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Ich habe die ‚Sun’-Umfrage durchgeführt, die für islamophobe Hetze missbraucht wurde

Die befragten britischen Muslime wussten nicht, wie sie das mehrdeutige englische Wort ‚sympathy' interpretieren sollten, doch die Boulevardpresse war sicher, 20 % der Muslime sei für Dschihad.

Diesen Montag prangte auf der Titelseite des britischen Boulevardblatts The Sun eine riesige, hetzerische Schlagzeile: „1 in 5 Muslims' sympathy for jihadis" — jede fünfte muslimische Person soll also Verständnis oder Mitgefühl für Dschihadisten haben. Ich habe seit März mit Unterbrechungen für die Marktforschungsfirma Survation im Osten Londons gearbeitet, und als ich letzte Woche ins Büro kam, hatte ich eine Umfrage vor mir, die sich ziemlich deutlich von unseren normalen Umfragen abhob. Auf unseren Bildschirmen war ihr Name als „Muslimen-Umfrage" angegeben. Zuerst fand ich, dass es interessant wirkte, aber nach etwa 20 Minuten war mir schon recht mulmig bei der Sache.

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Alle Interviewer, die für Survation an dem Projekt gearbeitet haben, fanden das Skript und die Formulierung der Fragen verdächtig, doch wir hatten keine Ahnung, wer der Kunde war oder wie die Information eingesetzt werden würde.

Das Skript war reduktiv und oft herablassend. In einer Frage sollten die Befragten mitteilen ob sie fänden, dass a) britische Muslime nicht genug tun, um sich in die britische Gesellschaft zu integrieren, b) britische Muslime genug tun, um sich in die britische Gesellschaft zu integrieren, oder c) es nicht wichtig sei, ob sich britische Muslime in die britische Gesellschaft integrieren oder nicht. Ein Mann, mit dem ich sprach, reagierte auf diese Frage mit Verärgerung und Verwirrung: „Was meinen Sie? Was ist denn mit Nicht-Muslimen in Großbritannien, die uns gegenüber feindselig sind? Gibt es dazu auch eine Frage?"

Es wurde mir immer peinlicher, diese Fragen zu stellen. Viele Leute, die wir anriefen, weigerten sich, an der Umfrage teilzunehmen, doch oft waren diejenigen, die mitmachten, dafür besonders gesprächig. Die Umfrage selbst dauerte nur ein paar Minuten, doch meist war ich 10 Minuten und länger am Telefon. Bei allen anderen Umfragen sind wir angewiesen, die Telefonate so kurz wie möglich zu halten, doch bei dieser Umfrage wurde uns vorher gesagt, aufgrund des heiklen Themas sollten wir die Befragten so lange sprechen lassen, wie sie wollten. Jede einzelne Person, mit der ich mich mehr als fünf Minuten lang unterhielt, verurteilte die Terroranschläge, die im Namen des Islam durchgeführt werden. Manche wollten sogar hauptsächlich an der Umfrage teilnehmen, um zu zeigen, dass sie als Muslime entsetzt und wütend über die Ereignisse in Paris waren. Diese Gedanken und Gefühle gingen in einer Handvoll Multiple-Choice-Fragen unter. Die Vorstellung, dass eine schlecht geschriebene Umfrage Aufschluss über komplexe und emotionale Themen wie Identität und Religion geben kann, wäre komisch, wenn sie nicht so ein zerstörerisches Potential hätte.

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Dann war da die spezifische Frage zur „sympathy" [was sowohl Verständnis als auch Mitleid bedeuten kann] für „Kämpfer in Syrien" (denn in dem Skript stand zu keinem Zeitpunkt das Wort „Dschihadist"). Bei einer Frage sollten die Teilnehmer bestimmen, welcher Aussage sie am ehesten zustimmen: a) Ich habe viel sympathy für junge Muslime, die Großbritannien verlassen, um sich Kämpfern in Syrien anzuschließen, b) Ich habe etwas sympathy für junge Muslime, die Großbritannien verlassen, um sich Kämpfern in Syrien anzuschließen, oder c) Ich habe keine sympathy für junge Muslime, die Großbritannien verlassen, um sich Kämpfern in Syrien anzuschließen.

Die überwältigende Mehrheit der Befragten antwortete hierauf mit c), doch manche sagten, sie hätten etwas sympathy (niemand unter meinen Interviewpartnern wählte die erste Antwortmöglichkeit). Das Problem bei der Frage ist das Wort „sympathy", für das es keine eindeutige Übersetzung gibt, da es mehrere Bedeutungen hat. Was bedeutet „sympathy" in dieser Umfrage? Bedeutet es Mitleid? Oder bedeutet es Verständnis?

In Reaktion auf die wachsende Kritik an ihrer Methodologie hat die Marktforschungsfirma Survation am Dienstag eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie erklärte, die Formulierung der Fragen stamme von ihr und nicht von der Sun—allerdings distanzierte sich Survation außerdem von der Interpretation der Ergebnisse, welche die Sun veröffentlicht hat.

„Die Formulierung der Frage nach ‚sympathy with young Muslims who leave the UK to join fighters in Syria' wurde nicht von der Zeitung The Sun ausgewählt, sondern von Survation festgelegt, um sicherzugehen, dass diese Umfrage sich mit einigen unserer früheren Umfragen unter Muslimen und Nicht-Muslimen sinnvoll vergleichen lässt.

Allerdings unterscheiden wir zwischen unserer eigenen Arbeit und der Art und Weise, wie unsere Kunden diese Arbeit präsentieren. Die erfolgte Auslegung der Ergebnisse dieser Umfrage wird von Survation nicht gutgeheißen oder befürwortet. Weder die Schlagzeilen noch die Texte der veröffentlichten Artikel wurden vor der Veröffentlichung mit Survation besprochen. Unsere eigene Dokumentation und Analyse ist hier zum Vergleich zusammengefasst.

Weiterhin spricht sich Survation kategorisch gegen die Verwendung unserer Ergebnisse zum Zwecke jeglicher rassistischer oder religiöser Hetze aus, wie sie bereits in sozialen Netzwerken erschienen ist."

Keine der Personen, die ich befragt habe, hat Dschihadisten unterstützt. Eine Frau gab mir nachdenkliche, wohlüberlegte Antworten auf jede Frage. Sie fand, David Cameron hätte wahrscheinlich recht damit, Syrien zu bombardieren, und Muslime hätten eine Verantwortung, Terroranschläge im Namen des Islam zu verurteilen. Doch sie hatte auch ein wenig Mitleid mit den jungen britischen Muslimen, die sich Kämpfern in Syrien anschließen. „Man hat sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Sie tun mir leid", sagte sie. Und so setzte ich ein Häkchen bei „I have some sympathy for young British Muslims who go to join fighters in Syria".

Die Titelseite der Sun am Montag war für mich wie ein Schlag in die Magengrube. Wenn man von der Pressemitteilung ausgehen kann, dann war Survation wohl auch ziemlich geschockt.