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UNGLAUBLICH: Bild schreibt was Gutes. Kommentatoren rasten aus!

Was ist nur mit diesem Land los, wenn man schon die Bild-Zeitung in Schutz nehmen muss?

Vergangenen Freitag findet eine Demo von etwa 400 Antifa-Aktivisten in Freital statt. Am Rande davon sitzen mehrere Männer vor einer Kneipe und einer zeigt den Hitlergruß in Richtung der Demonstranten. Dumm nur, dass er dabei von einem Polizisten erwischt wird (nicht unbedingt das Spezialgebiet der Gesetzeshüter). Die Bild berichtet darüber, nennt dabei auch den abgekürzten Namen des Hitler-Fans (Andreas M.), sein Alter (57), seinen Beruf (früher Minenarbeiter, heute Rentner) und postet das ganze dann auf Facebook. Und die Kommentatoren drehen durch.

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Dieser Polizist: Held des Tages.
Posted by Bild on Sunday, August 2, 2015

Jetzt könnte man über die Geister, die gerufen wurden, schwadronieren oder darüber, dass sich in Zeiten von Social Media rächt, dass eine Zeitung jahrzehntelang Menschen in ihren Vorurteilen und ihrem Rassismus zumindest unterschwellig befeuert hat. Aber mal wieder haben es die Trolle geschafft, von den wirklich wichtigen Dingen abzulenken. Tatsächlich ist das passiert, was man nicht für möglich gehalten hätte: Man will die Bild vor ihren eigenen Lesern in Schutz nehmen.

Nachdem man zunächst wohl zuerst etwas mutiger war, als man eigentlich sein wollte, schlugen die Wellen ziemlich schnell hoch.

Das Lesen der Kommentare kann einen ziemlich schnell an der Menschheit und an der Existenzberechtigung der menschlichen Rasse an sich zweifeln lassen. Witze, die so dumm sind, dass man sich lieber einen Eispickel ins Ohr rammen möchte, als sowas auch nur noch ein einziges Mal lesen zu müssen („Der wollte noch vier Bier und nen Radler Tränen-lachender-Smiley"*, 1.219 Likes, übrigens). Und sehr, sehr viele Menschen, die nur sehr wenig verstanden haben.

Da ist zum Beispiel immer wieder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Im Text wird angedeutet, dass Andreas M. unter anderem wegen Verstoßes gegen §86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) gegebenenfalls mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. Und was fragt der Mob: „Wer denkt denn bitte an die Kinder?" Weil, „für sowas bekommt man in Deutschland 3jahre und Kinderschänder bekommen Bewährung … Da bekomm ich das Kotzen Zwei wütende Smileys". Und auch: „Tja, wer ein Lied aus dem Internet saugt bekommt sogar 5 Jahre…" Abgesehen davon, dass nichts davon stimmt und eher aus falschverstandenen Halbwahrheiten besteht, die selbst Laien innerhalb von Sekunden mit einer schnellen Google-Suche, die nicht nur Netzplanet und Konsorten abdeckt, widerlegen können, schwingt dabei doch immer ein gutes Stück Verharmlosung mit: „Ist doch alles nicht so schlimm" und „Ist doch lächerlich, dass wir uns immer noch für Hitler rechtfertigen müssen." Und wie traurig und unmenschlich es ist, den Hitlergruß, und damit ein Zeichen extremer Unterdrückung, Verbrechen und Morde, in Zusammenhang mit einem heruntergeladenen Song zu bringen, muss man eigentlich niemandem erklären. Außer eben Bild-Fans.

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Aber nichtmal diese Relativierung des Naziregimes hinter vorgehaltener Hand reicht einigen, sondern wenn schon, denn schon. Eine Kommentatorin schreibt, „Fuer viele ist das nur Spass. Auch wenn der Gruss jetzt allgemein keine positiven Assosationen mit sich bringt, gibt es schlimmeres. […]" Sechs Millionen ermordete Juden, 200.000 ermordete Menschen mit Behinderungen, 150.000 ermordete Sinti und Roma, 15.000 ermordete Homosexuelle, und 80 Millionen Menschen, die im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind, wecken tatsächlich nicht unbedingt positive „Assosationen". Und Leute, die das alles relativieren, oder noch schlimmer, sich das verantwortliche Regime zurückwünschen und damit genau die gleiche Geisteshaltung in die Jetzt-Zeit bringen, haben locker drei Jahre Knast verdient und keine orthografisch fragwürdige Entschuldigung.

Und dann sind da natürlich auch noch die Meinungsfreiheit-Schreier, die nicht die geringste Ahnung davon haben, was Meinungsfreiheit eigentlich bedeutet. Nicht nur, dass es nicht die Meinungsfreiheit einschränkt, die Meinung jemand anderes zu ignorieren, oder sie gar zu kritisieren, kann der Gesetzgeber (und der gesunde Menschenverstand) Meinungsfreiheit auch einschränken. Wenn es nämlich um die Behauptung falscher Tatsachen geht, z.B. Verleumdung oder Betrug. Und dazu gehört laut §130 auch Volksverhetzung. Dass das, unter anderem wegen der bereits erwähnten Gründe, gerechtfertigt ist, dürfte klar sein.

* Rechtschreibung und Orthografie aller zitierten Posts sind unverändert.

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