​Sorry, aber Böhmermanns ‚BE DEUTSCH‘ ist echt nicht die Lösung
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​Sorry, aber Böhmermanns ‚BE DEUTSCH‘ ist echt nicht die Lösung

Warum #MakeGermanyGreatAgain vor allem eins ist: spießig.

Jan Böhmermann und das Neo Magazin Royale haben heute ein neues Video in die Welt geworfen. Es heißt BE DEUTSCH, und es hat jetzt schon einen Begeisterungssturm ausgelöst. „Böhmi setzt sich selbst ein Denkmal", jubelt jemand, „Da hat Böhmi sich mal wieder selbst übertroffen!", eine Andere, noch jemand findet es einfach nur „Großartig! Einfach großartig! Danke".

Dass das Video solche Begeisterung hervorruft, war schon fast vorherzusehen, und es wird Böhmermann sehr freuen. Denn es handelt sich dabei um nichts Geringeres als sein Manifest, seine Botschaft an Deutschland und vor allem die Welt. Böhmermann hat sich wirklich ein Denkmal gesetzt—es ist nur leider etwas dämlich.

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Und bevor jetzt alle schreien, dass man bei der VICE wohl aus Prinzip alles scheiße findet, was alle Anderen toll finden: Das stimmt nicht. Das Varoufake-Video fand ich damals genial, und das habe ich auch geschrieben. Das Problem ist wohl, dass seitdem viel zu viele Leute Böhmermann erzählt haben, dass er ein Genie ist.

Es ist ein bisschen schade, weil es so vorhersehbar war, man aber bis heute noch hoffen konnte, dass es nicht passieren würde. Aber in den letzten Monaten wurde Böhmermann mit solcher Regelmäßigkeit und von so vielen Seiten als das gute Gewissen Deutschlands gefeiert, dass er wohl irgendwann nicht mehr anders konnte, als sich selbst so zu sehen. Nur: Böhmermann ist zwar der beste Talkshow-Host und schlagfertigste Mann im deutschen Fernsehen—mit der Rolle als moralische Instanz hat er sich leider übernommen. Das Ergebnis ist dieses Video:

Ich weiß, dass es den meisten völlig anders gegangen ist, aber die Wahrheit ist: Mir war es schon nach wenigen Sekunden körperlich unangenehm, dieses Video anzuschauen. Und zwar, weil es so ernst gemeint ist. Das macht der Einstieg mit Hinweis auf die Reichskristallnacht und dem nachgespielten Clausnitz-Mob ziemlich unmissverständlich klar: Es geht hier ums Ganze. Um Deutschland, seine Vergangenheit und seine Gegenwart.

Aber alles daran ist irgendwie peinlich: Angefangen mit der Tatsache, dass das ganze Lied auf Englisch ist, damit man im Ausland auch wirklich mitbekommt, wie Böhmermann das Deutschsein gerne verstanden haben will. Und was es dann zu verstehen gibt, ist Folgendes:

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Die „authoritarian dorks" (im Bild Frauke Petry), die AfD-Wähler und „Wir sind das Volk"-Rufer sind gar nicht die echten Deutschen („You are not the people, you are the past"). Die echten Deutschen sind nämlich die „true Germans", diese bunte Truppe, die jetzt gleich mal losgeht und die farblosen Deppen in die Flucht schlägt.

Die Guten: Wir, die Deutschen

Denn wer wirklich DEUTSCH ist, hämmert der Refrain uns ein, ist „nice, liberal, compassionate, considerate, reasonable, social, open, multi-cultural", und immer so weiter. Die echten Deutschen, die Böhmermann da gegen den „Mob" in Stellung bringt, sind zwar ein bisschen putzig und uncool (Fahrradhelme und Birkenstocks, haha), aber ihr fester Glaube an das Grundgesetz und die Böhmermann'sche Tugendlehre machen das mehr als wett.

Die Bösen: Sind halt keine „echten Deutschen"

Da kommt jetzt der nächste schmerzhafte Punkt: Tatsächlich sind die Deutschen nämlich so großartig, dass die ganze Welt sich da ruhig mal eine Scheibe von abschneiden kann. „You call for strong leaders, fences and walls", raunt Böhmermann zu Bildern von Trump, Orban, Erdoğan, der griechischen Goldenen Morgenröte und Putin. „But being like us takes bigger balls." Die Botschaft an die Wähler der Welt ist klar: Wenn ihr nur alle Deutsche wäret, würdet ihr auch nicht dauernd so einen Mist an die Macht bringen.

Aber woher nehmen die Deutschen eigentlich diesen Moral-Vorsprung? Klar, vom Holocaust. „Trust our Teutonic expertise, we know where assholery leads", erklärt Böhmermann den globalen Unaufgeklärten, „We've learned our lesson, take our advice, hold together, try to be nice and … DEUTSCH!"

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Spätestens jetzt ist klar, um welches Gefühl es hier geht: Stolz. Stolz auf die Deutschen, die ihre Lektion so wahnsinnig gut gelernt haben. „Say it clear, say it loud, we are proud of not being proud"—ohne es zu beabsichtigen, hat Böhmermann den perfekten Slogan für das gefunden, was der Philosoph Herrmann Lübbe mal als den „deutschen Sündenstolz" bezeichnet hat: „Den Holocaust soll uns erst einmal einer nachmachen! Seine Bewältigung auch!" Diese Mentalität erlaubt es dann auch, der ganzen Welt zu erklären, dass sie sich ruhig ein Beispiel am Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit nehmen könnten.

Natürlich besteht die Möglichkeit, dass Böhmermann genau diese Haltung ironisieren wollte. Der Text unter dem YouTube-Video scheint das anzudeuten: „Die Welt dreht durch! Europa fühlt sich so schwach, dass es sich von 0,3 % Flüchtlingen bedroht sieht, Amerika ist drauf und dran einen Mann zu wählen, bei dem niemand so genau weiß, wer unter dem Toupet die Fäden zieht und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, muss man sich nun auch noch ausgerechnet von Deutschland darüber belehren lassen, wie man sich moralisch richtig verhält. Ausgerechnet Deutschland! Die haben noch nicht mal einen Weltkrieg gewonnen!"

Aber: Das ist keine echte Ironie. Das ist, genau wie die Birkenstocks, ein etwas schlapper Versuch, die Kernaussage „BE DEUTSCH" noch mit einem Augenzwinkern zu versehen. Trotzdem ist dieses Video ein ernst gemeinter Versuch Böhmermanns, zuerst den Deutschen und dann der Welt einzureden, was den „echten Deutschen" wirklich ausmacht.

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Und das kommt enorm gut an: „Jan Böhmermanns neues Video "Be Deutsch" zeigt, wie Deutsche wirklich sind" schreibt bento und fasst begeistert genau das zusammen, was dieses Video so falsch macht: „Das Video propagiert das gute Deutschland, die toleranten, die mitfühlenden Menschen, die aus der Nazi-Zeit gelernt haben… Ausgerechnet Deutschland stellt sich jetzt den Trumps und Wilders und LePens dieser Welt entgegen. Weil das ehemalige Nazi-Land aus seiner Geschichte gelernt hat."

Haha, ihnen das einzige wegnehmen, von dem sie denken, dass es ihres ist.— Jan Böhmermann (@janboehm)31. März 2016

Dann ist ja alles super. Die 24 Prozent in Sachsen-Anhalt, das sind gar keine „echten Deutschen". Echte Deutsche sind nur die, die den Intelligenztest bestanden und nicht die AfD gewählt haben. Echte Deutsche platzen vor Stolz darauf, nicht stolz zu sein!

Oder, wie einer der wenigen Kritiker auf Twitter das ausdrückt: „Kuschelnationalismus gegen Rassismus".