FYI.

This story is over 5 years old.

Reisen

Gladiatorenkämpfe mit Widdern

In der tunesischen Hauptstadt Tunis gibt es jeden Sonntag Widderkämpfe und wir haben uns das Widderstoß-Champions-League-Finale angesehen.

Im dritten Stock eines schmutzigen Betonbaus in einer Seitengasse von Tunis versuchen sechs Männer und zwölf Widder, sich Gehör zu verschaffen. Die Männer versuchen, mir zu erklären, dass Widderstoßen eine der ältesten und beliebtesten Publikumssportarten Tunesiens ist, aber ihre Gladiatoren scheinen fest entschlossen zu sein, die Erzählung verderben zu wollen. Während sie ungeduldig an ihren Ketten zerren, füllen die Tiere den Raum mit ihrem unverkennbaren Meckern. Es ist lustig; sie klingen, als würden sie gleichzeitig bellen, wiehern und rülpsen. „In meiner Familie ist es eine alte Tradition“, sagt Ali, ein pummeliger 26-Jähriger in engen Jeans und einer glänzenden grünen Trainingsjacke. „Es liegt uns im Blut.“ In der tunesischen Hauptstadt gibt es jeden Sonntag Widderkämpfe, aber an diesem Tag findet das Widderstoß-Champions-League-Finale statt.

Anzeige

Armando, der Maradona der tunesischen Widderstoß-Szene. „So wie Diego Maradona die Fußballweltmeisterschaft gewonnen hat, wird Armando heute Meister seiner Sportart werden“, prahlt Ali, während er den großen, weißen Widder, den er nach Maradonas zweitem Vornamen benannt hat, an einem seiner Hörner packt. „Du wirst heute sehen, dass er sich wie ein Künstler bewegt. Ich habe ihm sogar einen speziellen Look verpasst.“ Er zeigt auf zwei abstehende, orange gefärbte Wollbüschel auf dem ansonsten geschorenen Rücken des Bocks. Die sechs Männer schauen Armando gutmütig an. Er erwidert ihren Blick mit einem unergründlichen Ausdruck. In Tunesien wird Widderstoßen extrem ernst genommen. Zu den meisten Teams gehören ein Notarzthelfer, ein Arzt, ein Trainer und ein Stallmeister. Kampfwidder benötigen eine spezielle Ernährung und viel Bewegung. Häufig laufen sie bis zu zwei oder drei Kilometer am Tag. Die Tiere werden als Athleten bezeichnet und mit berühmten Boxern oder Fußballspielern verglichen. Als ich anmerke, dass sie weder so anmutig noch geschickt wie das eine oder das andere sind, schütteln die Besitzer nur ungläubig den Kopf.

Alis Kontrahent ist ein magerer, älterer Mann, der dem Kampf insgesamt eher philosophisch gegenübersteht, obwohl sein Widder etwas unerfahrener ist. „Sicher habe ich Angst um meinen Widder. Er ist jetzt seit drei Jahren bei mir und wie einer meiner Söhne.“ Salim hält inne, um sich Dreck aus dem Auge zu pulen. „Wir machen es für das Publikum. Daher ziehe ich längere Kämpfe vor, damit die Leute ihn wirklich würdigen können.“
 
Zu Salims Glück gehen die Kämpfe selten tödlich aus. Im Gegensatz zu Hunden oder Hähnen kämpfen Widder nicht bis zum Ende, sodass es jedem Tier überlassen ist, ob es dem anderen Kopfstöße verpasst, bis es sich unterordnet oder es aus dem Ring drängt. Die Kämpfe dauern zwischen fünf und zehn Minuten und werden von einem sitzenden Richtergremium und einem Schiedsrichter beobachtet, dessen Aufgabe es ist, die Tiere zu trennen, wenn sich ihre Hörner zwangsläufig in der Wolle des Gegners verheddern.

Anzeige

Die Vorbereitung auf jede Kollision fühlt sich an, als würde jemand vor deinem Gesicht ein Gummiband bis zum Anschlag spannen. Die beiden Tiere entfernen sich langsam voneinander, den Blick fest auf einander gerichtet. Je weiter sie auseinander gehen, umso größer die Spannung und umso spektakulärer der spätere Zusammenprall. Die Besitzer bleiben den Kampf über in der Nähe ihrer Kämpfer und spornen sie mit Kniffen und ermunternden Worten an. Da es hier keine blutigen Kämpfe und nur niedrige Gewinne gibt, sei dir verziehen, wenn du Widderstoßen für ein tunesisches Phänomen hältst. Aber dieser Sport ist in verschiedenen Ländern wie Indonesien, China, Nigeria und Jemen weit verbreitet und weist in manchen Fällen sogar eine noch offiziellere Aufmachung auf.

Als später am Nachmittag die Massen in ein staubiges Fußballstadion strömen, wird deutlich, dass es hier in erster Linie um Geselligkeit geht. Das Bild ist typisch tunesisch. Teenager auf protzigen Motorrädern lassen neben Vätern mit kleinen Kinder den Motor aufheulen, während alte Männer sich um Plastikstühle rangeln.
 
Nach zwanzig Minuten im Ring trägt Armando mehrere große Schnittwunden und weicht nervös vor seinem Angreifer zurück. Es ist vorbei. Niedergeschlagen führt Ali seinen Widder ab, während Salim von den Richtern einen kleinen Silberpokal entgegennimmt und triumphierend die Arme hebt.

„Fühlst du dich schlecht, weil der andere Widder so schwer verletzt wurde?“ frage ich. „Ist es ein grausamer Sport?“ „In der Wildnis kämpfen Widder miteinander“, sagt Salim, während er den Kopf seines Champions streichelt. „Wir organisieren sie nur, füttern sie, waschen sie. Sie haben sogar einen Arzt, der sich um sie kümmert. Wie kann das grausam sein?“