Drogen

Zwölf Joints auf einmal: Diese Frau hat erlebt, was bei einer THC-Überdosis passiert

Eine Frau schaut in ein Zimmer

Mit 22 Jahren kippt Regine Fischer zum ersten Mal um: Schwindel, Krampfanfälle, Ohnmacht. Zunächst weiß keiner, was mit ihr ist. Dann stellen Ärzte die Diagnose Epilepsie. Für Regine Fischer beginnt eine Tortur. Kein Medikament hilft. Die Anfälle kehren immer wieder. Bis zu achtmal im Jahr. Schließlich pflanzen Ärzte ihr durch zwei Löcher im Schädel ein EEG ins Gehirn. Es soll ihre Gehirnaktivität messen und helfen, die Epilepsie besser zu verstehen. Doch es macht alles schlimmer. Die Anfälle kommen jetzt bis zu achtmal im Monat. Und sie melden sich nicht mehr an. “Ich kippe jetzt ohne Vorwarnung um.” Bis heute sei das so, sagt Regine Fischer, als sie von ihrer Geschichte erzählt.

35 Jahre später geht es Regine Fischer noch immer nicht besser. “Immer wenn ich etwas neues ausprobiert habe, folgte darauf ein Rückschritt”, sagt sie. Als sie von Erfolgen in der Epilepsie-Therapie mit Cannabis erfährt, meldet sie sich 2018 bei der Freiburger Uniklinik für eine Versuchsreihe mit Dronabinol – purem THC. Was die heute 58-Jährige zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Die Ärztinnen und Ärzte werden ihr versehentlich die 25-fache Dosis THC verabreichen.

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An einem Samstag im Mai erhält Regine Fischer in der Freiburger Uniklinik die erste Dosis Dronabinol. Dreimal täglich 5 Milligramm THC als Flüssigkeit oral verabreicht. Regine Fischer hat keine Erfahrung mit Cannabis. Um sie daran zu gewöhnen, soll sie erst mal nur fünf Milligramm am Abend nehmen. Ihrem Mann Jörg fällt da noch nichts Außergewöhnliches auf: “Regine hat wunderbar durchgeschlafen und fühlte sich nur ein bisschen matt. Aber wir wussten ja, dass es ein bisschen bekifft machen kann”, sagt er. Dabei hat seine Frau zu diesem Zeitpunkt schon viel zu viel THC im Blut. Die Ärzte haben die Maßeinheiten verwechselt.

Statt 5 Milligramm haben die Mediziner Regine Fischer 5 Milliliter verabreicht. Das sind 125 Milligram pures THC. Rechnet man diese Menge in Joints um, wird einem schwindelig.

Ein Gramm Gras enthält nach einer europaweiten Studie im Durchschnitt etwa zehn Prozent THC. Daraus lassen sich mit Tabak mindestens fünf bis sechs Joints rollen, je nachdem, wie häufig man kifft. Regine Fischer hätte mindestens ein Dutzend solcher Joints auf einen Schlag rauchen müssen, um sich in einen ähnlichen Zustand zu versetzen. Nur weil Fischer die Dosis bis zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Schlafen nimmt, fällt ihrem Mann nichts auf. Das ändert sich am Dienstag.

“In unserer gesamten Ehe habe ich sie noch nie so erlebt”, sagt Jörg Fischer über seine Frau

Es ist der Hochzeitstag des Ehepaars. Jörg Fischer hat seiner Frau einen Blumenstrauß bestellt und kommt in die Klinik. Am Morgen hat sie das erste Mal ihre morgendliche Dosis Dronabinol genommen. Ebenfalls um das 25-fache zu hoch. Eineinhalb Stunden später, erzählt Jörg Fischer, liegt seine Frau völlig weggetreten im Bett. “Sie hat die meiste Zeit geschlafen.” Wenn sie wach ist, starrt sie an die Decke. Als Jörg Fischer seine Frau anspricht, vergehen 20 Sekunden bis sie eine Reaktion zeigt. Ihr fehlt jede Körperspannung. “Als ich ihr den Blumenstrauß geschenkt habe, hat sie irgendetwas anderes darin gesehen. Sie wirkte erschrocken”, sagt Fischer. Die Wahrnehmung seiner Frau sei verzerrt gewesen. “Sie konnte essen, trinken und die Toilette benutzen, aber ansonsten war sie nicht Regine. Sie war irgendwo anders. In unserer gesamten Ehe habe ich sie noch nie so erlebt. Das war erschreckend.” In diesem Moment hat seine Frau bereits das Äquivalent von zwei Dutzend Joints im Körper. Und die Dosis soll noch weiter erhöht werden.

Regine Fischer sagt, sie wisse nicht mehr, ob sie an diesem Morgen an ihren Hochzeitstag dachte. Oder was sie überhaupt dachte. “Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern. Mir fehlen um die 14 Tage.” Das letzte Bild in ihrem Kopf sei die Fahrt zur Klinik.

Als Regine Fischer kaum noch ansprechbar ist, sagen die Ärzte zu ihrem Mann, das sei die normale Wirkung von THC. Jörg Fischer sagt, ihm sei das seltsam vorgekommen. “Ich kenne meine Frau.”

Fischer ruft in der Apotheke an, um nachzufragen, ob mit dem Rezept für seine Frau alles in Ordnung sei. Ab Freitag soll sie die Behandlung zu Hause in der Pfalz fortführen. Aber statt der angekündigten 500 Euro für die Monatsration Dronabinol soll die Krankenkasse plötzlich 7.500 Euro bezahlen. Die Apothekerin soll stutzig geworden sein und habe ihm und der Klinik bestätigt, dass die Dosis viel zu hoch ist, erzählt Fischer. Die Ärzte aber bleiben dabei: Die Dosis sei korrekt. Und Jörg Fischer? Den lässt der Anblick seiner apathischen Frau nicht los.

Noch in der gleichen Nacht recherchiert er im Internet, ob diese Dosis normal ist. Er findet heraus, dass Krebskranke und MS-Patienten, bei denen Dronabinol den Appetit anregen und Schmerzen lindern soll, in Extremfällen maximal 50 Milligramm am Tag verabreicht bekommen. “Regine lag da schon bei 250 Milligramm Dronabinol”, sagt Jörg Fischer, und die Dosis hätte noch auf 375 Milligramm – also drei Dutzend Joints – erhöht werden sollen. Am Mittwochmorgen kommt er um halb sieben in die Klinik, und verlangt nach dem Oberarzt. Fischer erwirkt, dass die Klinik die Dosis wieder reduziert. Danach bekommt Regine Fischer wieder nur abends Dronabinol. Am Freitag tritt ein Arzt ans Bett und erklärt den Fischers, dass die Patientin das Medikament nicht vertragen habe. “Trotz der hohen Menge hätte sie noch Anfälle gehabt und deshalb würden sie das jetzt wieder absetzen”, erinnert sich Jörg Fischer.

Erst später stellt sich heraus, dass die Dosierung wirklich viel zu hoch war. Gegenüber der Badischen Zeitung, die zuerst über Regine Fischers Fall berichtet hat, bestätigte ein Sprecher der Uniklinik den Fehler. “Wenn die Ärzte minimal auf die Apotheke gehört hätten, dann wäre ihnen das womöglich früher aufgefallen”, sagt Jörg Fischer. Die Aussichten auf eine Entschädigungszahlung seien trotzdem eher schlecht, da seine Frau keine bleibenden Schäden davongetragen habe.

Regine Fischer sagt, dass das THC auch in der darauffolgenden Woche noch nachgewirkt habe. “Mein Misstrauen gegenüber Ärzten wird immer größer. Die sollen mir doch helfen und nicht irgendeinen Mist mit mir machen.” Trotzdem wolle sie nicht aufgeben und einen neuen Versuch mit THC starten. Diesmal in einer Klinik in Tübingen.

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