Auf der Suche nach Wasser

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Auf der Suche nach Wasser

Anlässlich des Weltwassertags haben wir uns mit dem Fotografen Mustafah Abdulaziz über sein 15 Jahre andauerndes Projekt zum Thema Wasser unterhalten, mit dem er uns aufzeigen will, wie sich unser Verhalten direkt auf unsere Zukunft auswirkt.

Ein Junge im Río Paraguay (Brasilien, 2015) | Alle Fotos: Mustafah Abdulaziz

2011 begann der amerikanische Fotograf Mustafah Abdulaziz damit, sich einem insgesamt 15 Jahre andauerndem Projekt rund um das Thema Wasser zu widmen. Ein Jahr später fing er dann mit den Fotoaufnahmen an und bis dato umfassen seine Arbeiten acht Länder auf vier Kontinenten. Dabei kam es auch zu Kooperationen mit den Organisationen Water Aid, Earth Watch und WWF sowie den Vereinten Nationen. Zum einen beschäftigt sich Abdulaziz bei diesem Projekt mit der Bedeutung von Wasser für Menschen auf der ganzen Welt, aber zum anderen untersucht er auch, wie die verschiedenen Kulturen mit dem Element umgehen, inwiefern das zu Ausbeutung führt und welchen Herausforderungen wir uns stellen müssen, um das lebenswichtige Gut unseres Planeten zu schützen.

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Abdulaziz' beeindruckende Fotos gewähren uns einen Einblick in die Zerbrechlichkeit des Lebens. Was allerdings noch viel wichtiger ist: Sie halten uns einen Spiegel vor und zeigen uns so, wie sich unser Verhalten direkt auf uns auswirkt. Ich habe mir den Weltwassertag 2016 zum Anlass genommen und mich mit Abdulaziz vor der Eröffnung seiner neuen Ausstellung in London getroffen. Dabei sind wir noch unveröffentlichte Fotos durchgegangen und haben über den Stand seines bahnbrechenden Projekts gesprochen.

VICE: Du bist für dein Projekt bis jetzt schon durch acht Länder gereist. Fangen wir doch mal mit China und Indien an. Warum passen diese Bilder so gut zusammen?
Mustafah Abdulaziz: Nun ja, die Menschen aus China und Indien verkörpern einfach richtig gut, wie wir mit Wasser interagieren. In beiden Ländern bin ich einem großen Fluss durch weite Teile des jeweiligen Landes gefolgt—in Indien dem Ganges und in China dem Jangtsekiang. So konnte ich wirklich genau und umfassend beobachten, wie die Bevölkerung dort mit den Wasserressourcen umgeht, und zwar egal ob nun aufgrund des Glaubens, der Arbeit, des Transports oder der Urbanisierung. Genau darum geht es auch bei meinem Projekt: Unser Umgang mit Wasser ohne Fokus auf Ethnie oder Land.

Welche Umgangsformen konntest du dabei beobachten?
Im Grunde interagieren Menschen mit ihrer Umwelt genauso, wie sie mit Wasser interagieren. Sie sehen Wasser als eine Sache an, die man manipulieren, nutzen, messen und kontrollieren muss. Und wenn man eine solch riesige Ressource kontrollieren will, dann sagt das auch viel über die Vorstellung in Bezug auf die Natur aus. Diese Vorstellung ist so oft von ausbeuterischer Art. In China ist diese Ausbeutung richtig massiv. Zwar geht man mit dem Ganges auch nicht gerade zimperlich um, aber zumindest hat das Ganze dort noch eine esoterische Note, denn für die Inder ist der Fluss rein und heilig.

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In Indien hat man dem Fluss gegenüber also theoretisch viel Respekt, verschmutzt ihn aber trotzdem stark. Wie genau ist das in China anders?
Ich glaube, dass die chinesische Auffassung von Wasser in einem bestimmten Bild sehr gut eingefangen wurde, nämlich in dem Foto von den Blumen auf dem Glaskasten, in dem ein Modell der ersten Jangtsekiang-Brücke von Nanjing ausgestellt wird.

Das Diorama der Jangtsekiang-Brücke (China, 2015)

Das Modell kommt allerdings komplett ohne Wasser aus. Sie haben sich nicht mal die Mühe gemacht und den Fluss richtig dargestellt.
Stimmt. Ich will mit dem Foto auch genau auf diese Tatsache aufmerksam machen. Durch die Bildaufteilung soll man erkennen, wie manche Menschen ihre eigenen Vorstellungen auf den Jangtsekiang projizieren. Da haben wir zum einen die Blumen, aber dann eben auch das detaillierte Diorama—mit Schiff, aber ohne Fluss. Das soll zeigen, wie die Chinesen technologischen Fortschritt mehr wertschätzen als die Dinge, die wir eigentlich erhalten müssen.

Ich finde es interessant, wie du dich in deinen aktuelleren Arbeiten darauf konzentrierst, wie sich die Leute in Umgebungen verhalten, wo das Wasser nur für kurze Zeit knapp ist.
Mich fasziniert das Banale—zum Beispiel wenn jemand während einer Dürreperiode seinen Rasen bewässert. Solche Bilder können außerdem noch eindringlicher wirken, wenn man sie zusammen mit Fotos zeigt, auf denen extremere Szenarien oder richtige Krisen zu sehen sind.

Der Classic-Club-Golfplatz (Kalifornien, 2015)

Du meinst deine Fotos aus Kalifornien? Mir ist da vor allem das Bild von dem saftig grünen Golfplatz mitten in der Wüste im Gedächtnis hängen geblieben.
Die Golfplätze sind etwas Besonderes, weil sie Orte sind, wo man sich trifft und gesellig ist. So etwas wird natürlich immer gepflegt. Als ich in einem Helikopter über eine solche Anlage geflogen bin, wurde mir dann auch richtig bewusst, wie bizarr dieser Anblick eigentlich ist.

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Ich finde es aber auch immer wieder interessant zu sehen, wie alltäglich ausuferndes Pflanzen- und Blumenwerk vor Häusern geworden ist. Irgendwie ist das zwar schon schön, gleichzeitig aber auch total absurd. Ich werde diese Leute jetzt nicht darüber ausfragen, welche Unmengen an Wasser sie verbrauchen, um das Ganze zu pflegen, denn darum geht es bei meinem Projekt auch gar nicht. Ich will vor allem zeigen, dass sie es OK finden, so etwas überhaupt zu machen. Für sie ist das Ganze wichtiger als der Schutz ihrer Umwelt. Genau diese Einstellung mache ich zum Thema.

Zwischen 1990 und 2010 haben 2,3 Milliarden Menschen Zugang zu sauberen Trinkwasserquellen erhalten, was wir verbesserten Kanalisationen, Rohren und Brunnen zu verdanken haben. Konntest du diese Entwicklung auf irgendeine Art und Weise selbst beobachten?
2012 war ich in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, unterwegs und dann gab es dort plötzlich einen Cholera-Ausbruch. Als die Neuigkeiten die Runde machten, war es eine Gruppe von freiwilligen Frauen, die als Erstes Hilfe leistete. Bei diesen Frauen handelte es sich um Einheimische, die nicht nur das Vertrauen der Gemeinde genossen, sondern auch genau wussten, was sie zu tun hatten, damit sich die Situation nicht noch weiter verschlimmert. Solches Wissen ist vor allem im Zusammenspiel mit NGOs unglaublich nützlich. So übernehmen die Einheimischen eine wichtige Rolle in der Krisenbekämpfung und können deswegen auch selbst für Veränderung sorgen.

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Links die neue Wasserquelle, rechts die alte (Nigeria, 2015)

Welches Bild drückt diese positive Veränderung deiner Meinung nach am besten aus?
Ein Foto aus Nigeria demonstriert meinen Standpunkt doch ziemlich gut. Es ist sehr einfach gehalten und mutet fast wie eine Theaterbühne an. Viele tragische Zwischenfälle ereignen sich in wunderschönen Umgebungen und mit diesem Umstand kann man gut spielen. Die auf dem Bild zu sehende Wasserpumpe ist für 800 Menschen gedacht—was für eine einzige Quelle echt viel ist. Gleichzeitig ist sie aber auch die direkte Lösung für ein Problem, das auf einem anderen Foto zu sehen ist: eine abgestandene Wasserquelle, die zum einen weiter weg liegt und zum anderen auch noch Krankheiten verursacht.

In diesen abgelegenen und verarmten Gebieten sind vor allem Frauen und Kinder dafür verantwortlich, das Wassers zu besorgen. Wenn die Kinder dafür jedoch so früh aufstehen müssen, dann haben sie für die Schule keine Energie mehr. Und wenn die Frauen so viel Zeit für diese Aufgabe opfern müssen, dann ist es ihnen nicht mehr wirklich möglich, anderweitig zu arbeiten und so auch unabhängiger zu werden.

Darunter hat dann auch die Gemeinde zu leiden und es werden Möglichkeiten verbaut, etwas an das System zurückzugeben, mit dem diese Probleme gelöst werden könnten. Ein Teufelskreis.
Richtig. In Äthiopien habe ich zum Beispiel auch eine Frau kennengelernt, die im achten Monat schwanger war und trotzdem mit einem Krug einen Berg runterkletterte, um das Wasser zu holen, mit dem dann das Bier für die Feier zur Geburt ihres zukünftigen Kindes gebraut wurde. Das ist die harte Realität: Für Wasser riskierte diese Frau das Leben des Kindes, dessen Geburt sie feiern wollte. Wenn man also gefahrlosen Zugang zu sauberem Trinkwasser schafft, dann verschwinden auch diese ganzen anderen Probleme.

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Uchiya Nallo, im achten Monat schwanger (Äthiopien, 2013)

Das World Economic Forum verkündete im Januar 2015, dass die Wasserkrise in Bezug auf Auswirkung auf die Gesellschaft das globale Risiko Nummer Eins wäre. Welche anderen Risiken, die mit Wasser zusammenhängen, wirst du dir als Nächstes vornehmen?
Den Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel. Bangladesch ist vor allem für das Zweitgenannte leider ein gutes Beispiel. Dabei sollte man aber nicht nur an die von den Überschwemmungen verursachte Zerstörung denken, sondern auch an die Tatsache, dass das Ganze inzwischen keine Seltenheit mehr ist.

Dazu will ich mich aber auch noch mit dem australischen Bundesstaat Western Australia und der dortigen Bergbauindustrie in Zusammenhang mit der Wasserknappheit beschäftigen. Perth könnte sich schon bald in eine Geisterstadt verwandeln, wenn man diese Probleme nicht in den Griff bekommt.

Welche Botschaft willst du mithilfe deiner Arbeit übermitteln?
Ich würde sagen, dass meine Motivation für dieses Projekt vor allem darin liegt, der Allgemeinheit zu zeigen, dass wir einen direkten Einfluss auf unsere Umwelt haben und welche schrecklichen Dinge täglich passieren. Dabei wirkt sich das Ganze nicht nur auf Menschen in Nigeria aus, sondern eben zum Beispiel auch auf die Bevölkerung Kaliforniens oder Westeuropas. Es geht mir darum, dass man seine Welt aus einer gewissen Perspektive betrachtet und einsieht, dass sich das eigene Verhalten direkt auf diese Welt und damit auch auf die eigene Zukunft auswirkt. Dazu haben meine Bilder immer etwas Physisches an sich, das ich dann in meinen Respekt für diese Welt verwandle. Ich halte unseren Planeten für einen wunderschönen Ort und ich will, dass sich die Betrachter meiner Arbeiten nicht nur denken, wie beschissen die auf den Fotos zu sehenden Probleme sind. Nein, ich will, dass sie durch meine Bilder dazu inspiriert werden, etwas zu ändern. Und genau hier kommt auch Hoffnung mit ins Spiel. Ich bin wirklich der Meinung, dass wir diese Krise beenden können.

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Waldrodung (Brasilien, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Bodenerosion im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso (Brasilien, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Brackwasser (Äthiopien, 2013)Mustafah Abdulaziz – Water

Der Benue-Fluss (Nigeria, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Eine Wasserstelle in Freetown (Sierra Leone, 2012)Mustafah Abdulaziz – Water

Grundschüler werden über Cholera aufgeklärt (Sierra Leone, 2012)Mustafah Abdulaziz – Water

Ein provisorisches Wasserbecken in einem ausgetrockneten Flussbett (Kalifornien, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Der Dongting-See (China, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Auto werden verschifft (China, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Das Diorama der Jangtsekiang-Brücke (China, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Seetang- und Krabbenfang (China, 2015)Mustafah Abdulaziz – Water

Brückenbauarbeiten am Ganges (Indien, 2013)Mustafah Abdulaziz – Water

Das Ganges-Flussbett (Indien, 2014)Mustafah Abdulaziz – Water

Nicht mehr benutzte Pontonbrücken (Indien, 2013)Mustafah Abdulaziz – Water

Kanalarbeiten (Indien, 2014)Mustafah Abdulaziz – Water

Ein menschlicher Schädel im Ganges-Flussbett (Indien, 2013)Mustafah Abdulaziz – Water

Verschmutztes Abwasser (Indien, 2014)Mustafah Abdulaziz – Water

Sahib Lashari (Pakistan, 2013)Mustafah Abdulaziz – Water

Eine offene Wasserstelle in der somalischen Wüste (Somalia, 2013)Mustafah Abdulaziz – Water