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Gegen IS-Terror und für die Freiheit Öcalans

Am Samstag wurde in Düsseldorf wegen des IS-Anschlags in Suruc am vergangenen Montag demonstriert. Wir haben mit den Teilnehmern über die Türkei, den IS und Kurdistan gesprochen.

Eigentlich sollte eine Demo stattfinden, doch das Wetter spielte nicht mit in Düsseldorf. Trotz Unwetterwarnungen kamen um die 2.000 Demonstranten zum DGB-Haus, ganz in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofes, um mit einer Kundgebung gegen den Terror des IS zu demonstrieren und den „Opfern des Terroranschlags in Urfa-Suruc zu gedenken", so hieß es in dem Infotext auf der Veranstaltungsseite der Demonstration auf Facebook. 1.800 Personen hatten dort ihre Teilnahme zur Demonstration zugesichert. Die Veranstaltung in Düsseldorf ist eine von mehreren Kundgebungen und Demos, die, jeweils von verschiedenen Gruppen veranstaltet, seit dem Anschlag im türkischen Suruc deutschlandweit auf den Terror des IS aufmerksam machen wollen. In der türkischen Stadt Suruc, an der Grenze zu Syrien, wurden am Montag 32 Menschen bei einem Selbstmordattentat in einem Kulturzentrum getötet, rund hundert weitere wurden verletzt.

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Die Demonstration in Düsseldorf fällt sprichwörtlich ins Wasser. Für die Stadt sind Orkanböen von bis zu 90 km/h vorhergesagt worden. Die Düsseldorfer „Rheinkirmes", die größte am Rhein, öffnete am Samstag wegen der Unwetterwarnung erst gar nicht. Wegen des Wetters wird statt eines Demonstrationszuges eine Kundgebung am Treffpunkt durchgeführt.

Tom, einer der Teilnehmer

Einige Demonstranten verstehen nicht, warum die Standkundgebung stattfinden kann, ein Demonstrationszug aber nicht: „Das Wetter ist bei einer Standkundgebung genau so wie bei einer Demonstration", meint der Demonstrant Tom.

Freiheit für Öcalan

Am Anfang der Kundgebung wird eine Schweigeminute für die Opfer des Anschlages in Suruc abgehalten. Viele strecken die Hand zum „Victory"-Zeichen in die Luft. Die meisten der vielen Fahnen auf der Kundgebung sind die, auf denen das Gesicht des inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan abgebildet ist. Auch Fahnen mit dem Gesicht von Ivana Hoffman, der ersten ausländischen Frau, die im bewaffneten Kampf gegen den IS fiel, sind zu sehen.

Während der Kundgebung laufen zwei junge Frauen mit weißen Spendendosen zwischen den Demonstranten herum. Gizem und Derya sammeln im Auftrag des BDAJ für die Verletzten des Anschlages in Suruc, die noch in Krankenhäusern behandelt werden. Der Bund der alevitischen Jugendlichen in Deutschland, kurz BDAJ, ist die Jugendorganisation der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF).

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Gizem und Derya fühlen sich als Demokratinnen verpflichtet, auf die Demonstration in Düsseldorf zu gehen. „Das, was gerade in der Türkei passiert, ist alles andere als demokratisch!", sagt Gizem. Erdoğan hätte sich zu viel erlaubt, meint sie. „Er hat sehr oft gegen die Menschenrechte agiert."

Auf der Kundgebung wird immer wieder „Freiheit für Öcalan" gerufen. Der PKK-Führer Abdullah Öcalan ist auf der türkischen Gefängnisinsel „Imrali" inhaftiert. Flugblätter, die bei der Kundgebung verteilt werden, weisen auf Öcalans „unermüdlichen Einsatz für den Frieden" hin. Viel Kritik kommt dagegen wegen Öcalans Haftbedingungen auf: „Die Zustände machen Imrali zum schlimmsten der ohnehin berüchtigten türkischen Gefängnisse", heißt es auf einem Flugblatt. Imrali sei das türkische Guantanamo.

Dem türkischen Staat vertrauen auf der Kundgebung in Düsseldorf die Wenigsten. Für den Demonstranten Demir S., einen jungen Mann mit schwarzem Vollbart, ist die Aussage der türkischen Regierung, man wolle mehr gegen den IS machen, „nur Laberei": „Im Endeffekt weiß jeder ganz genau, dass die Türkei Mitschuld daran hat, dass der IS so stark geworden ist."

Aus der Luft gegriffen ist die Überzeugung, die Türkei habe Mitschuld am Erstarken des IS, nicht. Die türkische Zeitung Hürriyet berichtete 2014, dass ein IS-Kämpfer in einem türkischen Krankenhaus nahe der Grenze zu Syrien behandelt worden sei. Der Türkei wird von vielen Seiten vorgeworfen, zu lange die Augen vor der Bedrohung des IS verschlossen zu haben.

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„Ich glaube, Erdoğan und die AKP-Regierung treiben ein böses Spiel"

Auf der Kundgebung sind nicht nur Kurden anwesend. Auch viele junge linke Aktivisten sind gekommen. Einer davon ist Peter* (Namen von der Redaktion geändert). Er ist Mitglied von „Die Falken", der Sozialistischen Jugend Deutschlands, und zu der Demonstration gekommen, um Solidarität mit den Menschen aus Kurdistan und Kobane zu zeigen. „Die haben mit ihrer demokratischen Revolution etwas aufgebaut, was gute Anknüpfungspunkte für die europäische Linke bietet", erklärt er. Außerdem fände er es sehr grausam, dass junge Sozialistinnen und Sozialisten, die nur etwas Gutes in Kobane tun wollten, bei dem Anschlag in Suruc verletzt und getötet wurden. „Ich glaube, Erdoğan und die AKP-Regierung treiben ein böses Spiel", sagt Peter, als es um die Türkei geht. „Auf der einen Seite unterstützen sie, zumindest unter der Hand, den IS. Andererseits gehen sie extrem gegen die kurdische Bewegung vor."

Die PKK tötete in den Tagen nach dem Attentat in Suruc einen Soldaten und drei Polizisten. Sie macht die türkische Regierung für das Attentat mitverantwortlich, da die Türkei den IS unterstützt habe. Seit Freitagabend geht nun das türkische Militär mit Attacken gegen IS-Stellungen und gegen kurdische Stützpunkte im Nordirak vor.

In Deutschland stößt das auf Kritik. So sagte zum Beispiel Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD, dass es zwar zu begrüßen sei, dass Ankara nach Jahren des Wegsehens endlich gegen den IS vorgehe. „Doch die zeitgleiche Bombardierung von Stellungen der PKK zeigt, dass Erdoğans Prioritäten offensichtlich weiter nicht der Bekämpfung des IS gelten", so Annen.

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Spontane Demonstration im Hauptbahnhof

Als die Kundgebung in Düsseldorf kurz nach 15 Uhr beendet wird, sind einige Demonstranten enttäuscht. Knapp 200 vorwiegend junge Teilnehmer sammeln sich deswegen kurz nach dem Ende der Kundgebung an einer Ecke nahe des Düsseldorfer Hauptbahnhofes. „Widerstand in Rojava – Das ist wahre Antifa" steht auf ihrem Transparent. Schwarze Flaggen mit dem „A" für Anarchismus wehen neben roten Fahnen mit Hammer und Sichel, der Flagge der Sowjetunion. Die Demonstranten rufen „Wir wollen keine Salafisten-Schweine". Nach kurzer Verhandlung mit der Polizei ziehen sie in Richtung Hauptbahnhof, nur um dann im Bahnhofsgebäude spontan weitere Transparente auszurollen und vom Haupteingang aus durch den Bahnhof zu laufen. Während ihres Weges schließen sich einige Demonstranten, die eigentlich nach dem Ende der Kundgebung auf dem Weg nach Hause waren, der „Hoch die internationale Solidarität" rufenden Menschenmasse an. Doch nicht jeder findet das gut. Ein Mann versucht, den Demonstranten ein Transparent zu entreißen.

Die Polizei ist nicht im Bahnhof. Vor den Ausgängen haben sie Stellung bezogen. Doch noch bevor die Demonstranten den Ostausgang erreichen, lösen sie sich nach einer kurzen spontanen Kundgebung auf. Es sei besser, so die Demonstration zu beenden, ohne dass es Ärger mit der Polizei gibt, sagt eine junge Demonstrantin, als sie sich an die Teilnehmer der spontanen Kundgebung richtet.

Somit blieben Ausschreitungen während der Demonstration aus. Ganz anders sieht es in der Türkei aus. Nach dem Anschlag in Suruc am vergangenen Montag, bei dem 32 Jugendliche in einem Kulturzentrum einem Selbstmordattentäter, vermutlich vom IS, zum Opfer fielen, folgten Proteste in der Türkei und in anderen Ländern. In der Türkei führten sie zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Montagabend ging die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten vor, am Mittwochabend zogen Anhänger der marxistisch-leninistischen Untergrundorganisation DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) vermummt und mit Kalaschnikows durch die Straßen Istanbuls.