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Ein offener Brief suchtkranker Menschen an die 'Kronen Zeitung'

In einem Kommentar echauffierte sich ein Redakteur über Gratisfrühstück für Drogenkranke. Nun bekommt er eine Antwort.

Am 17. November erschien auf 'krone.at' ein Kommentar von Richard Schmitt mit dem Titel: "Gratisfrühstück für Wiens Drogensüchtige". In dem Beitrag zieht er über das Angebot einer Drogenberatungsstelle her, die drogenkranke Menschen mit Frühstück versorgt. "Sie spritzen kein Opium? Nehmen kein LSD? Dann haben Sie, liebe Leser, leider keinen Anspruch auf ein vom Wiener Steuerzahler finanziertes Gratisfrühstück", heißt es da zum Beispiel.

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Auch Anrainer sollen sich laut Schmitt darüber ärgern. VICE gegenüber erklärt ein Anrainer hingegen, er habe, seit es die Einrichtung gibt, "praktisch nichts davon mitbekommen." Es sei "nicht anders als vorher, als noch ein Blumengeschäft drin war." Nun wenden sich Patientinnen und Patienten der Therapieeinrichtungsstelle Schweizer Haus Hadersdorf in einem offenen Brief an die Redaktion der 'Kronen Zeitung'.

Sehr geehrter Herr Schmitt, sehr geehrte Redaktion der Kronen Zeitung,

die Stadt Wien hat ein an sich gut funktionierendes System von Drogenberatungs- und Behandlungseinrichtungen, zu denen auch niederschwellige Angebote wie das Jedmayer oder die Drogenberatungsstelle Change gehören. Niederschwellige Einrichtungen dienen primär dem Zweck, begleitende psychische, soziale und gesundheitliche Schäden bei DrogenkonsumentInnen zu reduzieren und den Betroffenen den Einstieg in eine weiterführende medizinische sowie therapeutische Behandlung zu erleichtern.

Personen, die diese Einrichtungen nutzen, sind in der Regel nicht jene, die gut integriert sind, sondern jene, die aufgrund des Drogenkonsums eine Vielzahl von Problemen haben—von körperlichen oder psychischen Begleiterkrankungen, bis hin zu sozialen Folgeschäden wie Armut oder Obdachlosigkeit. Einrichtungen wie früher der Ganslwirt oder jetzt das Jedmayer oder Change spielen in der Wiener Betreuungslandschaft für abhängige Menschen eine wichtige Rolle.

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Seltsamerweise werden diese Einrichtungen von Ihnen auf eine eigenartige und ziemlich perfide Weise angegriffen. Sie schreiben nämlich in ihrem Beitrag, dass jemand, der kein "Opium spritzt oder LSD nimmt" keinen Anspruch auf ein "vom Wiener Steuerzahler finanziertes Gratis-Frühstück hat" und zitieren Anrainer, die meinen, die "städtische Suchtberatung wolle mit Bonus-Leistungen noch zusätzliche Kunden zum Gifteln animieren." Diese Darstellung zeugt von einer Überheblichkeit und einem Zynismus gegenüber chronisch kranken Menschen, gegen den wir uns entschieden wehren möchten.

"Wir" sind Jasmin, Raman und Christian, PatientInnen der Drogentherapieeinrichtung Schweizer Haus Hadersdorf, und Barbara Gegenhuber, Leiterin dieser Einrichtung. Wir alle haben seit vielen Jahren in unterschiedlichen Rollen mit drogenkranken Menschen zu tun, und glauben Sie uns: keiner dieser Menschen wurde von einem Kaffee und einem Kipferl "zum Gifteln animiert". Der Glaube, so etwas wäre möglich, zeugt nur von einem: nämlich wie weit diese Vorurteile von der Lebensrealität der Betroffenen entfernt sind. Wenn diese Aussage ernst gemeint ist, ist es eine gemeine Unterstellung, die sich BetreuerInnen, die versuchen Menschen, denen es schlecht geht zu helfen, nicht gefallen lassen müssen.

Glauben Sie uns: keiner dieser Menschen wurde von einem Kaffee und einem Kipferl "zum Gifteln animiert".

Die Lebensrealität der Betroffenen ist eine ganz andere, als sie in ihrem Artikel impliziert wird. Drogenabhängigkeit ist weder eine Charakterschwäche noch eine schlechte Angewohnheit, die man sich schnell einmal zulegt, um zu einem gratis Kipferl zu kommen. Drogenabhängigkeit ist eine Erkrankung, die aus einem relativ komplexen Bedingungsgefüge aus sozialen, psychologischen und biologischen Faktoren entsteht und oftmals chronisch verläuft. Niemand wacht in der Früh auf und denkt sich: "Wow, toll, heute spritze ich mir Heroin und morgen bin ich abhängig." Im Gegenteil. Der Weg in die Abhängigkeit ist oftmals ein sehr langer, und von vielen ungünstigen Ausgangsbedingungen und Begleiterscheinungen geprägt.

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Der Weg heraus ist ebenso schwierig wie der aus anderen Krankheiten, bei denen man auf medizinische, therapeutische und soziale Unterstützung angewiesen ist. Sucht ist eine chronische Erkrankung, kein übles Laster. Und wie bei vielen anderen chronischen Erkrankungen, muss es in einem funktionierenden Gesundheits- und Sozialsystem ein Behandlungsangebot für die Betroffenen geben.

Teil dieser Angebote sind eben auch niederschwellige Betreuungsangebote wie die Einrichtung, über die Sie schreiben. Eine Einrichtung, in der den KlientInnen offenbar manchmal neben Kaffee auch etwas zu essen angeboten wird. Vermutlich wird das in vielen anderen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen übrigens auch so sein, sogar die Polizei soll das bei längeren Einvernahmen so machen. Dass deswegen jemand kriminell wird, werden Sie ja hoffentlich nicht behaupten. Genauso ist es eher unwahrscheinlich, dass wegen einem Frühstück jemand drogenabhängig wird.

Für jemanden, der von der Krankheit betroffen ist, sind diese Einrichtungen aber sehr wichtig. Es sind Orte, an denen man sich Hilfe holen kann, Unterstützung bei der Suche nach einem Schlafplatz findet, Spritzen tauschen kann, um sich nicht weitere gesundheitliche Probleme einzuhandeln oder sich einfach auch nur kurz aufwärmen möchte.

An diesen Orten kann man mit jemandem reden, der die Probleme versteht und weiterhelfen kann, wenn man mal wieder nichts zu essen hat, nicht weiß, wo man schlafen soll oder sich sonst aus der aktuellen Lage nicht mehr heraussieht. Das ist nämlich die Lebensrealität von Drogenabhängigen, von jenen Menschen, die auf Betreuungsangebote angewiesen sind wie das, über das sie sie echauffieren. Diesen Menschen dann um ein Frühstück zu beneiden, zeugt von einer Intoleranz, die schwer nachzuvollziehen ist.

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Drogenabhängigkeit ist weder eine Charakterschwäche noch eine schlechte Angewohnheit, die man sich schnell einmal zulegt, um zu einem gratis Kipferl zu kommen.

Aber sei es wie es sei, wenn man schon den Betroffenen das Kipferl nicht vergönnt, darf man nicht vergessen, dass diese Einrichtungen auch einen hohen gesellschafts- beziehungsweise sozialpolitischen Stellenwert haben. Wir sollten froh sein, dass es in Wien ein System für Drogenkranke gibt, das dabei hilft, die Menschen von der Straße zu holen und sie dabei unterstützt, ein möglichst sozial integriertes und straffreies Leben zu führen.

Es ist ein absoluter Irrglaube, dass es weniger Drogenabhängige gäbe, wenn es keine Betreuungs- und Behandlungsangebote für sie gibt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Niederschwellige Einrichtungen helfen dabei, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden, sie zu beraten und zu betreuen und im Idealfall auch in eine weiterführende Behandlung zu vermitteln. Die Abhängigkeit zieht eine Reihe von Folgeerscheinungen mit sich.

Neben den psychischen und sozialen Schwierigkeiten für die Betroffenen selbst, zählen dazu auch Dinge, die in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen—Drogenkriminalität ist eines der prominenteren Beispiele. Ein Ansteigen der Zahl an HIV-Infizierten oder Drogentoten eines der weniger prominenten oder zumindest weniger sichtbaren, aber jedenfalls eines, das in einer zivilisierten Gesellschaft keinen Platz haben sollte.

Dass Drogenabhängige in Betreuung und Behandlung kommen und ihnen am Weg von der Straße und aus der Sucht geholfen wird, kann also auch nur im Interesse der Allgemeinbevölkerung sein. Und das sollte uns allen auch einmal einen Kaffee und ein Kipferl wert sein.

Jasmin H., Raman L., Christian M. und Barbara Gegenhuber