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Popkultur

Nein, eure Twitter-Witze sollten nicht urheberrechtlich geschützt sein

Seit Neuestem löscht Twitter ‚geklaute' Tweets. Warum geistiges Eigentum wichtig, diese Entwicklung aber trotzdem unsinnig ist.

Illustration: Pete Simon | Flickr | CC BY 2.0

Twitter ist ein ziemlich unzugänglicher Ort, wenn man sich dort zum ersten Mal herumtreibt. Es passiert wahnsinnig viel, alles ist trotz Hashtag-Mania vergleichsweise ungeordnet und bis man eine gewisse Anzahl an Followern erreicht hat, kann das Ganze wegen fehlender Kommunikation überaus langweilig sein. Wobei der Austausch und die Interaktion für viele User gar nicht den wahren Reiz an Twitter ausmacht. Schließlich ist die Social-Media-Plattform der perfekte Ort für Leute, die sich selbst gerne reden hören, deren Freundeskreis mittlerweile aber schon so genervt ist, dass sie ein anderes Sprachrohr für ihre platten Witze suchen müssen. Falls ihr euch fragt, wo diese vermeintlich lustigen Schenkelklopfer-Sprüche auf diesen Facebook-Witzeseiten immer herkommen: von Twitter. Keine Ursache.

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Eben weil Twitter aber so ein riesiger, lauter Ort voller durcheinanderschreiender Nutzer ist, ist es ziemlich oft ziemlich schwierig, genau zu verifizieren, wer was wann zuerst gesagt hat—und wo die Leute ihre auf 140 Zeichen komprimierten Informationen überhaupt herhaben. Deswegen gab es schon in der Vergangenheit öfter User, die sich offen darüber beschwert haben, dass sich andere an ihrem geistigen Eigentum bedient hätten. Ein Gut, das durch das Urheberrecht geschützt wird. Und ebenjenes scheint jetzt erstmalig auch von Twitter selbst rigoros durchgesetzt zu werden—zumindest in den USA.

Wie unter anderem die Technikseite The Verge berichtet, meldete die Userin @runolgarun mehrere Tweets von Accounts, die Wort für Wort einen ihrer Witze übernommen hatten. „Ich habe Twitter einfach erklärt, dass ich Freie Autorin bin, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, Witze zu schreiben (und dass ich einige meiner Witze zuerst auf Twitter teste). Dann habe ich ihnen klargemacht, dass die Witze demzufolge mein geistiges Eigentum sind und dass die betreffenden User nicht mein Einverständnis hatten, sie zu posten, ohne mich als Quelle anzugeben", erklärte Olga Lexell, so ihr bürgerlicher Name, auf ihrer mittlerweile privat gestellten Twitter-Seite. Eine Beschwerde über einen bestimmten Tweet einreichen kann grundlegend jeder, das Netzwerk prüft anschließend die Vorwürfe und gibt dem Beschuldigten anschließend die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

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Grundlegend ist es das gute Recht eines jeden Menschen, sich gegen Urheberrechtsverletzungen zu wehren—gerade dann, wenn er sich dadurch auf beruflicher Ebene geschädigt sieht. In Deutschland gab es 2011 beispielsweise einen Vorfall, bei dem sich Klaas Heufer-Umlauf für seine damalige Sendung neoParadise an Tweets der Userin @bangpowwww (ihres Zeichens ebenfalls Texterin) bediente. Dass das Leute wütend macht, ist nicht überraschend. Die Frage, die sich dabei stellen muss, ist nur: Braucht es tatsächlich eine knallharte Löschpolitik oder lassen sich derartige Differenzen nicht auch von User zu User klären? Und, vielleicht noch wichtiger: Wo fängt Witze-Klau eigentlich an?

Bei der Idee oder doch erst bei einer bestimmten Art von Formulierungsgleichheit? Wie unwahrscheinlich ist es, dass zwei (oder 200) Menschen insbesondere bei popkulturell ziemlich überstrapazierten und breitgetretenen Themen und einem Umfang von nur 140 Zeichen den mehr oder weniger gleichen Witz machen? Um zu merken, wie homogen der allgemeine Twitter-Tenor eigentlich ist, muss man sich nur mal an einem Sonntagabend auf der Plattform herumtreiben, wenn die gefühlte Hälfte aller deutschen Twitter-User kollektiv den Tatort guckt.

Motherboard: Knapp daneben in 140 Zeichen—messerscharfe #Blockupy-Analysen im Twitter-Format.

Was man über Twitter wissen muss, ist, dass es im Gegensatz zu Facebook weniger ein Tool zur privaten Interaktion und -Information, sondern viel mehr eine Art ADHS-Plattform für ausgeprägte Selbstdarsteller ist. Daran ist nichts Falsches oder Verurteilenswertes, genau diese Art des selbstzentrischen „Ich schreie meine Meinung in die Welt und wehe es interessiert niemanden" ist allerdings der perfekte Nährboden für die irrige Annahme, dass man nach Millionen Jahren der Menschheitsgeschichte die erste Person ist, die auf diesen oder jenen Gedanken gekommen ist. Ich habe schon immer Probleme damit gehabt, an das rein theoretische Gedankenspiel zu glauben, dass man nur genug Affen für einen ausreichend langen Zeitraum auf Schreibmaschinen herumtippen lassen muss, um große Werke der Literaturgeschichte exakt replizieren zu können, aber wisst ihr, was ich mir durchaus vorstellen kann? Dass man kein humoristisches Genie sein muss, um auf Witze über Yuppies, Gentrifizierung und/oder das dümmliche Grinsen der Bachelorette zu kommen. Wirklich nicht.

Vielleicht freuen wir uns also einfach weiterhin darüber, wenn Leute uns lustig finden, ärgern uns im Stillen ein bisschen darüber, dass es scheinbar immer und überall Menschen gibt, die sich gerne mit fremden Federn schmücken, weil sie selbst einfach nichts auf die Reihe kriegen, und erinnern uns daran: Es ist nur Twitter, Retweets bezahlen nicht unsere Rente und es ist ziemlich sicher, dass jeder Gedanke schon mal gedacht wurde, bevor wir darauf gekommen bist. Egal welche einzigartigen, wunderschönen Schneeflocken in diesem Winterwunderland namens Leben wir auch sein mögen.