FYI.

This story is over 5 years old.

News

Was passiert, wenn man das AfD-Programm per Algorithmus analysiert?

Das Ergebnis passt weder AfD-Fans noch ihren Gegnern.
Foto: imago | Christian Thiel

Drei Jahre hat sie dafür gebraucht, aber jetzt steht die Alternative für Deutschland endlich kurz davor, ein richtiges Parteiprogramm zu haben. Über die endgültige Fassung muss zwar noch auf dem Parteitag am 30. April in Stuttgart abgestimmt werden, trotzdem gilt der aktuelle Entwurf als schon weitgehend abgeschlossen.

Deshalb wird das Programm auch schon seit dem allerersten „Leak" des Entwurfes intensiv diskutiert und analysiert. „Mehr Polizei, mehr Waffen, mehr Schadstoffe", fasste zum Beispiel Zeit Online den Text zusammen, David Schraven von Correctiv wollte herausgefunden haben, dass die Partei in Zukunft „Alkoholiker und psychisch Kranke in Lager stecken" will, und in der Süddeutschen argumentierte Oliver Das Gupta, dass die AfD im Grunde darauf abziele, die „Bundesrepublik abzuschaffen".

Anzeige

Aber egal, wie scharfsinnig oder gebildet der Lesende auch ist: Eine Analyse von Menschen bleibt immer subjektiv. Was passiert aber, wenn man das Programm der AfD einer rigorosen, datengetriebenen Analyse unterzieht?

Genau das hat eine Gruppe von „Data Scientists" versucht. Normalerweise helfen Moritz Neeb, Daniel Kirsch, Felix Bießmann, Paul von Bünau, Antje Relitz und Niels Reinhard mit ihrer Agentur idalab Firmen dabei, große Datenmengen auszuwerten: Zum Beispiel erklären sie Lieferando, welches Essen wann am meisten bestellt wird. Irgendwann kamen sie aber auf die Idee, diese Methoden auch mal auf das neue Parteiprogramm der AfD anzuwenden—mit überraschenden Ergebnissen.

Screenshot von der idalab.de/afd-analyse/

Als das von ihnen entwickelte Tool nämlich das AfD-Programm mit denen anderer Parteien verglich, kam heraus, dass es immer wieder verblüffende Ähnlichkeiten mit den Formulierungen anderer Parteien gab: Und ja, zum Beispiel mit der NPD—aber auch mit SPD, CDU, den Grünen und den Linken.

Hat die AfD also alles nur abgeschrieben? Und sind Algorithmen die besseren Politik-Analysten? Um das herauszufinden, haben wir uns von Niels Reinhard die Ergebnisse erklären lassen.

VICE: Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Niels Reinhard: Ich war immer sehr fasziniert davon, wie subjektiv die Berichterstattung über die AfD war. Besonders, als dann der erste Entwurf für das Parteiprogramm geleakt wurde: Sehr viele Leute haben drüber geschrieben, aber ich hatte immer das Gefühl, so richtig hat es keiner gelesen.

Anzeige

Allerdings hatte ich die Parteiprogramme der anderen Parteien auch noch nie gelesen. So ein Dokument ist ja auch schwierig zugänglich, wenn man sich da mit 70 oder 80 Seiten herumschlagen muss. Daher kam die Idee, diese Wahlprogramme etwas intuitiv zugänglicher zu machen und dadurch auch eine Art Vergleich hinzubekommen. Wie positioniert sich die AfD im Unterschied zu den anderen Parteien?

Und wie seid ihr das angegangen?
Wir haben im Prinzip zwei Analysen gemacht. Als Erstes ein Tool, das herausfindet, wo es ähnliche Stellen in Parteiprogrammen gibt. Bei der Analyse ist herausgekommen, dass es sehr viele Ähnlichkeiten zwischen der AfD und anderen Parteiprogrammen gibt. Da gibt es oftmals wirklich wortwörtliche Übereinstimmungen mit der NPD, aber auch mit anderen Parteien. Das hätten wir auch nicht gedacht.

Wie erklärt ihr euch das?
Das hat vielleicht Sinn, weil die AfD ein Sammelbecken verschiedener politischer Meinungen ist—und natürlich auch noch in einem Bildungsprozess.

Glaubt ihr, die haben wirklich teilweise andere Programme abgeschrieben?
Wir haben auch überlegt, das AfD-Programm mit einer Plagiats-Software zu überprüfen, aber dann hat sich herausgestellt, dass diese Softwares gar nicht so fortgeschritten sind. Das heißt, wir können jetzt nicht sagen, ob das abgeschrieben wurde.

Was habt ihr noch mit den AfD-Programm angestellt?
Im Anschluss an die erste haben wir noch eine Analyse gemacht, um herauszufinden, wo sich das AfD-Programm auf einer Links-Rechts-Skala eigentlich einordnet. Wir haben da einen historischen „Datensatz" von allen möglichen politischen Dokumenten vom Manifesto-Projekt, bei dem Aussagen per Hand gezielt auf einem Links-Rechts-Spektrum verordnet wurden. Aus diesem Datensatz haben wir dann einen „Classifier" trainiert, mit dem man jeden beliebigen neuen Satz auf dem Links-Rechts-Spektrum verordnen kann.

Anzeige

Dann haben wir alle aktuellen Partei-Programme genommen und deren Profile erstellt. Die klassischen Volksparteien zum Beispiel haben eben ein U-förmiges Profil: Viele linke, aber auch viele rechte Aussagen. Das Interessante ist: Die AfD hat die gleiche Verteilung.

Was bedeutet das?
Vielleicht ist das Links-Rechts-Spektrum überholt. Vielleicht ist auch eine Einordnung der AfD als ganz rechte Partei zwar einfach machbar, aber nicht ganz korrekt. Vielleicht brauchen wir eine zusätzliche Dimension, um zu verstehen, was überhaupt im politischen Prozess passiert.

Es kann aber auch sein, dass die AfD eine ganz andere Art von Sprache benutzt. Eine Sprache, die vorher nicht da war, eine populistische zum Beispiel—und das wir deshalb mit unserem Classifier gar nicht abbilden können, dass die AfD extremer ist als Andere.

Wir haben dann aber auch noch mal geschaut, welche Aussagen es gibt, die die AfD wirklich für sich alleine hat—und die sind teilweise schon extrem. Es gibt zum Beispiel keine andere Partei in Deutschland, die ein ganzes Kapitel zum Islam hat.

  • Die AfD fordert: Schluss mit „Politischer Korrektheit"
  • Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt.
  • Einen „Flüchtlings‐Soli" lehnt die AfD vehement ab
  • Die AfD tritt daher dafür ein, das EEG ersatzlos abzuschaffen.
  • Daher setzt sich die AfD dafür ein, die EnEV und das EEWärmeG ersatzlos zu kassieren.
  • Daher setzt sich die AfD dafür ein, das im April 2015 in den Bundestag eingebrachte restriktive „Fracking‐Gesetz" zurückzuziehen.

Die sechs „eigenständigen" Positionen der AfD: Gegen Muslime und die Umwelt.

Was habt ihr denn bis jetzt für Reaktionen darauf bekommen?
Die Resonanz war bis jetzt sehr positiv. Interessanterweise haben wir auch schon von AfD-Mitgliedern Feedback bekommen, die das auf ihren Facebook-Seiten geteilt haben. Sie können das nicht wirklich anfechten, weil es datenbasiert ist, also wird es als objektiv akzeptiert—und auch diskutiert. Der eine sagt: „Wollen wir uns wirklich rechts von der SPD und links von der CDU positionieren?" Einige nehmen das auch für sich in Anspruch und sagen, die AfD kann ja gar nicht so schlimm sein, wenn man keine Unterschied zwischen ihnen und den etablierten Parteien erkennt.

Was habt ihr also insgesamt für euch über die AfD gelernt?
Ich glaube, man sieht, dass die Partei ein Sammelbecken verschiedener Meinungen ist und sich primär im Protest ausdrückt. Das sieht man auch bei diesen eigenständigen Aussagen oftmals: Dass das eben keine eigenständige Position in dem Sinne ist, sondern eine ablehnende Haltung. Ob das auf Dauer ein tragfähiges Programm ist, das wird sich zeigen.