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Amina Koyim! – Wie wir in Zukunft sprechen

Was passiert da, wenn Sprachen sich vermengen? Ich habe mich mit zwei Sprachwissenschaftlern über die Zukunft des Deutschen unterhalten und nicht nur herausgefunden, o kolay değil.

Foto: imago | Future Image

„Weißt du noch, weißt du noch? Letztens, hier, richtige Nummer!"

„Ja Mann, çüş lan! Die war echt nice."

„Amina Koyim, ich sage dir mein Bruder, ben şimdi o an rufa."

Das Feuilleton hat mit HipHop, Victoria und Fack Ju Göhte gelernt, dass auf der Straße ein anderer Ton als am heimischen Küchentisch herrscht. Wörter werden verschluckt, aus anderen Sprachen übernommen und Sätze ganz anders konstruiert. Um etwas ernster zu werden, kommt jetzt noch ein zusätzlicher Twist: Es gibt immer mal wieder die Sorge, dass die deutsche Sprache durch Straßenslang ausstirbt. Prolodeutsch, Asideutsch, Jugodeutsch und Code-Switching sind die Waffen und gerade die Migranten sollen oft die Täter sein. „Wenn ich nicht einmal mehr im Supermarkt deutsch sprechen kann, dann ist das nicht mehr mein Land!", sprach die rüstige Pensionistin vor dem Halal-Regal im Supermarkt—in ihrem Korb liegen zwei Smoothies und ein tiefgefrorener New York Cheesecake.

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„Boy, urgent request: Wir sollten heute unbedingt den Movie schauen."

„Sorry für meine Belatedness. Aber nice, machen wir. UCI? Yorck? Omu?"

Am häufigsten benutzen wir wahrscheinlich Anglizismen. Englisch ist die Lingua Franca, mit der wir uns verständigen. In Berlin kann man seit längerer Zeit das Phänomen beobachten, dass man in einigen Cafés und Geschäften gar nicht mehr deutsch reden kann—weil die Angestellten eben nur englisch sprechen können und Zugezogene nach Berlin kommen, um hier ihr Geschäft aufzumachen. Aber auch in anderen Städten und Provinzen ist Englisch heute wichtig. Tinder, Faceswap, Snapchat, Timeline, Message, Sharen. Heute muss man unweigerlich ein wenig Englisch können, um mitzukommen. „Und die Serie, die solltest du bitte unbedingt im Original anschauen, die deutsche Synchro ist megawhack."

Der größte Diskurs dreht sich wohl um den Austausch deutscher Wörter mit Anglizismen. Dort muss man sich in der Öffentlichkeit ja auch erstmal nicht in eine rechte Schublade stecken lassen. Denn die Gefahr sind ja nicht die Engländer oder Amerikaner, die Kritik richtet sich an die Globalisierung unserer Welt. Aber gerade angesichts der vielen nach Europa einsiedelnden Geflüchteten verstärkt sich in Deutschland wieder die Sorge, dass wir bald mehr türkisch, syrisch, russisch oder albanisch als eben deutsch sprechen.

Unabhängig von dem Extrem „Unsere Sprache ist in Gefahr!" ist die Frage nach der nächsten Rede aber spannend. Wie beeinflussen viele, verschiedene Kulturen eine Sprache? Aber was nützt das Schreiben über Sprachverfall, wenn man nicht mit Expertenwissen aufwarten kann? Um die Zukunftsaussichten zu überprüfen, habe ich mich mit zwei Linguistik-Experten unterhalten. Schonmal vorab: So ganz einfach kann man das nicht vorherbestimmen.

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Das Phänomen, dass andere Sprachen auch abseits des Englischen einen so direkten Einfluss auf das Deutsche haben, das man auf der Schulbank gelernt hat, ist allerdings noch gar nicht so alt. Der Leipziger Slawistik-Professor Uwe Hinrichs erklärt mir per Mail, dass das Deutsche vor 1960 vor allem einsprachig war. In der Schule wurden zwar verschiedene Fremdsprachen wie Englisch oder Französisch gelehrt, eine aktive Mehrsprachigkeit gab es aber nicht—man hatte einfach kaum Berührungspunkte mit anderen Kulturen im Alltag. Das Deutsch, das man in der Schule beigebracht bekommen hat, hat also auch auf der Straße überwogen.

Nach Hinrichs kam es bis zu den 1980ern zum Gastarbeiterdeutsch, aus dem Kiezdeutsch und auch doppelte Halbsprachigkeit entstanden sein sollen. Damit meint Hinrichs vor allem Code-Switching—also wenn man keine Sprache perfekt beherrscht und im Gespräch die Landessprachen wechselt.

Foto: Mit freundlicher Genehmigung des C.H.Beck-Verlags

Heute sehen wir uns laut Hinrichs einer immer weiter auseinandergespreizten Sprachschere ausgesetzt. Denn wenn Mehrsprachigkeit herrscht, einigt man sich auf eine vereinfachte Grammatik. Die Prognose: Das Deutsche wird zwischen „Hochsprache" und „niedrigschwelliger Alltagssprache" mehr und mehr von einem Migrantendeutsch beeinflusst. Entstehen sollen neue Pidgins nach Art des Kiezdeutschen und Kurzdeutschen. Vor allem der arabische und eventuell der albanische Faktor sollen eine größere Rolle haben.

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Pidgins, das sind die vereinfachten Sprachen der Verständigung, die Nicht-Muttersprachler verwenden, um sich zu verständigen. Wenn du dir einen Döner bestellst und auf „Mit Sauce Kräuter, Knoblauch, Scharf?" mit "Komplett Sauce und komplett Salat" antwortest, dann sprichst du selber eine Form des Pidgin.

Das Multikultideutsch dringt laut Hinrichs aber auch in den allgemeinen Sprachgebrauch vor. Er nennt die momentanen Entwicklungen der Einwanderung eine „neue Dimension" der Multisprachlichkeit, die sich vorher nur auf bestimmte Milieus ausgewirkt hat. Seine Prognose: Das Deutsche wird durch fortschreitende Migration immer einfacher.

Stimmt es, dass unsere Landessprache durch Migranten an Struktur und Raffinesse verliert? Erscheint der Grammatik-Duden 2050 mit Regeln der heutigen Straßensprache? Ist der von Hinrichs diagnostizierte Wandel nicht viel eher auf unser neues Sprachbewusstsein zurückzuschließen, das linguistische Normen auch mal außer Acht lässt? Haben wir uns nicht einfach von streng genormten Regeln des Sprechens befreit und haben uns viel fluidere Grenzen zugelegt, wie wir sprechen wollen und sollen? Und bieten Herausforderungen nicht auch gleichzeitig neue, noch nicht vorstellbare Möglichkeiten? Ich selbst bin ein Kind des Ruhrgebiets, habe mit Erkan Fußball gespielt, hab mich mal in Carmela verguckt, war bei Nihats Beschneidungsfest und habe nach der Schule bei Richard von seiner Mutter gekochten, russischen Hackfleischtopf gegessen. Mein eigenes Deutsch ist durch Multikulturalität nicht simpler geworden, denke ich.

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Um noch mehr über die Zukunft unserer Sprache zu erfahren, habe ich mit Jannis Androutsopoulos telefoniert, der Linguistik-Professor und Direktor des Instituts für Germanistik an der Universität in Hamburg ist.

Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos | Foto: UHH | Baumann

VICE: Hallo Jannis Androutsopoulos. Was heißt das eigentlich, wenn man von „Sprache" redet?
Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos: In der Linguistik unterscheidet man zwischen dem Sprachgebrauch und dem Sprachsystem. Wenn man „Sprache" sagt, meint man auf der einen Seite die Struktur und Grammatik der Sprache und auf der anderen Seite steht der Sprachgebrauch—also das tatsächlich Gesprochene oder Geschriebene.

Ok. Ich frage mal ganz plakativ: Wie wandelt sich Sprache?
Der Wortschatz eines Menschen wandelt sich sehr schnell, vor allem bei jungen Menschen. Jedes Jahr entstehen Hunderte neue Wörter. Viele davon sind Anglizismen, was naheliegend ist, denn die Wörter kommen zum großen Teil aus dem Technologie- oder Unterhaltungsbereich, der uns umgibt. Wörter aus anderen Sprachen werden da eher seltener etabliert. Oft sind das dann Begriffe aus der Gastronomie, wie zum Beispiel das türkische Halal, oder aus der Jugendkultur—also Synonyme für Geld, Jungs, Mädchen und Drogen.

Der Wortschatz gilt aber jeweils nur kurzfristig, oder?
Gradmesser für lexikalischen Sprachwandel ist die Aufnahme eines neuen Wortes ins Wörterbuch. Für viele neue Wörter aus der Jugendkultur gilt das erstmal nicht, denn sie verweilen in den lokalen, kleinräumigen Registern des Sprechens. Das ist auch beim Code-Switching so—also wenn man in einem Gespräch zwischen mehreren Sprachen wie Deutsch oder Türkisch wechselt.

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Wieso spreche ich mit 20 anders als mit 40? Gerade auf der Straße wildern ja Anglizismen, Abkürzungen und Vereinfachungen auch über das ironische Benutzen von gewissem Slang hinaus.
Das mag am sozialen Übergang liegen. Man lernt dafür ja andere, professionelle Sprachregister kennen—die von seinem Beruf oder Umfeld. Bei Menschen, die den Kontakt zur Jugendkultur bewahren, passiert das natürlich langsamer. Soziale Prädikate sollte man generell nicht mit Sprachstrukturen verwechseln.

Je nach Umfeld wechselt man ja auch die Sprache.
Sie finden bei einem Individuum mehrere Register des Sprechens. Ich überwache mich jetzt zum Beispiel gerade, wie ich rede. Woanders, vielleicht abends in einer Bar, bin ich gelassener.

Wie steht es um die aktuelle Lage des Deutschen? Oft ist ja vom Aussterben der deutschen Sprache die Rede.
In Deutschland haben wir seit dem Ende der 1980er Jahre eine zunehmende Mehrsprachigkeit. Durch die Geflüchteten erweitert sich das nochmal.

Beeinflusst die Mehrsprachigkeit auch die deutsche Sprache an sich?
Kaum, da die Standardsprache „Deutsch" auf so viele Wege auf die Sprecher einwirkt. Es ist ein Trugschluss, dass Phänomene der Rede und Praktiken des Sprechens eine direkte Wirkung auf Sprachen hätten. Neue Wörter müssen sich erst einmal breitflächig etablieren und werden von Sprecher zu Sprecher weitergegeben. So ein Prozess kann Jahre und bei grammatischen Veränderungen Jahrzehnte dauern.

Und was ist mit den Menschen, die gerade deutsch lernen?
Die Sprache von Lernenden ist anders als die von Muttersprachlern. Und vor allem Erwachsene haben es im Gegensatz zu Kindern schwerer, eine Sprache zu erlernen. Es geht immer um Reibungsmöglichkeiten. Also die Zeit, die man selber zum Lernen aufbringen kann und die Möglichkeit, mit deutschen Muttersprachlern zu interagieren. Natürlich spielt auch die eigene Bildung eine Rolle. Diese Interaktion findet im momentanen Klima nicht oder zu wenig statt, weil Geflüchtete eher weggepfercht werden.

Was sagen sie zu der These von Prof. Hinrichs, dass sich das Deutsch durch die Migration immer weiter vereinfacht?
Prof. Dr. Hinrichs behauptet, dass Einwanderer den Sprachwandel beschleunigen, weil sie Präpositionen durcheinanderbringen und Wortendungen raus- und Kasusmarkierungen weglassen. Seine These beruht aber auch darauf, dass sich die deutschen Muttersprachler daran anpassen. Wenn jemand eine Sprache lernt, macht er häufiger Fehler. Dass die sprachlichen Unzulänglichkeiten von Lernenden das Deutsche aber insgesamt verändern, halte ich für eine verallgemeinernde Spekulation. Sprecher gleichen sich in der Interaktion oft einander an, aber wieso soll das immer in eine Richtung funktionieren? Migranten haben ja selbst ein starkes Interesse daran, ihr Deutsch durch die Interaktion mit Muttersprachlern zu verbessern. Und was wir von Migranten an neuen Wörter und Ausdrücken mitnehmen, sollte man ebenso beachten.

Wie reden wir also in Zukunft?
Das kommt auf uns an. Wenn Menschen eine andere Sprache lernen, kommt es oft zu kreativen Zwischenfällen, sowohl bei der Form des Lernens als auch in der dann eigentlichen Sprache. Dolmetscher und Hilfslehrer müssen aus der Not der momentanen Lage heraus erfinderisch werden, wie sie eine gelungene Verständigung etablieren können und andersherum müssen Geflüchtete Gebrauchsformen des Deutschen entwicklen, um in dieser Gesellschaft weiter zu kommen. Am Ende können beide Seiten voneinander profitieren.