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Die Gesichter der Muslimbrüderschaft

Ich habe in Kairo mit Omar von den Muslimbrüdern abgehangen. Eigentlich sind diese Typen ganz nett. Sie nahmen mich überall hin mit, Hände schütteln, „Ah aus Deutschland … die besten Leute!“ Ich gerat mit den Jungs sogar in eine Schießerei, aber wurde...

Wer sind eigentlich diese Muslimbrüder, von denen die ganze Welt spätestens seit der Machtübernahme in Ägypten spricht?

Ich treffe mich hier in Kairo öfter mit Omar, der schon seit seiner Kindheit Mitglied bei der MB ist. Sein Bart hat noch Lücken und er ist erst 21 Jahre alt. (Bart tragen ist so ein gängiges Klischee der Islamisten, weil sie das Aussehen ihres Propheten Mohammed nachahmen wollen. Aber in Wirklichkeit kann „Mann“ auch glattrasiert Mitglied der Brüderschaft sein). Omar trägt bei der Hitze ein Palästinensertuch und schwitzt unentwegt. Er hat immer seinen Motorradhelm dabei; hier in Kairo weißt du nie, was gleich passiert, wenn du mit den Muslimbrüdern unterwegs bist. Es kann plötzlich Steine regnen, deine Gegner, die die Muslimbrüderschaft verfluchen, können jederzeit angreifen, und auch das Militär schießt scharf auf die Brüderschaft—aber da würde der Helm auch nicht helfen. Es war nicht allzu schwer, einen „Bruder“ zu finden, den ich begleiten durfte. Die meisten, die ich getroffen habe, sind nette Typen—auch zu mir, einem ausländischen Journalisten. Wenn ich in den vergangenen Tagen ihre Versammlungen aufsuchte, musste ich zwar eingehende Sicherheitschecks über mich ergehen lassen und immer meinen „Presseausweis“ zücken (ich hab keinen, aber der EU-Führerschein könnte ja einer sein). Doch wenn ich einmal unter ihnen war, wurde ich mit großem Hallo empfangen. Hände schütteln, herzliche, offene Typen, sehr kontaktfreudig, „Bist du Muslim?“, „Nein, bin Christ“, „Herzlich Willkommen!“. Bis zum Zuckerschock wurde ich mit Trinkpäckchen und Datteln versorgt und sie trugen mich bei ihren Demonstrationen sogar auf den Schultern.

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Das Militär hat ihren Präsidenten Mursi geputscht und die einjährige islamistische Regierung ist nun erstmal passé. Omar und die Muslimbrüderschaft haben also gerade ihre Macht verloren und sind nun ziemlich sauer. Viele der Brüder wurden seit dem Putsch verhaftet—auch ihr Anführer.

Auf der Suche nach einem Muslimbruder, der sich fotografieren und mit mir offen redet, suchte ich eine ihrer großen Kundgebungen vor der Uni Kairos auf.

Fast alle Zugänge waren vom Militär abgeriegelt, die Brüderschaft schien isoliert. Die Generäle ließen nicht mit sich diskutieren. Ich kam nicht durch. Mit dem Taxi umkreiste ich dieses riesige abgesperrte Gebiet, bis ich den noch letzten offenen Zugang fand, der dem Militär offensichtlich entgangen war. Dieser Zugang war gut bewacht durch die Muslimbrüder. Nach dem Sicherheitscheck bat ich einen der höheren Funktionäre der Bruderschaft um Hilfe bei der Suche nach einem auskunftswilligen Mitglied. Er nahm mich an die Hand—händchenhaltend durchquerten wir die Kundgebung und fanden schnell Omar.

Omar schüttelte mir euphorisch meine inzwischen feuchte Hand. Wir beide schlenderten über die Kundgebung, die hier schon seit Tagen stattfindet und nun vom Militär umstellt war. Hubschrauber kreisten immer wieder tief über die Muslimbrüder—und auch verschleierter „Muslimschwestern“.

Omar ist allseits bekannt und beliebt—eine Art Knuddelbär der Muslimbrüderschaft. Herzliche Umarmungen bei jeder Kundgebung, die wir besuchen, bei jedem Gerangel mit dem Militär freut er sich wie ein Kind über Freunde, die er hier in seiner großen Familie trifft, wie er die Muslimbrüderschaft nennt. Warum er der Brüderschaft beigetreten sei, fragte ich: „Es geht mir nur um eine Sache: Nach meinem Tod will ich in den Himmel und die Muslimbrüderschaft hilft mir, den Weg zu gehen, der mich dorthin führt.“

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Omar schloss sich einer dieser Gruppen mit Knüppel, Helm und Schild an, um, wie er mir sagte, anderen Glaubensgenossen Zugang zu der abgeriegelten Kundgebung zu verschaffen. Die Kampfeinheit, der er sich da anschloss war nötig, denn zwischen ihnen und den anderen wartenden Glaubensbrüdern lag einer dieser Militärposten den es nun zu überrennen galt. Mulmig wurde mir, als der Trupp anfing zu rennen, sich den Panzern näherte, die Soldaten ihre Gewehre auf uns richteten.

Omar würde für seine Religion sterben, versicherte er mir noch im Laufen. Omar und seine Glaubensbrüder durchbrachen die Straßensperre des Militärs und diese reagierten mit Schüssen. Tränengas, wie ich es sonst aus Kairos Krawallen kenne, war hier wohl nicht mehr angebracht. Ich suchte Deckung hinter den Dicksten der Brüderschaft, einer von ihnen auch Omar. Omar stand einfach da, schaute in Richtung des schießenden Militärs, neben uns trugen die Bärtigen einen angeschossenen Bruder vorbei. Große Panik, doch Omar lächelte freundlich und sagte mir, er hätte keine Angst, er hätte ein Ziel und dafür würde er auch sterben.

Omar macht eigentlich einen netten sympathischen Eindruck. Wenn er nicht gerade einen Militärposten überrennt und vom Märtyrertod erzählt, würde ich ihn für einen harmlosen Freak halten, so eine Art zu groß geratener Teenager in Sportschuhen, der mit seinen Freunden in Cafés abhängt und Mädchen hinterherschielt. Er ist aber fester Teil der Muslimbrüderschaft. Neben dem Studium der Ingenieurwissenschaften widmet er seine Freizeit der Brüderschaft. Er reist mit ihnen auch nach Palästina, um die „Brüder“ dort zu unterstützen, engagiert sich als Koordinator einer medizinischen Hilfsorganisation, natürlich unter Trägerschaft der Muslimbrüder. Aber es gibt auch ein Leben außerhalb seiner Islamistengemeinschaft. Mit glänzenden Augen erzählt er stolz von seinem großen Bruder, der nicht Teil der Muslimbrüderschaft ist, erzählt von seinen durchgeknallten Freunden an der Uni, für die er der „Scheich“ ist und die ihn mit seinem religiösen Eifer aufziehen. Sein Vater hingegen ist Mitglied, habe ihn aber nie gedrängt, mit einzusteigen. Omar möchte sich anstrengen in diesem Leben, alles geben, um in den Himmel zu gelangen.

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Feinde hat die Muslimbrüderschaft unzählige. Die Tamarod-Bewegung—die oppositionelle Bewegung, die den Sturz Mursis forderte—und seit dem Putsch auch große Teile der Armee. Die Polizei scheint ambivalent. Ich habe sie gegen die Muslimbrüder kämpfen und sich mit ihnen solidarisieren sehen. Da soll mal jemand durchblicken.

Aus dem starken Glauben entwickle sich ihre Einigkeit und Motivation, so Omar. Wie er sich nun fühle als Verlierer, fragte ich ihn. Er antwortete mir: Verloren sei gar nichts, Gott sei auf ihrer Seite und das hier nur eine Niederlage dieser einen Runde.

Omar erzählte mir, er hoffe weiter, er glaube noch an eine Wendung, an die Spaltung der ägyptischen Armee und so die Rückkehr ihres Präsidenten Mursi.

Ironischerweise mag Omar die Soldaten, die gerade noch auf ihn schossen. Er habe Freunde, die hier nun auf der Gegenseite seien und aufgrund ihres Militärdienstes gegen ihn kämpfen müssen. Seine wahren Feinde seien die Generäle, die seine Freunde befehligen.

Wir hörten über Lautsprecher einen Beitrag eines palästinensischen Radiosenders, der auf der Kundgebung großen Jubel verursachte: Der Grund war, dass Teile der Armee auf die Seite der Muslimbrüder gewechselt waren. Das würde Krieg bedeuten.

Selbst wenn die Muslimbrüder die Macht nicht zurückgewinnen würden, würden sie weitermachen wie früher—damals als sie vom Mubarak-System verfolgt und bekämpft wurden: Sich in getarnten Wohltätigkeitsorganisationen sammeln und aus dem Untergrund agieren.

Nach dem Überfall auf den Militärposten und den Schüssen auf die Brüderschaft suchte ein mutiger Offizier der Armee das Gespräch mit den Islamisten. Omar und Glaubensgenossen war nicht nach gepflegter Kommunikation und sie teilten verbal heftig aus. Einstecken musste Omar hingegen auf Facebook. Auf seiner Seite sind Kommentare zu finden wie „HaHaHaHa“ oder „Na, bist du glücklich Omar?“—Absender sind Freunde, die zwar Omar mögen, aber gegen seinen islamistischen Verein sind.