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Sex

7 Dinge, die ich beim Klitoris-Workshop gelernt habe

Wir haben Menschen die Klitoris malen lassen und festgestellt: Sie haben keine Ahnung. Ich auch nicht. Deswegen habe ich mich fortgebildet.

Foto: imago | Dieter Matthes

1945 explodierte die erste Atombombe.

1946 wurde ENIAC vorgestellt, der erste rein elektronische Universalrechner.

1998 gab es das erste anatomisch korrekte Modell, das die inneren und äußere Teile der Klitoris in ihrer Gänze zeigte.

Die Menschheit hat zuerst einen Computer erfunden und gelernt, sich in die Luft zu jagen, bevor sie ihren wissenschaftlichen Blick zwischen Frauenbeine richtete.

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Wir halten uns alle für aufgeklärt. Ich halte mich für aufgeklärt. Wir lesen Sextipps und sehen regelmäßig weibliche Genitalien, herangezoomt und auf unsere Smartphones und Laptop-Bildschirme geworfen. Aber wenn man fünf Fremde auf einer Start-up-Party mit vielen hellen Köpfen eine Klitoris malen lässt, merkt man: Sie ist immer noch ein Mysterium.

Aufgabe: Male ein anatomisch korrektes Bild der Klitoris. Fünf Ergebnisse

Mein eigenes Bild kam der Sache schon näher, weil ich gelesen hatte, dass die Klitoris auch ein Innenleben hat, war dann aber doch nicht so ganz perfekt.

Deswegen habe ich mich zur Clit-Night angemeldet—einem Klitoris-Workshop, den es schon in ein paar deutschen Städten gegeben hat. Diesmal fand er statt in Berlin-Neukölln. Auf Facebook machten die Veranstalter gleich klar, dass der Workshop nicht "hands on" ist. Die Beschreibung liest sich wie aus einem Vorlesungsverzeichnis: Die Teilnehmer sollen "sowohl Wissen über die Genitalanatomie erarbeiten, als auch einen Blick auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Klitoris werfen."

Die Stimmung ist dann aber doch eher Nerd-Night als Hörsaal. Ein Dutzend Frauen und zwei Kerle sitzen vor einer Powerpoint-Präsentation. Louisa, die Workshopleiterin, nutzt einen zusammengeklappten Regenschirm als Zeigestock, um auf die metergroßen Einzelteile der Klitoris zu zeigen. Louisa, 28, ist keine Sexologin, sondern Kulturwissenschaftlerin. Zur Klitoris-Expertin wurde sie, als sie eine Arbeit über die Künstlerin Sophia Wallace und ihr Projekt Cliteracy schrieb (eine Zusammensetzung aus dem Wort "Clit" und "Literacy").

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Draußen drücken fünf neugierige Menschen die Nasen an den Fenstern platt, wie Kinder an einem Weihnachtsschaufenster, trauen sich aber nicht anzuklopfen. Ich bin mir sicher, wir haben Leser, denen es genauso geht. Deswegen hier: meine Workshop-Notizen. Sieben Dinge, die ich beim Klitoris-Workshop gelernt habe.

1. Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs

Dass die Klitoris viel größer ist als die sichtbare Klitorisperle, haben die meisten wahrscheinlich gewusst. Aber dass der innere Teil so riesig ist? Im Prinzip sieht man nur die Spitze des Eisbergs. Die Klitoris besteht aus Muskeln, Bändern, Schwellgewebe, Drüsen, Nerven und Blutgefäßen. Sophia Wallace hat übrigens auch die erste anatomisch korrekte Skulptur der Klitoris gemacht. Das war 2014. (Da gab es schon das iPhone 5!) Einigermaßen anatomisch korrekte Darstellungen von Penissen gab es wahrscheinlich seit Höhlenmenschen kapiert haben, wie man Ton zusammenpatscht.

Mañana hablaremos sobre el clítoris! Escultura por: — Extraños y Aliados (@ExtranosAliados)16. März 2016

2. Das Sexting-Emoji für die Klitoris wäre wahrscheinlich die Tulpe

Wie ein Penis beim Emoji-Sexting aussieht, ist klar: eine Banane, oder eine Aubergine (wobei das medizinisch gesehen das eher ein Emoji für den Penisbruch ist).

Für die Vagina benutzen die meisten das Honigtöpfchen oder den Donut.

Und die Klitoris? Würde wahrscheinlich aussehen wie ein umgedrehtes Tulpen-Emoji.

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Außer der Perle besteht die Klitoris aus zwei Schenkeln und Schwellkörpern, die sich um die Vagina legen (genau deswegen kann Penetration Spaß machen).

Die Klitoris ist also nicht nur ein "am vorderen Ende der kleinen Schamlippen gelegenes Organ", wie das der Duden der medizinischen Fachbegriffe 2014 erklärt, sondern eher ein Schwellkörpersystem, zu dem die untere Harnröhre, die Öffnung der Vagina und der Damm gehören.

3. Der Penis und die Klitoris sind nicht so unterschiedlich

Auch wenn Mario Barth und Konsorten nicht müde wird zu erzählen, dass Frauen und Männer von unterschiedlichen Planeten kommen—so verschieden sind wir nicht. Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche haben männliche und weibliche Embryos dasselbe Genitalgewebe, erst danach differenzieren sich die Organe aus. Im Prinzip sind Penis und Klitoris wie dieselben Legosteine, die unterschiedlich zusammengesetzt wurden. Auch eine Klitoris hat Drüsen, eine Vorhaut (die auch Kapuze genannt wird), Schwellkörper und einen kleinen Schaft. Der schwillt auch an, wenn die Klitoris erigiert ist.

4. Und auch ungefähr gleich groß

OK, Männer haben den Größeren. Aber der Unterschied ist nicht riesig. Die Klitoris ist etwa zehn cm groß. Eine Studie unter 15.500 Männern spricht von einer erigierten Durchschnittslänge von 11,44 Zentimetern, das entspricht einem Verhältnis von 4:5, was übrigens ungefähr auch das Körpergrößen-Verhältnis zwischen Frau und Mann ist. Relativ gesehen gewinnt also kein Geschlecht beim Schwanz-Klitoris-Vergleich.

5. Die Klitoris hat man schon im 16. Jahrhundert entdeckt. Und dann wieder vergessen

Das Innenleben der Klitoris hat man schon im 16. Jahrhundert entdeckt, nachdem man angefangen hat, Menschenleichen zu sezieren. Aber nachdem rauskam, dass die Klitoris nicht weiter für die Fortpflanzung wichtig ist, hat man sie mehr oder weniger vergessen. Vergessen! Das ist ungefähr so, als würde man Amerika entdecken und dann sagen: Ach, ist mir irgendwie entfallen. Der Mann, der die Klitoris 1559 als den Sitz der weiblichen Lust beschreibt, heißt übrigens Renaldus Columbus. Nur nennt er das Ganze nicht Klitoris, sondern "die Liebe oder Süße der Venus". Poetisch!

6. Der vaginale Orgasmus könnte ein Mythos sein, den Freud in die Welt gesetzt hat

75 Prozent der Frauen können ohne direkte Stimulation der Klitorisperle nicht kommen. Und wenn man die Klitoris nicht nur als die kleine Perle sieht, sondern als großen Komplex (siehe Punkt 2), sind 100 Prozent der Orgasmen klitoral. Wahrscheinlich war Freud schuld an dem Mythos des vaginales Orgasmus. Er hat behauptet, dass Klitorisstimulation nur etwas für vorpubertäre Mädchen ist. Reife, gesunde Frauen sollen bitte schön nur durch vaginale Penetration kommen. Ziemlich praktische Ansicht für Männer: Somit wären Frauen auch für ihren Orgasmus von ihnen oder zumindest einem Penis-Ersatz, wie einem Dildo, abhängig.

7. Der Plural von Klitoris ist "die Klitoris" oder "Klitorides"

Das Wort kommt aus dem Altgriechischen. Manche leiten das von dem Wort für "kleiner Hügel" ab, manche von dem Verb "schließen". Am hübschesten ist die Version, die das Wort von dem griechischen Adjektiv "göttlich" ableitet.

In diesem Sinne: Viel Spaß mit Klitoris-Klugscheißen und der Praxis.