Herr Mohr, der junge Patriot

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Herr Mohr, der junge Patriot

Markus Mohr sitzt für die AfD im Aachener Stadtrat. Er gehört zu einer neuen Generation rechter Politiker. Höflich, jung und intelligent. Wie geht man mit so einem um?

Als der Ausschuss zu dem Punkt der Tagesordnung kommt, an dem Markus Mohr seinen großen Auftritt plant, da hebt er den rechten Arm. Ein klein wenig reckt er seinen Kopf nach vorne, um zu prüfen, ob der Vorsitzende ihn gesehen hat. Jawohl. Der Mann im blauen Sakko, weißen Hemd und der roten Krawatte mit weißen Punkten fährt mit der Hand über den Stoff seines Anzugs, streicht ihn etwas glatt und steht auf. Dann blickt er in die Runde und sagt: „Tja, ich stelle mich dann für meinen Beitrag gerne auch kurz hin", schaut nach rechts und links, schiebt sich die kleine Strähne, die ihm öfters in die Stirn purzelt, wieder in den Seitenscheitel. Er lächelt. Seine Zuhörer nicht. Sie wissen, was jetzt kommt. Sie lehnen sich zurück, stöhnen hier und da resignierend. Und dann beginnt Markus Mohr von der Alternative für Deutschland Aachen seinen Vortrag.

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Mohr hat sich gründlich überlegt, ob er eine Geschichte über sich in den Medien lesen möchte. Er hat sich gefragt, wie er wohl dastehen wird. Schließlich hat er zugesagt und sich bereiterklärt, sich einige Tage begleiten zu lassen, unter der Voraussetzung, dass der Politiker Markus Mohr im Vordergrund steht, nicht der Privatmann. Markus Mohr sitzt für die Alternative für Deutschland (AfD) als einer von zwei Abgeordneten der Partei im Rat der Stadt Aachen und im Wirtschaftsausschuss. Der 31-Jährige gehört zu einer neuen Gruppe Rechtspopulisten: provokant, direkt, intelligent. Er ist gegen Genderwahn, weist oft darauf hin, dass Frauen heute dazu gezwungen würden, Karriere zu machen. Guter Journalismus? DasCompact-Magazin erscheint ihm unabhängig, gut recherchiert und ausgewogen. Er ist einer jener jungen Politiker, die sich gegen Asyl aussprechen, die wollen, dass Deutschland deutsch bleibt, und die all das nicht nur mit stumpfen Parolen fordern, sondern stets höflich und bedacht. Er hält anderen die Tür auf, lässt sie stets aussprechen und lächelt dabei oft verständnisvoll. So gibt er sich auch in den Gesprächen für diesen Text.

Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft der Stadt Aachen – Kurz vor Beginn der Sitzung:

Der Ratsherr Markus Mohr kommt pünktlich. Beim letzten Mal war er etwas zu spät, das soll ihm jetzt nicht nochmal passieren. Er legt seinen langen, dunklen Mantel auf dem Stuhl ab, den Regenschirm direkt daneben auf den Boden. Seine schwarze Ledermappe mit den Notizen drapiert er vorne auf dem Tisch, gleich daneben das blaue Seidentuch, das er häufig um den Hals trägt und jedes Mal, wenn er es ablegt, fein säuberlich zusammenfaltet. Als der Vorsitzende Karl Schultheis die Sitzung eröffnet und fragt, ob es vorab Anregungen gibt, meldet sich Mohr. Er prescht vor, will direkt Akzente setzen, auffallen. Er möchte gerne die Reihenfolge der Tagesordnung ändern, Punkt 2 und 3 sollen getauscht werden, das erscheint ihm sinnvoll. Der Vorsitzende lässt abstimmen. Die Änderung der Tagesordnung wird bis auf die Stimme von Mohr abgelehnt. Wie eigentlich immer, wenn er etwas einbringt.

Mohr wuchs in einer Arbeiterfamilie auf, sein Großvater ein Installateur, sein Vater ebenfalls. Die Eltern hatten nicht viel, Markus Mohr erinnert sich oft daran, wie er und sein Bruder sich alles hart erarbeiten mussten. Der erste Realschüler seit Langem sei er damals gewesen, der eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Aachener Bank habe machen dürfen, erzählt er. Seitdem ist er in Aachen hängen geblieben und will hier bleiben—zumindest erstmal. Vielleicht wird er später, wenn er Kinder hat, etwas aufs Land raus ziehen. Aber noch nicht jetzt. Viel mehr Privates gibt er nicht preis—die Politik soll im Vordergrund stehen, darauf weist er bei privaten Themen immer wieder hin.

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„Haben Sie auch etwas zur Sache zu sagen?", fragt der Vorsitzende.

2014 tritt Mohr der Jungen Alternative für Deutschland bei. Er ist wütend, glaubt, dass Politiker die Sorgen der Bürger nicht mehr ernst nehmen. Er denkt, dass die deutschen Ehrenamtler ausgenutzt werden, dass „sogenannte Flüchtlinge" hier auf Kosten der Deutschen leben. Die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland wird erst seit Kurzem von der Partei anerkannt. Lange galten die Mitglieder selbst innerhalb der AfD als zu rechts: Sie hatten zum Beispiel im Internet mit der Kampagne „Selbstjustiz ist die neue Polizei" indirekt zu Gewalt aufgerufen. Schwierige Themen plakativ zu behandeln, einfache Lösungen zu geben, das ist die Taktik. Das macht die Junge AfD zur Gefahr.

Zur Kommunalwahl 2014 gab es innerhalb des Stadtverbands der AfD eine Diskussion darüber, ob die Partei antreten solle oder nicht. Die Mitglieder fragten sich, ob es dafür zu früh sei. Der Stadtverband war zu dieser Zeit gerade erst gegründet worden. Markus Mohr und die Junge Alternative setzten sich für den Versuch ein. Mohr ließ sich für den Wahlbezirk Aachen Rothe-Erde aufstellen und zog tatsächlich in den Stadtrat ein. Hier arbeitet er nun mit seiner AfD-Kollegin Mara Müller und dem parteilosen ehemaligen Pro-NRW-Mitglied Wolfgang Palm zusammen.

Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft der Stadt Aachen – Tagesordnungspunkt 1: Die Genehmigung der Niederschrift

Mohr zeigt abermals auf. Er ist mit der Niederschrift der letzten Sitzung nicht einverstanden. Er ist als fehlend eingetragen. Mohr rutscht auf dem Stuhl hin und her. „Das stimmt nicht", betont er und blickt den Vorsitzenden erwartungsvoll an. „Ich war da", fügt er hinzu und strafft das Sakko etwas nach. „Ich kann mich erinnern, dass Sie da waren", sagt der Vorsitzende. Zwar sei Mohr seiner Erinnerung nach etwas zu spät gekommen, aber ja, er sei da gewesen. Man werde das ändern. Mohr lehnt sich zurück, lächelt den Vorsitzenden schmal an und fährt mit der Hand über den Tisch vor ihm, als wolle er ihn von Krümeln befreien. Die Sitzung geht weiter.

Mohr, dessen Frisur stets zum strengen Seitenscheitel gekämmt ist, nennt sich manchmal selbst „rechts". Wenn er das merkt, korrigiert er sich: „nationalkonservativ". Mohr zählt sich zum rechten Flügel der AfD. Er mag Björn Höcke und könnte sich ihn gut als Vorsitzenden vorstellen. Alexander Gauland wäre ihm zwar noch lieber, aber der sei dafür ja schon zu alt. Nein, der Höcke, der würde das gut machen. Politiker müssten manchmal eben Dinge überspitzt darstellen, um verstanden zu werden, meint Mohr.

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Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft der Stadt Aachen – Tagesordnungspunkt 2: Die Haushaltsberatungen für 2016

Markus Mohr blickt in die Runde. „Tja, ich stelle mich dann für meinen Beitrag gerne auch kurz hin", schaut nach rechts und links, schiebt die Strähne zurück. Er lächelt und beginnt zu sprechen.

Die Stadt Aachen plant einen sogenannten „Newcomer Service". Wie können Flüchtlinge integriert werden und wie kann das zur Lösung eigener Probleme beitragen? Mit Bildungsangeboten will die Stadt dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Flüchtlinge sollen dabei besonders unterstützt werden. Von „Willkommenskultur" ist die Rede. Markus Mohr glaubt nicht an den Fachkräftemangel. Und das Geld, das für Flüchtlinge gedacht ist, solle doch besser den arbeitslosen Deutschen über 50 zugutekommen, trägt er dem Ausschuss vor. Das sei sinnvoller, als es „sogenannten Flüchtlingen" zu geben. Der Vorsitzende weist ihn darauf hin, dass für alle Seiten etwas gemacht werde. Mohr interessiert das nicht. Während er ausführt, dass der Fachkräftemangel ein großer Mythos sei und die Stadt Politik nur für Flüchtlinge mache, stöhnen die anderen Mitglieder des Ausschusses, unterbrechen ihn, wollen, dass er aufhört zu reden. „Haben Sie auch etwas zur Sache zu sagen?", fragt der Vorsitzende.

In den Sitzungen wird Mohr systematisch von den anderen Parteien ausgeschlossen. Wann immer er etwas sagt, wenden sich viele Mitglieder demonstrativ anderen Dingen zu. Auch außerhalb der Sitzungen ist das so. Doch Mohr lässt sich nicht beirren, er bleibt hartnäckig. Vor den Ausschusssitzungen geht Mohr oft demonstrativ zu allen Anwesenden und begrüßt sie persönlich, gibt ihnen die Hand, lächelt sie an und fragt, wie es ihnen geht. „Wir haben unsere liebe Not mit diesem Herrn Mohr", sagt Benjamin Fadavian von der SPD, der ebenfalls im Ausschuss sitzt. Er erinnert sich noch gut daran, wie Mohr zur ersten Sitzung mit ihm als Mitglied für alle Anwesenden Reisfladen mitgebracht hat. Er gebe sich ein sehr bürgerliches, anständig wirkendes Profil, aber wenn man näher hinsehe, wirke es nur noch skurril.

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Mohrs Stadtteil ist arm. Aachen Rothe-Erde ist einer der Problembezirke der Stadt. Sozial schwach, von der Industrie geprägt. Der Putz bröckelt von den Häusern, Müll liegt auf den Straßen. Mohr hat das genutzt. Während des Wahlkampfs ging er von Tür zu Tür und stellte die AfD vor. Er stellte sich auf die Bürger ein, die ihm die Tür öffneten. Der Stadtteil solle sicherer und schöner werden, sagte er ihnen. Die Barrierefreiheit ausgebaut und die Kriminalität gesenkt. Weniger Geldverschwendung, mehr Geld für die Einheimischen. Er versprach, dass er den Stadtteil ändern werde, dass er etwas bewegen könne. Hier ein Kaffee, dort ein Gespräch, solche Kleinigkeiten haben Mohr die Stimmen und das Vertrauen der Bürger gebracht. Es sind die kleinen Sorgen, die er zerstreut. Es sind die großen Ängste, die er schürt.

Mehr als 30 Prozent der Anwohner in Rothe-Erde sind Ausländer. Zu einigen von ihnen ging Mohr mit dem Parteiprogramm der SPD und zeigte es ihnen. Ganztagsbetreuung für Kinder? Das könne doch auch nicht im Sinne dieser Familien sein. Sie seien es doch auch in ihrer Heimat nicht gewohnt, dass die Kinder den ganzen Tag fort seien. Er wollte auch ihre Stimmen. Er mache Politik für alle, sagte er ihnen.

Seine Wahlkampfversprechen? Mehr Mülleimer, Tüten für Hundekot und die Renovierung des Bolzplatzes. All das hat er nach der Wahl eingelöst. Parteitaktik, die nicht neu ist, aber funktioniert. Die Bürger von Aachen Rothe-Erde gaben ihm bei der Kommunalwahl 6,18 Prozent der Stimmen. 110 Menschen machten bei ihm das Kreuz. Auf seiner Internetseite bedankt er sich für das Vertrauen.

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Wenn er durch seinen Stadtteil läuft, dann schüttelt er manchmal den Kopf. Alles ist so heruntergekommen. An einer Ecke möchte er jetzt eine Hundewiese einrichten lassen. Das Gelände liegt brach, das könne man gut nutzen, meint er. Mehr kann er auch nicht machen. Die anderen Parteien im Rat boykottieren fast alle Vorschläge, die von ihm kommen. Als kürzlich ein Nachbar zu ihm kam und den jungen Ratsherrn fragte, ob es nicht möglich wäre, Anwohnerparkplätze einzurichten, da gab Mohr ihm eine Unterschriftenliste und versprach ihm, das Thema bei genügend Interesse anzugehen.

Während der eine Markus Mohr sich also um Anwohnerparkplätze und Hundewiesen kümmert, fordert der andere die Abschiebung aller Flüchtlinge. Die Menschen sollen in „grenznahen Bereichen ihrer Heimat" untergebracht werden. Oder, wenn möglich, „in sicheren Teilen ihrer Heimatländer". Deutschland könne doch nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen und diesen ein besseres Leben ermöglichen. „Der Zuzug muss sofort gestoppt werden", verlangt er. Und: „Wir müssen Grenzkontrollen einführen." Oder auch: „Menschen, die sich illegal hier aufhalten, müssen gehen." Diese Dinge sagt er im Rat oder in den Ausschüssen.

Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft der Stadt Aachen – Tagesordnungspunkt 3: Der Newcomer Service

Der Knall kommt jetzt. Es geht nochmal um den Newcomer-Service, das Konzept soll genauer besprochen werden. Markus Mohr hat seine große Stunde schon gehabt. Nun wollen die anderen Ausschussmitglieder zurückschlagen. „Unqualifiziert" nennen sie Mohrs Redebeitrag. Mohr will das nicht auf sich sitzen lassen und redet rein. Als ihn der Vorsitzende darauf aufmerksam macht, dass er nicht dran ist, schüttelt er sich kurz, hält inne. „Da haben Sie Recht, entschuldigen Sie", sagt er und ist still. Alle gegen einen. Und dann hebt Benjamin Fadavian von der SPD die Hand und fragt: „Ist Herr Mohr eigentlich stimmberechtigt?" Fadavian ist der Meinung, dass Mohr nur beratendes Mitglied des Ausschusses sei und ohne jedes Recht mit abstimmt. Stille. Dann Unruhe. Die Anwesenden tuscheln, schauen sich an, fragen sich, ob das wohl möglich sei. Da nur zwei Politiker der AfD im Rat der Stadt sitzen, können sie keine eigene Fraktion bilden. Das ist erst ab drei Abgeordneten möglich. Für die Ausschüsse bedeutet das: Markus Mohr darf zwar im Wirtschaftsausschuss anwesend sein und mitberaten—abstimmen darf er aber nicht. Benjamin Fadavian ist sich sicher, dass Mohr das weiß und gehofft hat, dass es niemand merkt. Einige kichern. „Wir werden das prüfen", sagt der Vorsitzende. Mohr lächelt und schaut auf sein Handy.

Markus Mohr ist Deutscher und ja, er ist stolz darauf. In seinen Reden geht es um „Das deutsche Volk" oder auch um „Preußische Tugenden". Am liebsten isst er Kartoffeln mit einer Gemüsemischung aus Möhren, Brokkoli und Fenchel. Auch wenn er manchmal ganz gerne zum Asiaten oder Italiener geht. Auf was ist der Mann stolz, wenn er an das eigene Land denkt? „Auf die Geschichte unseres Landes", sagt er. Er denkt an große Philosophen, an Musik, an die Wissenschaft. „Da weiß ich, dass Deutschland ein großartiges Land ist." Und das erklärt für ihn auch, warum sich so viele Menschen in Flüchtlingsheimen und Kleiderkammern engagieren: Deutschland ist großartig, die Deutschen sind großartig. Für Mohr ist die Sache klar: „Der Deutsche" ist von Natur aus hilfsbereit. „Der Deutsche ist ja auch sehr naturverbunden", sagt er. Für Umweltschutz sei der Deutsche immer zu haben. Und genauso sei er eben hilfsbereit, wenn Flüchtlinge kämen. Aber er, Markus Mohr, sehe jetzt, dass diese Hilfsbereitschaft ausgenutzt werde und schuld daran sei die Politik mit ihrer Willkommenskultur.

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Falls Markus Mohr sauer ist, merkt man es ihm selten an. Nur manchmal, wenn er wirklich gegen etwas ist, redet er sich in Rage und spuckt dabei ganz leicht. Die Flüchtlingskrise ist so ein Thema. Ansonsten: Stets korrekt, immer höflich und bedacht. Deutschland ist in Gefahr. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist seine Meinung: „Ich sehe eine zunehmende ethno-kulturelle Fragmentierung in unserem Land." Er redet von „Instabilisierung des Landes" er warnt vor „Verwerfungen". Das sind seine Worte. Er schreit nicht „Lügenpresse" und ruft nicht „Deutschland den Deutschen". Er präsentiert sich gut. Er ist kein Baseballschläger-Typ. Mit seinem Bruder wohnt er im gleichen Haus, sie teilen sich ein Auto. Seine Freundin hat er an der Tankstelle um die Ecke kennengelernt—er ist glücklich und auch beruflich ist er erfolgreich. Er hat sich als Versicherungsmakler selbstständig gemacht. Zwar arbeitet er noch alleine, aber auch hier hat er Grundsätze. Er würde nur Deutsche einstellen. Alles andere wäre unfair, betont er. Spanien brauche seine Arbeitskräfte genauso wie Syrien. Ein Spanier solle in Spanien angestellt werden. Ein Syrer in Syrien und ein Deutscher eben in Deutschland. „Ich halte das für einen guten Weg", sagt er.

An wem orientiert sich einer wie Markus Mohr? Politische Vorbilder sind für ihn Menschen mit Ecken und Kanten. „Personen, die loyal für ihr Land standen", sagt er. Politiker, die ihre Heimat an die erste Stelle gesetzt haben und klare Worte gefunden haben. Einen Namen nennt er nicht.

Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft der Stadt Aachen – Tagesordnungspunkt 4: Fachkräftesicherung in der Region

Alles, was er sagen wollte, hat er gesagt. Als es im Ausschuss um die Förderung von Schülern in naturwissenschaftlichen Fächern geht, tippt Mohr auf seinem Handy herum. Viele der Anwesenden nicken. Ja, naturwissenschaftliche Fächer seien wichtig, sind sie sich einig. Vorne hält ein Mann um die 40 einen Vortrag, die meisten hören nur halb zu. Als es zur Abstimmung kommt, heben sich alle Hände. Auch Markus Mohr hebt seine Hand, er will auch nach dem Hinweis von Fadavian weiter mit abstimmen. „Herr Mohr, ich habe mal nachgeschaut", beginnt der Vorsitzende da und hält kurz inne. „Sie dürfen nicht abstimmen, Sie sind beratendes Mitglied." Niemand hat es gemerkt. Bis jetzt. Während ihm ganz kurz, nur für einen kleinen Moment, die Gesichtszüge entgleisen, während er vor allen Versammelten zurecht gewiesen wird, lacht der Rest des Ausschusses. Mohr strafft den Anzug, aber er sagt nichts.

AUSSCHUSS FÜR ARBEIT, WIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT DER STADT AACHEN –Tagesordnungspunkte 5 bis 8: Das Ende

Mohr schweigt. Er ist nicht mehr ganz bei der Sache. Falls es ihn mitgenommen hat, dass er nicht mehr abstimmen darf, lässt er es sich nicht anmerken. Später wird er sagen, dass der Hinweis, er dürfe nicht abstimmen, formal richtig gewesen sei. Er wird es kleinreden, belächeln. Er wird sagen, dass andere das auch machen, sich in Ausschüsse setzen und ohne Recht mitabstimmen. Er wird ablenken. Um 18:47 Uhr beendet der Vorsitzende die Sitzung. Draußen wartet schon die nächste Gruppe, die herein möchte. Mohr steht auf, streift seinen Anzug glatt, steckt seinen blau-goldenen Kugelschreiber in die Ledermappe und steht auf. Für heute ist gut.