FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Dudeismus

Gestern stand Berlin Kopf, nicht weil sich das Magnetfeld der Erde verschoben hat, sondern weil anlässlich der Berlinale überall Promis rumlaufen und alle ganz aufgeregt sind. Doch es war einer unter ihnen, der sogar uns feuchte Augen machte, Jeff...

Gestern stand Berlin Kopf, nicht weil sich das Magnetfeld der Erde verschoben hat, sondern weil anlässlich der Berlinale überall Promis rumlaufen und alle ganz aufgeregt sind. Doch es war einer unter ihnen, der sogar uns feuchte Augen machte, Jeff Bridges gesellte sich zu den Reichen und Schönen. Während er für manche einfach nur DER Dude ist, sehen andere mehr, viel mehr, geradzu göttliches in ihm.

Anzeige

Die Frisur, der Bart, das Gewand: Jeffrey Lebowski alias „The Big Lebowski“ alias „der Dude“ bringt rein äußerlich alles mit, was ein erfolgreicher Heilsbringer braucht. Es hat trotzdem sieben dürre Jahre gedauert, bis jemand in seinem Namen eine Religion gründete. Das hier ist die Geschichte des Dudeismus.

„Manche Leute halten es für verrückt, eine Religion zu gründen, die auf einem Film beruht. Aber schau mal: Alle anderen Religionen beruhen auf Büchern“. Wer möchte Oliver Benjamin da schon widersprechen? Der Kalifornier hat den Dudeismus-Glauben geformt. Die Idee dazu kam ihm, als er The Big Lebowski zum zweiten Mal anschaute. Erleuchtung ist ein großes Wort – aber Oliver Benjamin erfuhr eine solche im Jahre 2005 in einem Filmcafé im Norden Thailands. Heute habe seine Glaubensbewegung rund 100.000 Anhänger, sagt er. Und vom Erfolg sei er keineswegs überrascht.

Der Glaubensinhalt des Dudeismus lässt sich in drei Worten zusammenfassen: „Take it easy“. Aber natürlich hat der Mittvierziger Benjamin seine Religion an einem größeren Gerüst aufgehängt. „Es gibt viele Zusammenhänge mit dem Taoismus, bloß ohne den Schnickschnack an Aberglauben. Wir glauben, dass es eine natürliche Weise der Lebensführung gibt, und je mehr wir davon abweichen, sei es durch zuviel Streben nach Besitz oder fehlgeleiteter Aggression, desto weniger Lebensfreude haben wir.“ Von klein auf werde der Mensch darauf abgerichtet, sich um seinen sozialen Status zu sorgen, sich abzuschuften und die wichtigen Dinge des Lebens zu vergessen. „Deshalb müssen wir alle lernen, umzudenken“, sagt Benjamin, „und uns einfach sagen ‚Take it easy, man’“.

The Big Lebowski, der 1998 in die Kinos kam, überführt in den Augen von Oliver Benjamin die Lehren des Taoismus in die Moderne. Wie schon im Vorspann des Streifens eine Stimme aus dem Off predigt: „Sometimes, there's a man, well, he's the man for his time and place.“ Diese Mann ist der Dude, Mann. Der bärtige, langhaarige, badebemantelte, dauerbreite Dude. Mit seinen zwei Freunden, dem kriegstraumatisierten Walter und „Halt-Deine-Scheissklappe-Donny“, bildet er ein Dreigestirn von Totalversagern. Er wird Opfer einer Verwechslung und muss sich mit deutschen Nazi-Nihilisten, pädophilen Bowling-Gegnern und einer zickigen Millionärstochter herumschlagen. Ein Meisterwerk der Cohen-Brüder. Und für Oliver Benjamin eine sprichwörtliche Offenbarung. Mittlerweile hat er den Film 50 Mal gesehen.

Die einfache und lebensbejahende Botschaft ist für den Kalifornier einer der Erfolgsfaktoren seiner Religion; dass man ihr gratis und unkompliziert beitreten kann, die andere. Ein Stand auf einem der jährlich stattfindenden Lebowski-Feste in San Francisco hat ihm zahlreiche Jünger beschert. Auf Facebook sind es mittlerweile 29.000. Neugegründete Religionen genießen eben alle Vorteile des Internetzeitalters: Moses musste die zehn Gebote noch auf Steintafeln eingravieren – nachdem Benjamin den Dudeismus 2005 aus der Taufe gehoben hatte, legte er einfach eine Homepage an. Dort kann sich seitdem jeder zum Dudeisten-Priester weihen lassen. Für zehn Dollar bekommt man auch ein offizielles Zertifikat zugeschickt. Im Onlineshop gibt es außerdem die üblichen Merchandising-Produkte: Dudeismus-Kaffetassen, Dudeismus-Shirts, Dudeismus-Mützen und einen Aufkleber für die Stoßstange.

Auch der Volkswagen-Konzern hat den Dudeismus schon entdeckt. In einem Spot des Autobauers ist Oliver Benjamin der Hauptdarsteller. Von Kommerzialisierung könne jedoch nicht die Rede sein: „Da ging es bloß um eine Kampagne, mit der VW Independent-Theater in England unterstützt hat“, sagt Benjamin. „Das Auto, das ich in dem Video fahre, ist ein Toyota Prius.“

Oliver Benjamin, „der Dudley Lama“, lebt immer noch in Nordthailand. Er träumt davon, mal Jeff Bridges kennen zu lernen. Der Religionsstifter arbeitet nebenher als Journalist und Schriftsteller. „Ich bin zehn Jahre durch die Welt gereist, aber so relaxt wie in Thailand ist es nirgendwo anders“, sagt er. Seine Liebe zum Königreich geht soweit, dass er Thai-Whisky lieber trinkt als White Russian, den Zaubertrank des Dudes. Grenzt das nicht an Blasphemie? Ein echter Dudeist kennt die Antwort.