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Eine Überlebende der Pariser Anschläge erzählt ihre Geschichte

Die junge Frau saß im Restaurant Le Petit Cambodge, als ein Attentäter das Feuer eröffnete.

Es war kurz vor 21:30 Uhr am vergangenen Freitag. Die junge Frau, die uns ihre Geschichte erzählt und anonym bleiben möchte, entschied sich mit ihrem Freund für einen Tisch am Fenster, an der Straßenseite. Sie waren im Le Petit Cambodge in Paris. Das Restaurant im 10. Arrondissement war beliebt bei jungen Parisern und Pariserinnen. Gegenüber ist die Bar Le Carillon. Der Anschlag auf diese beiden Lokale forderte mindestens 12 Menschenleben.

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Die junge Frau und ihr Freund wären fast nicht dort gewesen. Sie hatten vorgehabt, in eine nahegelegene Bar zu gehen, und sich im letzten Moment für das kambodschanische Restaurant entschieden.

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Plötzlich kam eine Salve Schüsse durch die Fensterscheibe. Die Scherben schnitten ins Gesicht der 24-Jährigen. Sie und ihr Freund warfen sich auf den Boden und hielten komplett still. Sie konnten die Angreifer nicht sehen.

Anhand der Geräusche konnte sie feststellen, dass die Waffen nachgeladen wurden. Die Schüsse waren für die Restaurantgäste bestimmt, erzählt sie uns. Sie sah, dass eine Frau neben ihr getroffen worden war und in einer Blutlache lag. Diese Frau wurde später in einem Krankenwagen abtransportiert.

Kurze Zeit später hörten die Schüsse auf. Sie und ihr Freund standen auf und rannten davon.

Einschusslöcher in den Fenstern des Petit Cambodge (VICE News/Etienne Rouillon)

„Es war ein Reflex", sagt sie uns. „Es war, als könnte niemand jemand anderem helfen. Ich habe einfach gar nichts gedacht. Der einzige Gedanke in meinem Kopf war, dass ich aufstehen und rennen musste."

Sie kam heil zu Hause an und schlief eine Stunde. „Ich nahm Schmerzmittel. Mein Adrenalinpegel ist die ganze Nacht nicht gesunken."

Als wir diesen Samstag mit ihr sprechen, fühlt sie sich noch immer betäubt, und vom Geschehen distanziert. Das ist es, was sie jedes Mal spürt, wenn sie ihre Geschichte wiederholt. „Ich bin traurig, dass ich mich im Moment nicht traurig fühle. Ich fühle mich verloren, aber ich ahne, dass da viel Schmerz ist."

Die junge Überlebende lebt jetzt seit 18 Monaten in Paris. Sie befand sich in der Hauptstadt, als die Redaktion von Charlie Hebdo angegriffen wurde. Niemals hätte sie gedacht, dass sich diese Ereignisse wiederholen würden oder dass sie eines Tages Angst haben würde, in Paris zu leben. „Es fühlt sich an wie ein komischer Zufall. Als sei das hier nicht wirklich mein Leben", sagt sie. „Ich bin einfach geschockt."

Für sie ist die Stimmung in Paris nicht dieselbe wie nach den Anschlägen im Januar. „Diesmal gibt es mehr Angst."


Titelfoto: VICE News/Etienne Rouillon