Sie heulen wieder: Die gewaltbereiten „Grauen Wölfe“

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Sie heulen wieder: Die gewaltbereiten „Grauen Wölfe“

Am Wochenende kam es in mehreren Städten zu Zusammenstößen zwischen Kurden und Türken. Mit dabei: Die ultranationalistischen „Grauen Wölfe".

„Diyarbakir" schallt es durch die Lautsprecher. „Burada [Hier]!", rufen die Demonstranten mit in die Luft gestreckter Faust zurück. „Ankara—Burada! Türkiye—Burada! Burada! Burada!"

Mehr als 2.000 Teilnehmer hatten sich auf Facebook angekündigt. Auf dem Roncalliplatz hinterm Kölner Dom stehen aber kaum mehr als 500 im strömenden Regen. Fast jeder hier hat eine Türkeifahne in der Hand, um die Schultern gehängt oder ins Gesicht gemalt. Auch aus Redebeiträgen und Liedern schallen Nationalstolz und viel Pathos.

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Die türkische Jugendvereinigung „Türkiye Gençlik Birliği" (TGB) hatte zu einer Kundgebung gegen die PKK aufgerufen. Die TGB ist eine der vielen Organisationen türkischer Nationalisten, ihre Mitglieder verstehen sich als kemalistische Linksnationalisten. Politisch stehen sie der türkischen „Vatan Partisi" (Heimatpartei) nahe. Den Gründer der „Heimatpartei" bezeichnet der Journalist und Türkeiexperte Ismail Küpeli als „so etwas wie einen türkischen Jürgen Elsässer."

Der Vergleich passt: Was hier im Kölner Regen verbreitet wird, ist eine krude Mischung aus Nationalismus und Anti-Amerikanismus. Im einzigen auf Deutsch verlesenen Redebeitrag wird die PKK zur „Marionette des US-Apparats" erklärt. Ihr Handeln sei unter anderem gekennzeichnet durch „Rassismus" und „Imperialismus". Ohne die USA, so entsteht hier der Eindruck, gäbe es keinen Konflikt zwischen Türken und Kurden.

Überhaupt gibt es hier eine klare Schuldverteilung: Während die PKK für die TGB nur aus Entführern, Erpressern, Mördern und Drogendealern besteht, werden türkische Soldaten pauschal zu Helden erklärt. „Hepimiz Mehmediz"—„Wir sind alle Mehmet" steht auf vielen mitgebrachten Papierschildern. Gemeint ist damit: „Wir sind alle Soldaten."

Zwischen den Linksnationalisten der TGB stehen auch von Anfang an bereits rechte Ultra-Nationalisten der „Grauen Wölfe". Nur vereinzelt sind sie anfangs erkennbar. Als die Kundgebung bereits eine Weile im Gange ist, macht sich eine neu angekommene Gruppe allerdings bemerkbar: Etwa 20 Jugendliche zeigen den „Wolfsgruß" und rufen laut „Ya allah, bismillah, Allahu akbar".

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Als sich die Kundgebung nach einer guten Stunde im Regen bereits auflöst, ziehen noch mehr als 100 junge Demonstranten durch den Hauptbahnhof und die Kölner Innenstadt. Links ist an ihrem Nationalismus nichts mehr: Sie alle zeigen den Wolfsgruß, ein „Allahu Akbar" folgt aufs andere. Als die Gruppe laut rufend und Türkei-Fahnen schwenkend durch den Bahnhof läuft, stehen dort viele verdutzt guckende Reisende. Mehr als die „Gott ist groß"-Rufe, die sie eher vom Islamischen Staat aus dem Fernsehen kennen, verstehen die meisten wohl nicht. Manch einer versteht nicht einmal das. Am Hinterausgang des Bahnhofs fuchtelt ein alter weißhaariger Mann mit der Hand vor seinem Kopf herum, fragt sich offensichtlich: „Spinnen die?" Wenige Minuten später fragt er ein paar in Rot und Weiß gehüllte Jungs, ob sie im Fußball verloren hätten. Die erwidern lachend: „Ja ja, genau."

Einige posieren kurz darauf auf den Treppen vor dem Kölner Dom für Selfies. Vorne Türkei-Fahne und Wolfsgruß, hinten christliches Wahrzeichen. Auch nicht fehlen dürfen dabei offenbar die Juden: Nachdem Parolen gegen die PKK gerufen werden, stellt eine Demonstrantin lauthals klar: „PKK sind keine Kurden, das sind Armenier und Yahudis (Juden)." Die Feindbilder sind klar verteilt.

Die Polizei begleitet das Schauspiel nur mit wenig Einsatzkräften. Nachdem der Tross ein paar Runden durch den Hauptbahnhof und ein angrenzendes Innenstadtviertel gedreht hat, fährt eine kleinere Gruppe der Nationalisten noch mit der U-Bahn in das Stadtzentrum. Eine gute Viertelstunde können sie hier umherziehen und Parolen rufen, bis die Polizei sie schließlich stoppt. Mit einem Platzverweis für die Innenstadt ist der Tag für den nationalistischen Nachwuchs vorbei. Nur wenige hundert Meter entfernt findet währenddessen eine Kundgebung kurdischer Künstler statt. Die beiden Gruppen begegnen sich nicht—zum Glück. Gefragt, was passieren würde, wenn kurdische Demonstranten auftauchen würden, antwortet einer der jungen Männer nämlich: „Mit Sicherheit Schlägerei, aber richtig!" Und dies bestätigte sich dann später in Hannover, wo ein Kurde lebensgefährlich verletzt wurde.

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Wer sind die „Grauen Wölfe"?

Die meisten der Jugendlichen, die am Samstag durch Köln gezogen sind, erwecken nicht den Eindruck, als wären sie ideologisch besonders gefestigt. Genauso gut hätten viele auch auf einer Demonstration der AKP mitlaufen können. Aber besonders unter Nachwuchs-Nationalisten spielt vor allem die Suche nach einer klar definierten Identität eine große Rolle. Und genau das bietet die Ideologie der „Grauen Wölfe".

Als „Graue Wölfe" werden die Mitglieder und Unterstützer der rechtsextremen türkischen „Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP) bezeichnet. Die türkischen Rechtsextremisten machten in den 1970ern und 80ern vor allem durch Hunderte politische Morde, Pogrome und Anschläge wie das Papst-Attentat 1981 von sich reden. Nach einer Zeit des Verbotes in der Türkei war die Partei ab 1998 allerdings sogar an einer Regierung beteiligt und erhielt bei der türkischen Parlamentswahl im vergangenen Juni 16,3% der Stimmen.

Die Ideologie der „Grauen Wölfe" stützt sich auf einen Gründungsmythos der Türkei, in dem ein sagenumwobener Wolf türkische Stämme aus dem Ergenekon-Tal herausgeführt hat. Was bei einer oberflächlichen Lektüre wie eine spannende Fantasy-Saga klingt, wird allerdings mit jeder Menge Nationalismus und rechter Ideologie verknüpft. Die „Grauen Wölfe" streben nach einer Art „Großtürkischem Reich", das sich vom Balkan bis nach China erstrecken und „alle Turkvölker vereinen" soll. Die Liste der erklärten Feinde der Nation ist lang: Kurden, Armenier, Juden und die USA sind lediglich ein kleiner Ausschnitt.

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An der jüngsten Gewalt gegen Kurden in der Türkei sind immer wieder auch „Graue Wölfe" beteiligt. Obwohl die MHP traditionell in starker Opposition zu Erdogans AKP steht, werden beide Lager durch den Kampf gegen die Kurden zusammengeschweißt. In türkischen Städten waren so „Graue Wölfe" mit Wolfsgruß neben AKP-Wählern und zuschauenden Polizisten vor zerstörten kurdischen Geschäften und Büros der prokurdischen Partei HDP zu sehen.

Gewaltpotential auch in Deutschland

Auch in Deutschland ist die „Partei der nationalistischen Bewegung" eine relevante Größe. Zwar hat die Partei hier weniger Unterstützer als in der Heimat. Bei der türkischen Parlamentswahl haben allerdings immerhin 9,72% der in Deutschland lebenden türkischen Wähler die Nationalisten gewählt. Die „Grauen Wölfe" haben in Deutschland ein dichtes Netzwerk an Vereinen und Organisationen. Diese nennen sich meist „Ülkücü" (Idealisten) und sind in der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" (ADÜTDF) organisiert. Sie präsentieren sich als Elternvereine oder Moscheegemeinden. Ein zweiter großer Verband ist die „ATIF", eine religiöse Abspaltung. In den „ATIF"-Moscheen hat der Islam zwar einen höheren Stellenwert—der Nationalismus ist jedoch derselbe.

Gezielt versuchen die „Grauen Wölfe", in Deutschland auch in der Politik mitzumischen. In der Vergangenheit gab es vor allem Versuche, in lokalen CDU-Verbänden mitzuwirken. Auch in vielen Integrationsräten sitzen „Idealisten".

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Bereits vor dem vergleichsweise langen Waffenstillstand zwischen der PKK und dem türkischen Militär gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Kurden und türkischen Nationalisten. Nach Gefechten im Oktober 2011 kam es in Deutschland mancherorts zu Massenschlägereien zwischen kurdischen Jugendlichen und jungen „Bozkurts", wie sich die „Grauen Wölfe" selber nennen.

Am Wochenende gab es mehrere teilweise schwere Auseinandersetzungen in Berlin. Erst demonstrierten türkische Nationalisten im Stadtteil Kreuzberg, dann baute die pro-kurdische HDP einen Stand auf. Im Getümmel immer wieder zu sehen: Der Wolfsgruß. Auch in Hannover und im schweizerischen Bern gab es Auseinandersetzungen und Angriffe mit mehreren Schwerverletzten.

Ein Ende der Gewalt ist nicht absehbar

Dass diese Gewalt einfach endet, ist weder in Deutschland noch in der Türkei besonders realistisch. In der Türkei ist der Konflikt längst zu einem Wahlkampfinstrument Erdoğans für die Neuwahlen im November geworden. Die Fronten verhärten sich immer mehr, und weder die PKK noch das türkische Militär denken daran, die Waffen einfach niederzulegen.

Solange der Konflikt in der Türkei weiterhin eskaliert, wird auch die Gewalt in Deutschland zunehmen. In der Türkei wurden „Graue Wölfe" dabei gefilmt, wie sie „Wir wollen keine Operation—Wir wollen ein Massaker" singen, während kurdische Geschäfte brannten. Sowohl Politik und Polizei als auch die deutsche Zivilgesellschaft müssen erkennen, dass sie auch hier eine Gefahr darstellen.