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GAMES

Warum die deutsche Gaming-Branche einfach nicht sexy ist

Die Verleihung des Deutschen Computerspielpreises ist ein Sinnbild für die Szene: dröge, ereignislos und größtenteils irrelevant.

Moderatorin Judith Rakers. Foto: Quinke Networks

Es hat seinen Grund, dass der Deutsche Computerspielpreis vor allem auch als Förderpreis begriffen wird. Nachwuchs-Entwicklern und kleineren Studios wird so die Möglichkeit geboten, sich mit Preisgeldern von bis zu 75.000 Euro das nächste Projekt zu finanzieren. Außerdem macht sich so ein Award in der Schrankwand ja immer gut. Was ich jetzt also schreibe, soll die Freude und den Verdienst der Leute, die am Dienstagabend ausgezeichnet wurden, in keinem Fall schmälern. (Vor allem nicht die der zutiefst gerührten Entwicklerin, die sich bei ihrer Rede sogar bei den Schwiegereltern bedankt hat.) Aber, liebe deutsche Videospielbranche: Du bist langweilig. Dröge, verstockt, überkorrekt und langweilig. Diese Erkenntnis schlummerte wahrscheinlich schon ein bisschen länger irgendwo in meinem Hinterkopf, die große Offenbarung kam allerdings irgendwann ab Minute 60 der Verleihung. Warum? Deswegen:

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(Anm. d. Red.: Alle Nominierten und Gewinner findet ihr übrigens hier.)

Es fehlt an AAA-Titeln

Kleine, innovative Ideen am Rande des Mainstream? Die Freiheit, alles zu tun, ohne dass EA den Releasetermin spontan nach vorne verschiebt oder Ubisoft entscheidet, dass die zu spielende Hauptfigur jetzt doch männlich sein muss? Klingt doch eigentlich ganz gut, oder? Das Problem ist allerdings: Wenn man ständig unter dem Radar fliegt und selbst Teile der Computerspielpreis-Jury im Nachhinein zugeben, große Teile der nominierten Titel vorher überhaupt nicht gekannt zu haben—ist es dann die Schuld der (immerhin szeneerfahrenen) Personen, oder nicht doch auch irgendwie sinnbildlich dafür, dass viele dieser Spiele vielleicht auch deshalb weder in Fachmedien noch dem allgemeinen Popkulturkosmos stattfinden, weil sie einfach nicht relevant oder spannend genug sind?

Videospiele sind ein Massenmedium und das ist auch gut und richtig so, denn: Qualitativ hochwertige Spiele zu produzieren, kostet verdammt viel Geld und derartige Großprojekte finanzieren sich nicht mal eben so. Andererseits: Gäbe es in Deutschland öfter Titel einer Dimension wie Crysis, Die Siedler oder Spec Ops: The Line würde das die hiesige Games-Branche nicht nur international deutlich angesehener machen, es wäre auch ein klares Signal in Richtung Wirtschaft. Wenn sich zeigt, dass es sich finanziell lohnt, die deutsche Spielebranche zu fördern und zu unterstützen, profitieren davon schlussendlich nicht nur die Entwickler, sondern vor allem auch die Spieler.

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Ich würde liebend gerne ein aufwendig inszeniertes Action-Adventure im apokalyptischen Offenbach zocken oder ein Telltale-artiges Episodenspiel, das in der DDR-Zeit spielt. Wie gut wäre es, wenn man sich bei großen Open-World-Titeln nicht mehr nur durchs amerikanische Hinterland oder fiktive Problemviertel wie Los Santos quälen muss, sondern zur Abwechslung auch mal deutsche Kulissen erkunden kann? Bewaffnete Gangs und aggressive Penner gibt es in Berlin-Neukölln nämlich auch.

Die Verantwortlichen verstehen die Zielgruppe nicht

Foto: Imago/Future Image

Ich sage nicht, dass die Entwicklerstudios selbst keine Ahnung von dem haben, was sie tun. Das wäre einerseits ziemlich frech und andererseits natürlich auch absolut falsch. Was bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises allerdings offensichtlich war, war die Übermacht von älteren Herren in Anzügen. Das mag zum Einen daran liegen, dass Fördergelder vergeben wurden und das Ganze unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur stand, zum Anderen passt es auch im Allgemeinen zum Bild des überbürokratischen Deutschen, der es selbst im Bereich der Unterhaltungsindustrie schafft, immer ein bisschen zu förmlich zu sein.

Der Berliner Bürgermeister, Michael Müller, der die Verleihung eröffnete? Zweifellos bemüht. Minister Alexander Dobrindt und seine parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär, die gleichzeitig auch die Vorsitzende der Hauptjury ist? Sehr sympathisch. Doch während man bei Frau Bär zumindest noch ansatzweise das Gefühl hatte, dass sie ein nicht nur repräsentatives Interesse für Videospiele hegt, wirkte die vermeintliche Begeisterung der anderen Redner bisweilen ziemlich vorgeschoben. Natürlich hat man Mario Kart gespielt, irgendwann mal früher, in der „Jugend", auch wenn die laut Release des Spiels (1992) eigentlich noch gar nicht so lange her sein dürfte. Und Spiele sind zwar im Mainstream angekommen, allerdings nicht so sehr, als dass man nicht ständig Witze über Kellerkinder und soziale Isolation machen oder gebetsmühlenartig von „der Community" sprechen müsste. Was ja auch immer irgendwie impliziert, dass es sich dabei um eine hermetisch abgeschlossene Subkultur-Gruppe handelt, und nicht einfach um Menschen, die eins der Angebote der Unterhaltungsindustrie in Anspruch nehmen. Wirkliche Nähe zum Thema sieht anders aus.

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Gibt es niemanden in Berlin, wirklich so absolut niemanden, der aktiver Teil der Branche ist und für den Gaming nicht bei irgendwelchen Plattitüden a la „Es gibt ja auch intelligente Sachen, nicht nur Ballerspiele!" aufhört? Egal wie oft es wiederholt wird, liebe Politiker und halbprominente Medienvertreter: Nur weil man auf seinem Smartphone mal Sudoku gespielt hat, ist man kein Vollblut-Gamer. Was uns auch direkt zum nächsten Punkt bringt.

Mobile Games sind nicht alles—echt nicht

Vielleicht ist das mein ganz persönliches Problem, aber: Jedes Mal, wenn mir jemand glaubhaft versichern möchte, dass er sich unfassbar für Videospiele interessiert und dann wurstfingrig irgendwelche Süßigkeiten über den Bildschirm seines Tablets schiebt, möchte ich mir in den Kopf schießen. Den meisten Mobile Games, insbesondere den allseits bekannten Mikrotransaktions-Geldmaschinen, fehlt nämlich alles, was Videospiele im 21. Jahrhundert so absolut fantastisch macht. (Bei Robot Unicorn Attack, dem Original mit Erasure-Song, mache ich eine Ausnahme!)

Dementsprechend empfinde ich es als extrem ermüdend, wenn die Branche sich von Zwangsinvolvierten auf ebenjene Subkategorie reduzieren lässt, die vielleicht am zugänglichsten und auf Seiten deutscher Entwickler womöglich auch am erfolgreichsten ist. Wenn man sich bei einem Feierabendbier in der Teeküche weiterhin auf die Schulter klopft und sich erzählt, wie jung und wahnsinnig am Puls der Zeit man doch ist, weil man weiß, wie man ein Puzzlespiel auf einem Tablet bedient, dann ist es kein Wunder, dass die wirklichen spielerischen Innovationen und unvergesslichen Gaming-Erlebnisse woanders stattfinden. Da, wo man sich als Unterhaltungs- und vielleicht sogar Kunstform selbst ernst nimmt.

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Selbst die Fachpresse ist desinteressiert

Es war mein erster richtiger Deutscher Computerspielpreis, in den Jahren davor war ich nur bei den After-Show-Partys. Vielleicht hatte ich deswegen auch ein komplett falsches Bild von der Veranstaltung als solcher und bin davon ausgegangen, dass es sich tatsächlich um ein flächendeckendes Get-Together der deutschen Gaming-Branche handelt—samt Medienvertretern. Umso überraschter war ich, als ich vor Ort so gut wie kein bekanntes Gesicht entdeckt habe. Die Rocket Beans-Leute, die immerhin den ersten und größten 24/7-Livesender zum Thema Nerdkultur ins Leben gerufen haben? Nicht da. YouTube-Gaming-Größen, Redakteure und Pressevertreter aus den deutschen Büros der ganz großen Publisher? Größtenteils Fehlanzeige. Der Kommentar eines mir bekannten Journalisten hätte mich eigentlich vorwarnen müssen: „Da sitzen fast ausschließlich eklige, prätentiöse Idioten. Deswegen wollte da von uns auch keiner hin." Ein Radiovertreter vor Ort erzählte mir außerdem, dass er nur hier sei, um ein Statement des Bürgermeisters zu bekommen. Und ich dachte wirklich, es geht um Videospiele.

Tatsächlich waren nicht einmal die nominierten Spiele, dem Selbstverständnis der Preisverleihung nach die Creme de la Creme der deutschen Gaming-Landschaft, medial wirklich präsent. Klar, die großen News-Seiten verkündeten am Tag danach kurz und knapp, wer sich alles über Scheck und Trophäe freuen konnte, aber selbst das beste Spiel des Jahres, Lords of the Fallen, sorgte meinem rein subjektiven Empfinden nach bei hiesigen Spielejournalisten nicht gerade für angeregtes Fachsimpeln auf allen Kanälen. Gerade deswegen war die Laudatio des geladenen YouTube-Stars PietSmiet auch so aufschlussreich. 13.000 Videos hätten er und seine Videokollegen auf ihrem Kanal bereits hochgeladen, Let's Plays deutscher Games wären darunter kaum vertreten.

„Immerhin haben sie dieses Jahr nicht versucht, die Verleihung glamourös aussehen zu lassen", bemerkte zu späterer Stunde einer der Veranstaltungs-Veteranen. Wir nickten betroffen, leerten die Gläser und brachen so langsam auf. Es war ja auch schon halb Eins und wir werden alle nicht jünger.