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Popkultur

Ein Psychologe erklärt, wie Hollywood ein falsches Bild von psychischen Krankheiten vermittelt

Warum „Nightmare on Elm Street" und „Shining" psychische Störungen nicht verstanden haben.

Screenshot: Youtube

Schaut euch einen x-beliebigen Horrorfilmklassiker an—A Nightmare on Elm Street, Freitag der 13., Shining. Mit großer Wahrscheinlichkeit werdet ihr darin Darstellungen von Geisteskrankheit finden. Sie ist eine einfache, wenn auch nicht korrekte Erklärung für die mörderische Gewalt, die die Grundlage dieser Geschichten bildet. In vielen Filmen, in denen psychische Erkrankungen dargestellt werden, besonders in gewalttätigen und blutigen Horrorfilmen, wird realistische Pathologie absichtlich zugunsten einer melodramatischen Erzählung aufgegeben. Bestenfalls ist es Faulheit, schlimmstenfalls werden die Menschen, die Hilfe brauchen, öffentlich und wiederholt dämonisiert.

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Vor Kurzem habe ich einen Artikel darüber geschrieben, dass psychisch Kranke überdurchschnittlich häufig von Polizisten erschossen werden. Der Tonfall vieler Kommentare war: „Ja, natürlich. Sie sind ja auch viel gefährlicher.” Nicht nur können dieser Aussage alle widersprechen, die im Bereich Psychiatrie und Psychologie arbeiten, sie ist auch ein unmittelbares Ergebnis dessen, dass in den Medien eine fiktive Verbindung zwischen geistiger Krankheit und Gewalt hergestellt wird.

Ich habe mit Dr. Danny Wedding gesprochen, dem ehemaligen Leiter des Missouri Institute of Mental Health und Mitautor von Movies and Mental Illness: Using Films to Understand Psychopathology, um mehr über diesen weitverbreiteten Filmmythos zu erfahren.

VICE: Wie werden psychische Erkrankungen im Allgemeinen in Filmen dargestellt?
Dr. Danny Wedding: Slasher-Filme wie Freitag der 13. stellen Menschen mit psychischen Erkrankungen als gemeingefährliche Irre dar. Das ist schrecklich. Es gibt auch viele andere Mythen, die immer noch in Filmen verbreitet werden. Gleichzeitig gibt es auch einige bekannte Filme, die ihre Sache gut machen. Regisseure und Produzenten stellen immer häufiger Psychologen und Psychiater als Berater ein.

Screenshot: Youtube

Was ist mit der Verbindung zwischen Gewalt und Geisteskrankheit?
Ich denke, der häufigste Irrglaube ist der, dass Menschen mit psychischen Krankheiten gefährlich und gewalttätig seien. Es gibt aber eindeutige Hinweise darauf, dass Menschen mit Krankheiten wie Schizophrenie viel eher zu Opfern als zu Tätern werden. Typischerweise werden psychisch Kranke, Obdachlose, die man auf der Straße sieht, zu Opfern. Sie werden ausgeraubt, vergewaltigt, ermordet. Sie werden aber nicht zu Räubern, Vergewaltigern, Mördern. Wenn Gewalt ausbricht, dann geschieht das normalerweise innerhalb der Familie, es sind keine fremden Menschen betroffen. Normalerweise werden dann auch diejenigen psychisch Kranken gewalttätig, die ein Alkohol- oder Drogenproblem haben.

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Werden deiner Meinung nach auch Psychologen falsch dargestellt?
Ja, aber das ändert sich langsam. Es gibt einige Motive, die immer wiederkehren. Manchmal werden Psychologen und Psychiater als inkompetent und als Clowns dargestellt. Hast du den Film Was ist mit Bob? gesehen?

Ja, den habe ich vor Kurzem gesehen. Der mit Bill Murray?
Genau. Das ist ein toller Film, aber Richard Dreyfuss spielt darin einen Psychologen, der irgendwie stümperhaft und inkompetent ist. Der Film ist wirklich lustig, aber es ist auffällig, dass Therapeuten häufig als töricht und einfältig gezeigt werden, als Menschen, die nicht viel zu bieten haben. Manchmal werden sie auch als allwissend dargestellt, als Menschen, die die dunklen, verborgenen und dreckigen Seiten sehen, die Dinge sehen, die andere nicht sehen können. Wie zum Beispiel in Hitchcocks Psycho. Manchmal werden sie als Mörder dargestellt, wie in Das Schweigen der Lämmer—der Kannibale Hannibal war ja Psychiater.

In Herr der Gezeiten wiederum werden sie als unmoralisch dargestellt. In Filmen sieht man häufig, wie Psychiater und Psychologen mit ihren Patienten schlafen, mit ihnen Affären haben. Im Film Tin Cup tauscht eine Therapeutin Therapiestunden gegen Golfstunden und schläft schließlich mit dem Golfprofi. Psychotherapeuten werden also als unmoralisch oder inkompetent dargestellt oder als Menschen, die besondere Fähigkeiten haben wie die Fähigkeit, in jemanden hineinzusehen und sein Verhalten vorherzusagen. Tatsache ist aber, dass Psychiater und Psychologen keine übernatürlichen Fähigkeiten besitzen und das Verhalten anderer auch nicht besser voraussagen können als andere Menschen.

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Screenshot: Youtube

Wem ist es deiner Meinung nach am besten gelungen?
Es gibt da diesen kanadischen Film, Clean, Shaven, der von Schizophrenie handelt. Ich weiß nicht, ob du den gesehen hast. Er ist nicht besonders bekannt, aber ich empfehle ihn immer wieder, wenn mir diese Frage gestellt wird. Ein aktueller Film, der auch sehr beliebt war, ist Silver Linings. Ich finde, er stellt die bipolare Störung ziemlich gut dar. Hast du The Hours gesehen? Das ist ein Film über Virginia Woolf, die mit Sicherheit an einer bipolaren Störung litt. Ich finde, auch in diesem Film wurde die Krankheit sehr gut dargestellt.

Gab es in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren Fortschritte?
Ja, die Filme sind besser geworden. Ron Howards Film A Beautiful Mind zum Beispiel ist großartig. Howard ist ein hervorragender Regisseur. Der Film ist eine einfühlsame und verständnisvolle Darstellung John Nashs, der ja ein brillanter Mann war. Natürlich hatte Nash im Film visuelle Halluzinationen, obwohl die meisten Menschen, die an paranoider Schizophrenie leiden, akustische Halluzinationen haben. Howard hat sich da etwas künstlerische Freiheit genommen, weil es im Film natürlich viel anschaulicher und einfacher ist, visuelle Halluzinationen darzustellen.

Screenshot: Youtube

Welche Märchen werden sonst noch verbreitet?
Die Annahme, dass der Krankheit immer eine traumatische Erfahrung zugrunde liegt. Die Filme suggerieren, dass Menschen, die eine psychische Erkrankung entwickeln, in ihrer Vergangenheit, vielleicht in ihrer Kindheit, etwas Schreckliches erlebt haben. Eva mit den drei Gesichtern und Filme über dissoziative Störungen suggerieren, dass jemand als Kind körperlich oder sexuell missbraucht wurde.

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Vielleicht hast du auch Robin Williams in König der Fischer gesehen. Der Film ist ziemlich gut. Er zeigt einen Mann mit allen Symptomen von Schizophrenie, doch diese Symptome hat er erst entwickelt, nachdem seine Verlobte in einem Restaurant erschossen wurde. Eine solche Erfahrung würde aber eine posttraumatische Belastungsstörung auslösen, keine Schizophrenie. Viele Menschen entwickeln auch ohne traumatische Erlebnisse in ihrer Vergangenheit psychische Erkrankungen.

Ein weiteres Märchen, das sich besonders hartnäckig hält, ist das vom schizophrenen Elternteil und die Annahme, dass jemand deshalb krank wird, weil seine Eltern versagt haben. Oder die Mär von der Liebe, die die psychische Erkrankung besiegt. Liebe ist zwar wichtig und man benötigt auch den Beistand einer liebevollen, fürsorglichen Familie, um eine psychische Erkrankung zu überstehen. Aber Liebe allein lässt eine Krankheit wie Schizophrenie doch nicht verschwinden.

Wer ist denn der größte Übeltäter?
Es gibt diesen alten Film mit Jack Nicholson, Shining. Darin versucht Nicholson, seine Frau und seinen Sohn umzubringen. Es ist wirklich schrecklich. Freddy Krüger, die Hauptfigur von Nightmare - Mörderische Träume, leidet an einer schweren Geisteskrankheit. Auch seine Mutter wurde in einer Nervenklinik behandelt. Diese Darstellungen psychischer Krankheit sind wirklich ausgemachter Unsinn.

Manche Filme sind so furchtbar, dass man kaum darüber sprechen kann. Die ganzen Filme, in denen psychische Erkrankungen mit Gewalt in Verbindung gebracht werden, umfassen in irgendeiner Weise auch immer Sexualität. Menschen werden also nicht bloß umgebracht, sie werden missbraucht oder vergewaltigt und dann umgebracht.

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Foto: annie_is_okay | Flickr | CC BY-ND 2.0

Taxi Driver ist ein ziemlich gewalttätiger Film, aber mir hat immer gut gefallen, dass Travis Bickle darin nur langsam in den Wahnsinn abgleitet. In vielen Filmen ist der Übergang von geistiger Gesundheit zu Geisteskrankheit ziemlich abrupt.
Oh, ja, das ist einer der besten Filme aller Zeiten. Scorsese ist ein großartiger Regisseur. Meiner Meinung nach wird die Geisteskrankheit darin authentisch und korrekt dargestellt. Im Allgemeinen verlaufen die meisten psychischen Erkrankungen schleichend, die Krankheit beginnt langsam. Eine Krankheit wie Schizophrenie kann erste Symptome zeigen, wenn du noch im Teenageralter bist, und sich erst vollständig manifestieren, wenn du Mitte zwanzig bist.

Andere Krankheiten wie Alzheimer können beginnen, wenn jemand Mitte 60 ist, und sich erst vollständig manifestieren, wenn jemand Mitte 70 ist. Manche Krankheiten brechen abrupt aus. Sagt dir der Begriff Konversionsstörung etwas?

Nein.
Gelegentlich entwickeln Menschen neurologische Symptome wie zum Beispiel hysterische Blindheit. Ein klassisches Beispiel dafür wäre eine Frau, die dabei zusehen muss, wie ihr Kind von einem Auto überfahren wird. Sie erblindet. Sie wird von verschiedenen Spezialisten, von Augenärzten und Neurologen untersucht, die keine körperliche Ursache für ihre Blindheit finden können. Doch die Blindheit ist real: Die Frau kann nichts sehen. Die Annahme ist nun, dass sie auf einer psychologischen Ebene versucht, das schreckliche Ereignis wieder ungeschehen zu machen.

Welche tatsächlichen Gründe für psychische Erkrankungen gibt es sonst noch?
Psychische Erkrankungen sind so ein weites Feld, das wäre wie zu fragen: „Was sind die Hauptursachen für Krankheiten?” Es gibt unzählige Dinge, die psychische Krankheiten auslösen können. Gene spielen mit Sicherheit eine wichtige Rolle. Die  Wahrscheinlichkeit, Selbstmord zu begehen, erhöht ich beispielsweise um das Viereinhalbfache, wenn ein Elternteil Selbstmord begangen hat.

Wir wissen auch, dass Stress und Traumata eine Rolle spielen. Viele der Soldaten, die aus dem Irak zurückkommen, sind krank. Teilweise deshalb, weil sie Traumata erlitten haben. Du siehst, es gibt viele verschiedene Ursachen für psychische Krankheiten und viele davon lassen sich hervorragend in Filmen verarbeiten.