Zwei Jahre nach dem Massaker ist das Café im Bataclan wieder voller Leben

Im November 2015 ermordeten Terroristen in einer Nacht 130 Menschen in Paris. 90 der Opfer waren Besucher eines Konzerts der Eagles of Death Metal im Bataclan. Zwei Jahre und eine Woche nach dem Massaker öffnete das Restaurant des Veranstaltungsorts, das Grand Café Bataclan, wieder seine Türen.

“Sie kamen durch den Haupteingang”, sagt der neue Geschäftsführer des Grand Café Bataclan, Michel Maallem. Zwar hätten die Terroristen den Cafébereich nicht betreten, aber eine verirrte Kugel habe eine Wand durchdrungen und einen Barkeeper in den Oberschenkel getroffen. Maallem deutet auf eine Wand, die heute komplett unscheinbar aussieht.

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Bis Mai führten das Restaurant noch die Inhabern des Bataclan, doch für die Neueröffnung hat Maallem das Ruder übernommen.

Das Café von außen | Foto: Emily Monaco

“Sie fragten mich, ob ich das Bataclan betreiben wolle. Ich machte mir viele Gedanken”, erzählt Maallem. “Meine Frau, meine Freunde und meine Verwandten ermutigten mich alle, es zu tun. ‘Das Leben geht weiter’, sagten sie.”

Fünf Monate hat es gedauert, das Café von Grund auf zu renovieren. Heute hat es einen Fliesenboden, ein neues Zwischengeschoss, eine gelbe Markise anstelle der alten schwarzen, und außerdem ein paar chinesisch inspirierte Details, die an die Ursprünge des Bataclan erinnern. Seinen Namen bekam das 1864 erbaute Theater von Jacques Offenbachs Operette im Chinoiserie-Stil, Ba-ta-clan.

Der Kontrast zum alten Café ist groß: Früher handelte es sich mehr um eine Bierbar als ein Restaurant, das Essen war Kritiken auf TripAdvisor zufolge “grauenvoll”, “enttäuschend” und sogar “ein Albtraum”.

Die neue Küche unter der Leitung von Marc Souton ist vor derlei Beschreibungen sicher. Souton bringt seine Erfahrung aus Vier- und Fünf-Sterne-Hotels zur Geltung, alles wird in liebevoller Handarbeit zubereitet. Auf der Karte stehen einfache, herzhafte Gerichte wie hausgemachte Terrine, warmer Camembert mit Kartoffeln und Tatar, dazu klassische französische Desserts wie mehlloser Schokoladenkuchen und Crème Caramel.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Le Grand Café Bataclan

“Wir machen alles selbst”, sagt Souton und betont, dass Rohzutaten vor Ort verarbeitet werden – eine Seltenheit in heutigen Bistros und Brasserien. Das Essen sei “geradlinig und ohne Gedöns”, zu einem für Pariser Verhältnisse günstigen Preis. Eine bewusste Entscheidung, sagt Maallem, denn die Einheimischen sollen sich hier zu Hause fühlen.

Die meisten heutigen Angestellten waren in der Nacht des Massakers nicht vor Ort. Das damalige Personal versteckte sich Maallem zufolge mit den Gästen zusammen im Keller. Lediglich ein Koch sei von der alten Belegschaft noch übrig. Er sei noch immer traumatisiert, sagt Maallem.

Maallem und Souton sind sich bewusst, wie groß die Verantwortung ist, die sie mit dem Café übernommen haben. Maallem ist im Großraum Paris geboren und aufgewachsen, er arbeitet seit 30 Jahren in der Stadt. In der Nacht des Massakers arbeitete er noch in einem Restaurant im historischen Bezirk Marais, nur etwa einen Kilometer vom Bataclan entfernt.

Der neue Geschäftsführer des Grand Café Bataclan, Michel Maallem | Foto: Emily Monaco

“Das Restaurant war voll”, erinnert er sich. “Jemand sagte mir, dass etwas im 11. Arrondissement los sei, aber ich schaltete nicht ganz.” Nach und nach seien seine Gäste aber etwas panisch geworden.

Maallem verlor in der Nacht des 13. November 2015 einen ehemaligen Mitarbeiter. Der Mann war in seinen 30ern, er verbrachte den Abend im La Belle Equipe, einem Restaurant, in das die Terroristen ebenfalls einfielen.

Souton verharrte derweil bis zum Ende seiner Schicht im Dunkeln, im Restaurant Habemus in der Nähe der Pariser Oper. “Es war traumatisch”, sagt er. “Und ein bisschen surreal.”

Sein damaliger Vorgesetzter habe sich geweigert, die Angestellten mit den Öffentlichen nach Hause fahren zu lassen, und für alle stattdessen Taxis bestellt. “Wir wussten nicht, was vor sich ging”, sagt Souton. “Es hieß, da seien noch bewaffnete Männer auf der Straße. Alle hatten Angst.”

Foto: Emily Monaco

Als Maallem ihm die Küche des Grand Café Bataclan anbot, zögerte Souton trotzdem keinen Augenblick. “Das ist ein Abenteuer, auf das ich mich gern einlasse”, sagt er. “Es ist eine Ehre, dabei zu sein und dieses historische Pariser Lokal wieder zum Leben zu erwecken.”

Heute gehört auch das Bataclan-Massaker zur Stadtgeschichte und hat seinen Platz im Bewusstsein der Einwohner. Deshalb fand Maallem es wohl auch unnötig, dem neuen Personal besondere Anweisungen zu geben. “Sie sind mit der Sache vertraut”, sagt er. “Sie sind schließlich auch Pariser.”

Souton hört man noch an, dass er in Aveyron im Süden des Landes aufgewachsen ist, aber auch er sieht sich als Einheimischer der Hauptstadt. Er ist überzeugt, dass die Schrecken der Terrorattacke die Menschen von Paris zusammengeschweißt haben. “Man denkt daran, wenn auch nicht jeden Tag”, sagt er. “Es ist zu einem Teil von uns geworden.”

Gerade im Bataclan zu arbeiten, ist da nicht immer einfach. “Selbst wenn wir nach der Arbeit nach Hause gehen, sind unsere Gedanken noch dort”, sagt Maallem. “Direkt nebenan sind sehr viele Menschen gestorben.”

Das Grand Café Bataclan mag heute ganz anders aussehen als damals, aber für manche ist es zu einer Art Trauer- und Gedenkstätte geworden. “Es gibt Gäste, die reinkommen und beten”, sagt Maallem. “Andere weinen, oder erzählen uns ihre Geschichte. Wie eine Art Therapie.”

Foto mit freundlicher Genehmigung von Le Grand Café Bataclan

Maallem erzählt von einer Gedenkveranstaltung für einen jungen Mann, der im Bataclan ermordet wurde. “Eine ganze Familie war den ganzen Tag über hier”, sagt er. “Von morgens bis 22 Uhr kamen alle möglichen Cousins, Tanten, Nichten und Neffen.”

Einen Abend vor dem Jahrestag des Massakers, am 12. November 2016, eröffnete das Bataclan wieder für Konzerte. Jetzt wo das Café wieder eröffnet ist, stehen die beiden Lokale wieder in einem symbiotischen Verhältnis. Konzertbesucher und Anwohner begegnen sich in dem Restaurant, und Maallem organisiert inzwischen sogar Musikabende im Café. “Vergangene Woche hatten wir eine Gypsy-Jazz-Band, nächste Woche gibt es Musik aus Lateinamerika”, sagt er. “Wir versuchen, hier Leben und Freude reinzubringen.”

Auch für Touristen ist das Bataclan zum Magneten geworden. Sie fotografieren mit Vorliebe das zweidimensionale Laserschnitt-Werk des Künstlers Marc Dupard, das an der Wand hängt. Darauf ist ein küssendes Paar zu sehen, der Mann trägt ein Basecap und ein Trikot-Shirt, die Frau ein geblümtes Hemd.

“Es musste Liebe darstellen”, sagt Dupard. “Aber weil das hier leider ein legendärer Ort geworden ist, wollte ich nicht, dass es zu sehr nach Gedenkstätte aussieht.” Er hat das Stück Génération Bataclan genannt.

Marc Dupard’s “Génération Bataclan” | Foto mit freundlicher Genehmigung von Le Grand Café Bataclan

“Ich wollte ein Paar aus dieser Generation zeigen”, sagt Dupard. “Eines, das all diese Gewalt durchgemacht hat und trotzdem weiterlebt.”

Von jener schrecklichen Nacht vor mehr als zwei Jahren ist keine Spur mehr zu sehen. Verschwunden sind die Plakate am nahegelegenen Place de la République, und auch die Blumensträuße und Kerzen. Es bleibt nur noch eine kleine Gedenktafel an der Wand, die Café und Konzertsaal trennt. Pariser brauchen diese visuelle Erinnerung nicht – sie werden Bataclan niemals vergessen.

“Wir bekommen viel Solidarität”, sagt Maallem. In der ersten Woche nach der Neueröffnung seien Menschen vorbeigekommen, nur um sich zu bedanken.

“Pariser sind traumatisiert, denke ich, aber dennoch …” Er sucht nach den richtigen Worten. “Man kann nicht sagen, dass sie es hinter sich gelassen haben, aber sie machen weiter.”

Ein Schatten mag über ihrem Arbeitsplatz hängen, doch offensichtlich lieben Maallem und Souton ihre Arbeit und sind voller Stolz.

“Manchmal komme ich aus der Küche, um unsere Stammgäste zu fragen, wie es ihnen gefällt, und immer sind sie zufrieden”, sagt Souton. “Da steckt kein Geheimnis dahinter. Ich habe ein großartiges Team. Wir arbeiten mit einem Lächeln, und das spüren die Gäste.”

Letzten Endes ist das vielleicht die beste Form von Widerstand gegen den Terror. Statt wie bei den Anschlägen des 11. September das Herz der Finanzwelt anzugreifen, trafen die Terroristen in Paris das Nachtleben.

Foto: Emily Monaco

“Sie erklärten damals, warum sie sich für diesen Ort entschieden hatten”, sagt Souton. “Sie fanden das alles schlecht: Freunde treffen, Spaß haben, lachen, Alkohol trinken.”

“Aber das ist Teil unserer Kultur. Teil unserer französischen Identität. Eine Kultur, die Wert auf gutes Essen und guten Wein legt.”