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Bundestagswahl 2013

Es gab Freibier, die Toten Hosen und Deutschlandfähnchen wurden abgelehnt.

Was klingt wie ein richtiges Punkrockkonzert aus dem Jahr 1987, war die Wahlparty der CDU.

Jetzt ist es amtlich: Die CDU hat mit 311 Sitzen im Parlament (zu 319) zwar die absolute Mehrheit knapp verpasst, aber immerhin den besten Wert seit 23 Jahren eingefahren. Der Koalitionspartner FDP hat es allerdings nicht mal über die 5-%-Hürde geschafft. Jetzt muss sich Merkel nach einer anderen Partei umsehen, die verrückt genug ist, sich auf eine Koalition mit der CDU einzulassen.

Merkel und die CDU jedenfalls haben haushoch gewonnen, und dementsprechend gut war auch die Stimmung auf der Wahlparty im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin gestern Abend, wo ich auch war. Eigentlich sollte ich dort für unseren Bundestagswahl-Live-Ticker berichten, musste mich aber wegen technischen Versagens (das W-LAN hat nicht funktioniert und das Netz war überlastet) damit begnügen, Bilder zu machen und das Gratis-Bier zu trinken. Trotzdem möchte ich euch nicht vorenthalten, was ich alles beobachten und fotografieren konnte.

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Nachdem man ein bisschen am Presseeingang in der Schlange stehen musste, kam man in das große Vorzelt, wo es bereits alles gab, was den Abend auch weiter charakterisieren würde: Bier, Champagner, Wein, Bockwurst, Frikadellen und von der Decke hängende Fernseher. (Bis dahin funktionierte auch noch mein Internet)

Sogar Kippen gab's umsonst. 

Auf den Fernsehern lief natürlich die Wahlberichterstattung, so dass man immer mal wieder Einblicke in die Wahlpartys von der SPD oder den Grünen bekam und die Buffets vergleichen konnte (unseres war eindeutig am besten—und umsonst. Bei der SPD und den Grünen musste man bezahlen).

Im Zelt waren hauptsächlich Journalisten, die Frikadellen aßen und sich über die Wahl oder die Frikadellen unterhielten. Um die Ecke gab es sogar einen Zigarettenstand, an dem umsonst Zigaretten verschenkt wurden. Die Stimmung hier war trotzdem etwas fade, weshalb ich schnell in das Haupthaus weiterzog.

Dort sah es schon etwas mehr nach Action aus: Es gab einen runden Saal mit einer kleinen Bühne, auf die bereits ein paar riesige Fernsehkameras gerichtet waren. Vor der Bühne war ein circa sechs mal vier Meter großes Areal abgesteckt worden, in dem sich ein Dutzend Wahlhelfer mit orangenen Angie-T-Shirts aufgestellt hatten.

Rundherum und auf den Galerien hatten sich Journalisten aufgebaut, und nun wartete alles auf die ersten Hochrechnungen. Als die dann kamen, fingen die etwa 20 Jungs (und ein paar Mädels) wie auf Kommando an zu jubeln und pfeifen und wurden dabei von den Hunderten Journalisten gefilmt oder fotografiert—es waren mindestens zehnmal mehr Kameras auf sie gerichtet, als Wahlhelfer und Anhänger dort feierten—was ein skurriles Bild abgab.

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video from VICE Germany on Vimeo.

Angela Merkel trat auf die Bühne und sie sah wirklich blass aus—aber sie blieb tapfer lächelnd stehen und sagte ein paar Worte. Nach zehn Minuten musste sie aber schon wieder los, „noch mal kurz ins Fernsehen“, und die Party verlagerte sich zum Buffet und den Bier- und Champagnerständen.

CDU Party from VICE Germany on Vimeo.

Ich stand ein bisschen mit den Wahlhelfern rum, die sich abklatschten und „Supergeil, oder?“ riefen. Vincent, einer der Wahlhelfer erzählte mir, wie sie in der letzten Woche mit einem Bus durch ganz Deutschland gefahren sind, als eine Frau dazustieß und sagte: „Wenn wir die absolute Mehrheit bekommen, dann habt ihr mit eurem Bus Geschichte geschrieben!“

Überall standen kleine Grüppchen in Anzügen herum und spekulierten mit Biergläsern in der Hand, ob die absolute Mehrheit noch erreicht werden würde, und was das bedeuten könnte. „Heute haben wir Geschichte geschrieben“, höre ich überall.

Etwas später trat eine Band auf, deren Sängerin irgendwie stark an Claudia Roth erinnerte, was ich einen ziemlich guten Gag fand, die Umstehenden aber nicht.

In einer Pause stimmten die Wahlhelfer die Nationalhymne an, was von den anderen Gästen eher toleriert als gefeiert wurde, bis die Band dann die zweite Strophe einfach unterbrach. Und schließlich begannen wieder die „Oh, wie ist das schön“-Sprechchöre, und Angela Merkel machte zum zweiten Mal ihre Aufwartung.

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Bevor sie reden durfte, wurde noch einmal „Tage wie diese“ von den Toten Hosen gespielt, und das Spitzenpersonal auf der Bühne schunkelte mit—Volker Kauder schnappte sich sogar das Mikrophon, um den Refrain mitzusingen. Sogar Merkel bewegte hin und wieder verhalten die Lippen, während Ursula von der Leyen neben ihr sich strahlend mit den Hüften wiegte.

Die „Menge“ hielt Deutschlandfähnchen in der Hand, und ein Anhänger reichte ein Fähnchen zu Merkel hoch, das sie aber mit missbilligendem Kopfschütteln sofort wieder zurückreichte—sie wollte absolut kein Foto von sich mit dem Ding in der Hand. Man versuchte erneut, ihr das Fähnchen aufzudrücken, aber keine Chance.

Man könne jetzt verdient feiern, meinte Merkel, „aber morgen wird wieder gearbeitet“, sagte sie und sah sich billigend in der Runde auf der Bühne um. „Zumindest die, die hier mit mir auf der Bühne stehen.“ Die umstehenden Leute schauten drein wie kleine Kinder. Die Wahlhelfer skandierten, ermutigt vom breit grinsenden CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe: „Nein, übermorgen, übermorgen!“

Kurz danach war Merkel wieder verschwunden, und ich hatte auch genug Frikadellen gegessen und Bier getrunken. Der Taxifahrer vor dem Adenauer-Haus gratulierte mir etwas säuerlich zu dem Wahlsieg, weil ich immer noch meine Eintrittskarte um den Hals trug. Als ich ihm erklärte, dass ich nicht zu dem Verein gehöre, meinte er: „Ja? Na dann ist ja gut. Mir ist ja schon schlecht geworden bei der ganzen Scheiße.“ Aber das kann der CDU für die nächsten vier Jahre natürlich herzlich egal sein.

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