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Drogen

Ich war clean und wollte ein Kind – trotzdem habe ich abgetrieben

In meiner Entzugsklinik sehe ich bei den anderen Patientinnen: Ein Baby ist kein Garant dafür, dass ich mich vom Heroin fernhalten kann. Eine Abtreibung aber auch nicht.
Hannah Brooks
Foto: Nikky G

Vor Kurzem hat Hannah Brooks bereits ausführlich über ihre Heroinsucht und ihren Entzug geschrieben. Jetzt erzählt sie, wie es ihr in der thailändischen "Hope"-Entzugsklinik ergeht – und von dem Rückfall, der sie dorthin führte.

Diesen März hatte ich "restliches Schwangerschaftsmaterial" in meiner Gebärmutter. Damit waren Überbleibsel eines Embryos gemeint, den ich abgetrieben hatte. Als ich das tat, war ich 37 Jahre alt, in der sechsten Woche schwanger von einem Mann, in den ich nicht verliebt war, und hatte drei Monate zuvor aufgehört, Heroin zu nehmen.

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Seit drei Monaten clean und im zweiten Monat schwanger – das ist kein von Medizinern empfohlener Zustand. Expertinnen empfehlen Heroinsüchtigen nicht mal, sich im ersten Jahr der Genesung ein Haustier oder einen Partner zuzulegen. Eine Pflanze geht vielleicht klar. Aber kein Baby.

Weil ich erst in der sechsten Woche war, hatte ich noch die Option auf einen weniger invasiven Schwangerschaftsabbruch mithilfe von Medikamenten. Das sei eine sichere, effektive Methode, bei der nur ein Prozent der Frauen Komplikationen erlebe, sagte mir die Ärztin. Es fühle sich "natürlicher" an, wenn man den Abort selbst zu Hause durchführt.


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Als ich in der Klinik die Pillen abholte, fragten mich die Schwester und die Ärztin, ob ich sicher sei, dass ich abtreiben wolle. Ich sagte Ja, obwohl ich eigentlich gar nicht sicher war. Ich wünschte mir ein Baby. Aber in meiner prekären Lage wäre das neue Leben, das ich erschaffen hätte, ebenfalls ein prekäres gewesen.

"Es tut mir leid, draußen steht ein Demonstrant", sagte mir die Sprechstundenhilfe mit einem grimmigen Lächeln. Ein alter Mann stand vor der Klinik und hielt ein großes Foto von einem acht Wochen alten Embryo, auf dem "Mord!" stand. Erst ignorierte ich ihn und ging zu meinem Auto. Dann überlegte ich es mir noch mal und lief zurück. "Warum?", fragte ich ihn, mehr brachte ich nicht raus.

Im Auto weinte ich. Um mich selbst und auch den alten Mann. Statt ausgiebig zu frühstücken, oder mit einer geliebten Person im Bett zu lümmeln, oder den Rasen zu mähen, verbrachten wir beide unseren Donnerstagmorgen bei einer Abtreibungsklinik und verachteten einander.

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Ein Kind allein heilt keine Frau von ihrer Abhängigkeit

Die Krämpfe begannen eine Stunde, nachdem ich die Pille genommen hatte. Sie kamen in Wellen und waren unbeschreiblich schmerzhaft. Meine Gebärmutter stieß alles ab – oder eben doch nicht alles. Meine Ärztin machte sich Sorgen um mich, als ich ein paar Tage später zu ihr ging. Ich blutete immer noch und hatte hohes Fieber, beides Anzeichen einer Infektion. Es könne sein, dass ich noch "Schwangerschaftsmaterial" in mir trage, sagte sie. Es war, als würde ich versuchen, daran festzuhalten. Weil ich mir eben doch ein Kind wünschte.

Die Sehnsucht nach einem Baby stand auf der einen Seite, auf der anderen die Logik. Was, wenn ich es nicht schaffte, clean zu bleiben? Meine Freundin Susan war vier Jahre lang clean und nüchtern. Heute hat sie einen dreijährigen Sohn, ist schwere Alkoholikerin und liefert sich immer wieder in Entzugskliniken ein. Ein Kind allein heilt keine Frau von ihrer Abhängigkeit.

Hier in der thailändischen Entzugsklinik Hope treffe ich beim Schwimmen eine Engländerin, die ebenfalls 37 ist. Sie versucht schon länger, von ihrem Partner schwanger zu werden, aber schafft es nicht, mit dem Trinken aufzuhören. Dass sie bisher keinen Erfolg hatten, macht sie depressiv, sodass sie noch mehr trinkt. Und die biologische Uhr tickt. "Ich fühle mich, als hätte ich eine Pistole an der Schläfe", sagt sie mir.

Drogensucht ist eine vererbbare Krankheit. Was bedeutet es für ein Kind, eine abhängige Mutter zu haben? In der Entzugsklinik gibt es viele Schicksale, die mir das zeigen. Ich spreche dort mit der 20-jährigen Steph, die süchtig nach Meth ist und deren Mutter noch heute Heroin nimmt. "Sie ist eine schreckliche Mutter", sagt sie. "Sie hat mit mir Drogen genommen. Mich bestohlen. Mich angeschrien. Sie hat Wutanfälle geschoben, wenn sie ihre Drogen nicht finden konnte." Steph habe sogar schon wegen ihrer Mutter die Polizei rufen müssen.

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Stephs Mutter nahm Heroin, sie selbst ist heute abhängig von Meth

Steph kam zu Zieheltern, zog aber schon mit 15 von dort aus. "Dann begegnete ich meinem Zuhälter", erzählt sie. Er sei kein typischer Zuhälter gewesen, wie man ihn sich vorstellt. Er habe immer gutes Essen im Haus gehabt und nie geschrien oder sie geschlagen. "Manchmal hatte er zwar einen echt angsteinflößenden Tonfall. Aber ich war high, also war mir das auch egal. Wir kuschelten dauernd und so, aber gleichzeitig verkaufte er mich an Freier."

Der Zuhälter habe Steph Heroin gegeben. Er wollte, dass sie es sich spritzte, doch sie weigerte sich. Das apathische Gefühl, das sie von Crystal Meth bekam, war ihr lieber. Ohne High habe sie die Freier nicht ertragen. Als der Zuhälter für seinen Kinderprostitutionsring von etwa 20 Mädchen verhaftet wurde, blieb Steph allein mit ihren Entzugssymptomen in der Wohnung zurück. Einer der Polizisten, die an dem Fall arbeiteten, verübte wiederholt sexuelle Übergriffe gegen sie und andere Mädchen. Darauf sei Steph in die übelste Phase ihrer Meth-Abhängigkeit gerutscht, erzählt sie. Sie sei teils zehn Tage am Stück wach und so verwirrt gewesen, dass sie ihren eigenen Namen vergessen habe.

Sein zweiter Sohn war erst drei Wochen alt, als John sich selbst in die Klinik einlieferte. John ist Millionär und klingt selbstbewusst, aber als er seine Ray-Bans anhebt, spricht Trauer aus seinen Augen.

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Dann ist da John, ein 30-jähriger Kokainabhängiger aus Australien. Seine Mutter sei heroin- und alkoholsüchtig gewesen und habe sich prostituiert, erzählt er mir. John musste sich früh um sie und seine drei Geschwister kümmern, die Mutter habe ihn "Daddy" genannt. "Einmal schickte sie mich ohne Hose in die Schule", erinnert er sich. "Sie hatte auch kein Geld für Benzin, also füllte ich den Tank irgendwann mit dem Gartenschlauch. Ich weiß auch noch, wie mein Bruder und ich gefrorene Fischstäbchen aßen, weil wir den Herd nicht bedienen konnten." Die Männer, die im Haus ein und aus gingen, hätten den Geschwistern Angst gemacht. "Wir rannten weg und versteckten uns. Wir fühlten uns zu Hause nicht sicher." Zwar hätten sie nicht gewusst, was vor sich ging, doch sie hätten gespürt, dass es nicht gut war.

Mit 29 hatte John im Beton- und Baugewerbe genug Geld verdient, um sich zur Ruhe zu setzen. Er hatte sich schon immer eine Familie gewünscht, wollte Hausmann sein. Erst einen Monat nach der Geburt des ersten Kindes habe seine Mutter vorbeigeschaut. Als das zweite Kind ein Jahr später auf die Welt kam, war Johns Kokainsucht eskaliert. "Ich war zu dem Zeitpunkt zwölf Tage wach. Ich fühlte mich wie ein lebender Toter", erinnert er sich. "Ich spürte nicht mal eine Verbindung zu dem Baby, als wäre es ein fremdes Kind." An jenem Tag habe er mit dem Koks aufgehört. Sein zweiter Sohn war erst drei Wochen alt, als John sich selbst in die Klinik einlieferte. John ist Millionär und klingt selbstbewusst, aber als er seine Ray-Bans anhebt, spricht Trauer aus seinen Augen.

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"Sucht mag oft stärker als Liebe sein", sagt er. "Aber ich würde nie zulassen, dass eine Droge zwischen mich und meine Kinder kommt." Ich glaube ihm, dass er das selbst glaubt – wir alle meinen es, wenn wir so was sagen. Aber stimmt es?

Ein neuer Patient trifft in der Entzugsklinik ein. Er heißt Charlie, ist 23 und Brite. "Meine Mutter liest deine Artikel", erzählt er mir, als wir uns am Buffet treffen. "Sie arbeitet mit Suchtkranken und war selbst früher abhängig." Beim Mittagessen erzählt mir Charlie, seine Eltern seien beide heroinsüchtig gewesen. Seine Mutter habe noch Drogen genommen, als sie erfuhr, dass sie mit ihm schwanger war. Sie lieferte sich in eine religiöse Langzeit-Entzugsklinik ein, die von Nonnen betrieben wurde. Dort kam Charlie zur Welt.

Charlie kam in einer Entzugsklinik zur Welt, mit 23 Jahren wurde erst selbst in eine eingeliefert

Seine Eltern seien beide inzwischen seit Jahren clean, er selbst sei mit Treffen der Suchthilfe Narcotics Anonymous aufgewachsen. Nichts von alldem schützte ihn davor, selbst mit Crack anzufangen. Am Vortag habe seine Freundin angerufen und ihm erzählt, sie sei schwanger.

Etwa zwei Wochen nach meiner Abtreibung, als ich noch an dem "restlichen Schwangerschaftsmaterial" litt, wurde ich rückfällig. Ich blutete, ich war erschöpft und musste einmal wöchentlich zum Ultraschall. Ich trauerte, womöglich war ich depressiv. Obwohl ich längst wusste, dass Heroin mir nicht mehr guttat, besorgte ich welches und injizierte es – "nur noch ein Mal". Die folgenden Wochen verbrachte ich mit Kotzen. Ich konnte kein Essen und keine Flüssigkeit bei mir behalten. Ich nahm sechs Kilo ab. Mein Körper lehnte das Heroin ab, und trotzdem zerstocherte ich mich mit Spritzen, versessen darauf, high zu sein. Ich wollte einfach nur vergessen, stattdessen wurde ich wieder abhängig.

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Ich weiß, wie es ist, eine Frau zu sein. Alle Frauen hier in der Entzugsklinik haben physische und sexuelle Gewalt erfahren.

John zeigt mir ein Video von seinen Söhnen. Beide sind noch Babys. Der ältere macht einen Kussmund. Charlie wird bald Papa. Steph hat einen Frosch gefunden und ihn "Egg" getauft. Ich mache mir Sorgen, ob ich mich richtig entschieden habe. In meiner wöchentlichen Therapiesitzung sagt mir mein Betreuer Paul: "Es gibt keine Entscheidungen."

Aber die Schwester und die Ärztin haben mich doch gefragt, und ich habe Ja gesagt! "Alles ist unausweichlich", sagt Paul. "Die einzigen Entscheidungen, die zählen, sind die, bei denen du dich wohl gefühlt hast." Ich fühle mich nicht wohl. Ich erzähle Paul von meinem Besuch im "Höllengarten" des örtlichen Tempels Wat Muang. Unter anderem zeigen dort grausige Statuen das Schicksal, das angeblich Frauen erwarte, wenn sie abgetrieben haben. Männer bohren den Frauen Pfähle in Vagina und Bauch, das Blut strömt. "Ich weiß nicht, wie es ist, eine Frau zu sein", antwortet Paul. Ich weiß zu schätzen, dass er das sagt.

Die 22-jährige Aiko hat nach ihrer Abtreibung angefangen, Meth und Heroin zu nehmen

Und ich weiß, wie es ist, eine Frau zu sein. Alle Frauen hier in der Entzugsklinik haben physische und sexuelle Gewalt erfahren, wie ich in Gesprächen erfahre. "Meine Mutter hatte neun Abtreibungen, bevor sie mich bekam", sagt die Neue aus Bahrain. Die 22-jährige Akiko erzählt, sie habe nach ihrer ersten Abtreibung mit Meth und dann Heroin angefangen. "Ich war 13", sagt sie. Ja, so ist es, eine Frau zu sein.

Ich erzähle Paul von einem Erlebnis, das ich vor Jahren hatte. Ich stand mit meinem Verlobten an einer Fußgängerampel, und als sie auf Grün schaltete und das Piepsen erklang, hatte ich plötzlich das Gefühl einer tiefen Erkenntnis: Nichts hat wirklich eine Bedeutung. Und wenn alles bedeutungslos ist, dann ist alles möglich. In diesem Augenblick war ich erfüllt von Freude.

Am Abend nach meinem Therapiegespräch kann ich nicht einschlafen. Es ist Vollmond. Mir geht auf, dass ich jetzt im siebten Monat wäre, wenn ich nicht abgetrieben hätte. Ich denke an mich mit einem großen, runden Bauch. Dann erinnere ich mich, dass ich auf Entzug bin und dass meine Schlaflosigkeit vermutlich daher rührt. Oder es ist das Post-Abortion-Syndrom. Oder ich bin einfach nur traurig, weil ich an ein Baby denke, von dem ich glaubte, ich könnte es niemals richtig versorgen und beschützen.

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