahre und zehn Monate in einem Jugendgefängnis in Nyborg. Die Zeit hinter Gittern hat mich allerdings nicht abgeschreckt. Sie war erst der Anfang.
Ich hatte Glück und saß mit einigen Freunden von der Saxogade – also der Straße, in der ich damals wohnte – in Nyborg ein. Elvis, Buller, Der gewaltsame Willy und ich waren die “Saxo Gang”. Elvis war ein witzig aussehender Typ, der immer auffallende Outfits trug und sein Haar in Gel ertränkte. Buller war breit gebaut und konnte ordentlich zuschlagen. Genau wie Willy. Nur wenige Mithäftlinge hatten die Eier, sich mit den beiden anzulegen. Elvis und Buller tranken viel. Einmal klauten sie eine Kiste Weingeist und mixten das Zeug beim Weggehen in ihren Kakao. Willy hingegen hat fast nie getrunken, anderen Leuten dafür liebend gerne die Fresse poliert. Außerdem besaß er die Angewohnheit, Regenrohren Kopfnüsse zu verpassen. Die Dellen waren Willys Beitrag zum Stadtbild. Eines Tages traf er auf ein Rohr aus härterem Metall. Danach war er derjenige mit der großen Delle.
Ich saß nicht nur mit Freunden im Gefängnis, sondern auch mit älteren, abgebrühteren Kriminellen aus ganz Dänemark. Die erzählten uns Geschichten von ausgeräumten Tresoren, Schmuggelfahrten, teuren Autos, Frauen und anderen aufregenden Dingen. Das Jugendgefängnis war deswegen eine Geburtsstätte von harten Verbrechern. Nach meiner Freilassung holte ein Kumpel mich am Gefängnistor ab; ich wusste direkt, dass ein normaler Job für mich nicht in Frage kommt. Nein, ich hatte Blut geleckt und wollte lieber Vollzeit-Krimineller werden.
Kriminelle, Schmuggler, Halbstarke auf der Suche nach Streit, gezeichnete Arbeiter, Arbeitslose, Prostituierte und Betrunkene aus der Gegend gingen in meiner Stammkneipe, dem Den Lille Cafe, ein und aus. Dort lernte ich ein Mädchen namens Søs kennen, die kurz zuvor aus einem Mädchenheim abgehauen war. Sie war 16, verdammt nett und ging in Vesterbro anschaffen. Im Allgemeinen kostete sie ihr Leben voll aus. Kurz nach unserem ersten Treffen bat sie mich, eine Freundin aus besagtem Heim nach Kopenhagen zu holen.
Ich half ihr gerne. Wir besorgten uns ein Auto und machten uns auf den Weg. Das andere Mädchen hieß Jonnie und es war kein Problem, sie aus dem Heim zu holen. Sie knüpfte einfach zwei Bettlaken zusammen und kletterte aus einem Fenster im zweiten Stock, als wir mit den Autoscheinwerfern das Signal gaben. Mit Bier und lauter Musik ging es zurück nach Kopenhagen.
Ein paar Tage später kam Søs in die Kneipe und drückte mir 300 Kronen in die Hand. Ich war verwirrt und fragte, wofür das Geld sei. Sie schuldete mir ja nichts. Die Typen, die mit mir am Tisch saßen, lachten nur und sagten, dass ich die Kohle einfach nehmen solle. Schon bald brachte mir auch Jonnie regelmäßig Geld vorbei. Und so wurde ich zum Zuhälter.
Um ehrlich zu sein, fühlte es sich anfangs noch komisch an, von den Mädels einfach so 300 oder 400 Kronen zu bekommen. Ich gewöhnte mich jedoch daran. Im Gegenzug half ich ihnen schließlich, wenn sie an Freier gerieten, die Ärger machten. Außerdem mietete ich eine Wohnung, in der sie anschaffen konnten.
Mit der Zeit entwickelten wir eine Routine: Ich brachte ihnen jeden Mittag frisches Toilettenpapier, neue Papierhandtücher und saubere Handtücher vorbei. Danach ging ich ins Den Lille Cafe oder in eine andere Kneipe, um mit Zuhälter-Kollegen aus der Gegend abzuhängen. Nach und nach kamen die Mädels vorbei, brachten uns Geld, tranken etwas und machten sich wieder an die Arbeit. Wenn sie genügend Geld verdient hatten, führte ich alle in teure Restaurants aus. Dort ließen wir es richtig krachen. Im Grunde trank die ganze Bar auf meine Kosten. Ich machte aber so viel Geld, dass ich mir das locker leisten konnte. Und wie jeder anständige Zuhälter kaufte ich mir einen gelben Mustang. Damit zog ich viele Blicke auf mich. Meine Mädels ließen sich außerdem “Lonne forever” auf ihre Arme tätowieren.
Damals lief zwar alles wie geschmiert, aber ich musste auf viele Dinge achtgeben. Und Leute in ihre Schranken weisen. Wenn meine Frauen es mit Freiern zu tun hatten, die betrunken waren oder nicht gehen bzw. nicht bezahlen wollten, gaben sie uns in der Kneipe Bescheid. Dann rückten mehrere von uns aus – wir halfen uns nämlich gegenseitig – und verpassten den Typen von blaue Augen oder ausgeschlagene Zähne.
Obwohl solche Zwischenfälle fast nie der Polizei gemeldet wurden, dauerte es nicht lange und ich musste wegen schwerer Körperverletzung wieder hinter Gitter. Einer meiner Freunde, ein kleiner Raufbold namens Benny, kam eines Tages schlimm zugerichtet in die Kneipe. Beim Einkaufen hatte er einem Fischverkäufer zum Spaß einen Fisch durchs Gesicht gezogen. Der Angestellte hatte sich ihn daraufhin wutentbrannt vorgeknöpft. Ich sprang auf, eilte in den Laden und prügelte dem Verkäufer die Seele aus dem Leib. Als er am Boden lag, trat ich ihm noch ein paar Mal ins Gesicht. Meine Botschaft: Niemand legt sich mit meinen Jungs an.
Im Gegensatz zu den meisten Freiern ging der Fischverkäufer sofort zur Polizei. Er erzählte dann auch vor dem Richter, ich sei in den Laden gestürmt und brutal auf ihn losgegangen. Ich selbst gab an, nichts davon zu wissen. Ich war vollkommen unschuldig. Und darauf beharrte ich auch nach dem Urteil. Vor Gericht habe ich schon immer auf unschuldig plädiert und nie etwas zugegeben. Das ist nämlich eines meiner Prinzipien.
Born Free ist im Bogkompagniet-Verlag erschienen.