"Das war ein ziemlicher Brainfuck" – Ein Schweizer erzählt von seiner Nordkorea-Reise

FYI.

This story is over 5 years old.

Gallery

"Das war ein ziemlicher Brainfuck" – Ein Schweizer erzählt von seiner Nordkorea-Reise

Und zeigt seine dystopischen Fotos vom tristen Nordkorea.

Alle Fotos von Patrick Stürcken Nordkorea ist einer der letzten Mythen, die uns im Zeitalter von Google, Push-Nachrichten und Facebook verbleiben. Der Grafiker Patrick Stürcken interessiert sich privat für genau diese Mythen, für absurde Verklärungen der Realität. Als "Randgruppenbeauftragter", wie er sich auf Twitter beschreibt, beschäftigt er sich mit Echsenmenschen-Fanatikern, Chemtrail-Anhängern und eben auch Nordkorea.

Anzeige

Vor einiger Zeit reiste er durch das wohl einzige Land der Welt, dessen Image im Westen vor allem durch einen Tumblr-Blog geprägt wurde. Seine Eindrücke hat er auf Fotos festgehalten, die er ab dem 24. Juni bei der Ausstellung "Powerful and Prosperous Nation" in der Zürcher Gallery Verlan zeigen wird. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, wie er vor Ort die Propaganda erlebt hat und was er von der Lebensrealität in diesem surreal anmutenden Land mitbekommen hat.

VICE: Hi Patrick. Ich kenne Nordkorea hauptsächlich von Dingen wie dem Blog "Kim Jong-il Looking at Things". Wie bist du auf die Idee gekommen, ausgerechnet dorthin zu reisen?
Patrick: Ein langjähriger Freund und ich interessieren uns zyklisch für ähnliche Dinge. Lange Zeit war das der Zweite Weltkrieg und irgendwann eben der Sozialismus. Wir haben uns so doofe Filme wie die DDR-Reihe Befreiung gegeben—das sind fünf gut zweistündige Filme, die Kommunismus pur sind. Danach haben wir gedacht, wir müssten uns schon ein Land anschauen, das so ähnlich ist. Zuerst wollten wir nach Kuba aber das war schon zu touristisch. Irgendwann haben wir einfach "Travel to North Korea" gegoogelt, haben das Angebot genommen, das am besten aussah, und sind gegangen.
Mit dem Zug fuhren wir von Peking zur chinesischen Grenzstadt Dandong. Dort stellte die Reiseagentur einen Kontaktmann, der uns abholte und auch schon alle Visa geklärt hatte.

Also ist es als Tourist wirklich einfach, nach Nordkorea zu kommen?
Wenn ich Leuten erzähle, dass ich in Nordkorea war, fragen sie immer: "Wie kommt man denn da rein?" Aber das ist total banal! Es ist, als würdest du ins Reisebüro gehen und Ferien in der Dominikanischen Republik oder Ähnlichem buchen. Wir konnten in Dandong einfach in den Zug steigen und nach Pjöngjang fahren.

Anzeige

Was war dein erster Eindruck von Nordkorea?
An der oberen Grenze zu China ist Nordkorea extrem flach, du siehst meilenweit—aber trotzdem siehst du nichts, weil es keine Bäume gibt. Das macht dich extrem fertig.
Der Zug nach Pjöngjang war auch der einzige Ort, wo dich die Guides nicht kontrollieren können. Wir waren während der ganzen Fahrt in unser Abteil eingesperrt. Wir durchfuhren kleine Bahnhöfe und sahen etwas vom Leben der Landbevölkerung. Das ist wie eine Zeitreise. Sie wohnen in sehr rudimentären Häuschen und heizen wohl oft noch mit Kohle.
Im Nachhinein war das sehr erstaunlich, denn Pjöngjang ist eine unerwartet schöne Stadt. Man würde denken, es sei einfach eine total heruntergekommene Betonstadt. Aber die Hochhäuser, die man aus dem Tourbus sieht, sind alle angemalt—rot, grün, blau. Und es gibt keine Werbung, daher wirkt die Stadt so, als hätte sich jemand aus den 50ern vorgestellt, wie eine Stadt in 20 Jahren aussehen wird und Pjöngjang nach seiner Vorstellung gebaut.

Und diesen Stadt-Land-Unterschied merkst du auch der Bevölkerung an?
Ja, wir sind davon ausgegangen, dass die Elite eher in Pjöngjang wohnt. Dort tragen alle schöne Filzmäntel, an der Grenze zu China aber ist kaum jemand nobel gekleidet. Dort tragen sie eher funktionale Kleidung in mehreren Schichten.

Hattest du denn auch Kontakte zu anderen Nordkoreanern ausser euren Touristenführern?
So doof das klingt, haben wir uns Pjöngjang menschenleer vorgestellt. Aber es ist eben eine Millionenstadt, dementsprechend waren viele Leute da. Einer aus unserer Gruppe war ein rothaariger, dicker Schotte mit Vollbart—der war für die Nordkoreaner wahnsinnig spannend. An einer Station auf unserer Tour fuhren wir eine Haltestelle mit der U-Bahn. Sie haben einen ganzen Wagen für uns leergeräumt—übrigens sind das alte Wagen der Berliner U-Bahn, bei einem war sogar "Nazis raus" ins Holz geritzt.
Als wir an der nächsten Station ausstiegen, stiegen gleichzeitig die Nordkoreaner wieder in unseren Wagen ein. Sie wollten alle dem Schotten die Hand schütteln. Ich habe eigentlich gedacht, sie würden uns anspucken, weil wir als Eindringlinge ihre Kultur verschandeln. Aber sie waren eher neugierig.

Anzeige

Was wurde euch denn sonst noch auf der Tour gezeigt?
Wir waren auch bei einer Palastanlage. Das war ein ziemlicher Brainfuck. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir nur Gebäude gesehen, die der Sozialismus erschaffen hat. Jetzt standen wir plötzlich in diesem mittelalterlichen Palast. Man vergisst vor lauter Sozialismus, dass Korea früher eine Hochkultur war.
Vor unserer Reise haben wir gelesen, wir sollten Alkohol und Zigaretten für die Tour-Guides mitbringen. Die bekommen aber tonnenweise Alkohol und Zigaretten und können den Scheiss nicht mehr sehen. Zwei unserer Mitreisenden hatten Tennisbälle, Kugelschreiber und einen Fussball dabei.
Auf einem Platz vor dieser Palastanlage kickten ein paar Kinder einen Ball herum. Unsere Mitreisenden packten den Fussball aus und wir haben extrem klischeemässig mit den Kindern Fussball gespielt. Das war sehr komisch, aber im Nachhinein betrachtet auch einer der besten Momente der Reise.
Die Kinder hatten zuvor noch nie einen Tennisball gesehen und wussten auch nicht, was ein Kugelschreiber ist. Vor der Reise habe ich angenommen, dass in einer solchen Situation die Tour-Guides unseren Kontakt zu den Kindern sofort unterbrechen. Aber das war total OK für sie.

Das klingt, als ob du mit sehr klaren Vorstellungen nach Nordkorea gereist bist. Von allem, was du gesehen und erlebt hast, was hat deiner Vorstellung am meisten widersprochen?
Das Casino, das im untersten Stock unseres Hotels in Pjöngjang war. Das liess sich gar nicht mit meiner Vorstellung vereinen. Wenn ich Sozialist wäre, würde ich sagen, Casinos sind westlich, sie sind Unkultur, und würde sie verbieten.

Anzeige

Hast du auf der Tour den Einfluss der nordkoreanischen Propaganda mitbekommen?
Vor unserer Reise haben wir gedacht, alle in Nordkorea hassen die Amerikaner. Aber das war überhaupt kein Problem, wir hatten sogar eine Amerikanerin in unserer Gruppe. Wen sie aber wirklich hassen, sind Japaner—aber so richtig! Die meisten Sätze der Tour-Guides beginnen dementsprechend mit "During the Japanese occupation" oder etwas Ähnlichem.
In einem Kriegsmuseum erzählen die Nordkoreaner den Koreakrieg aus ihrer Sicht. Dort darfst du keine Fotos machen, wohl weil der Inhalt des Museums unserer Geschichtsschreibung enorm widerspricht. Wenn es nach ihnen geht, sind die Amerikaner im Koreakrieg total untergegangen, was überhaupt nicht stimmt. Dort haben sie wirklich masslos übertriebene Behauptungen aufgestellt.

Habt ihr nie nachgehakt, wenn ihr gemerkt habt, dass die Informationen der Guides nicht stimmen können?
Doch, die Guides ermutigen dich sogar dazu. Einer aus unserer Gruppe war rhetorisch sehr stark und hat die Guides eine Busfahrt lang gelöchert, was denn nach einer möglichen Wiedervereinigung mit Pjöngjang passieren würde. Manchen von uns war das schon etwas unangenehm, aber die Guides sind total cool geblieben. Sie legen sich bei ihren Antworten aber auch nie auf etwas fest. Einmal haben wir sie gefragt, wieso sie sich nicht mit Südkorea wiedervereinigen, es wüssten schliesslich alle, dass sie dazu bereit wären. Ihre Antwort war: "When we're ready." Das war ihre Standardantwort, nach der die Diskussion jeweils rasch zu Ende war.

Anzeige

Hast du eigentlich auch versucht, abseits der vorgegebenen Tour Fotos zu schiessen?
Ja, aber du darfst überhaupt nicht vom Weg abweichen. Da waren die Guides sehr streng. Einmal fuhren wir zu einem Restaurant und ich entfernte mich etwas von der Gruppe, um eine lange, gerade Strasse zu fotografieren. Unsere Führerin kam sofort zu mir und reklamierte. Das Foto musste ich vor ihren Augen löschen. Ich nehme auch an, sie steuerten unseren Reisebus bewusst um die schlechteren Stadtviertel herum. Das wäre für sie aus propagandistischer Sicht Selbstmord.

Wurde sonst irgendwann deine Kamera kontrolliert, um zu sehen, was du fotografiert hast?
Nein, sie kontrollierten nichts. Ich hatte bei der Einreise einen vollgestopften Reiserucksack dabei. Die Wachen, die ins Zugabteil kamen, haben den nur oberflächlich angeschaut. Sie wollten lediglich wissen, was für eine Kamera ich habe und ob sie GPS hat.
Ich glaube übrigens, sie hielten mich für eine Frau. Ich hatte noch längere Haare und allgemein nicht so viel Bartwuchs. Im Zug kam zuerst die männliche Wache hinein und scannte die Männer mit einem Metalldetektor. An mir ging die aber einfach vorbei. Danach kam die weibliche Wache, stand vor mir und wusste nicht, was sie mit mir, einem blonden Europäer mit langen Haaren und ohne Bart, anfangen soll. Schlussendlich wurde ich gar nicht gescannt.

Habt ihr denn etwas vom Konflikt mit Südkorea mitbekommen?
Es gibt nur eine grosse, dreispurige Autobahn, die Südkorea mit Pjöngjang verbindet. Mir fiel auf, dass am Strassenrand etliche Sprengfallen standen, für den Fall, dass die Südkoreaner einfallen. Das waren jeweils drei haushohe Betonpfeiler, die nebeneinander standen und an strategisch wichtigen Orten platziert waren, damit sie notfalls die Strasse blockieren können.
Auf der Strasse gibt es auch einige Checkpoints. Dort musste ich die Kamera neben mir auf den Sitz legen und durfte auf keinen Fall zum Fenster hinaus schauen. Mit dem Militär ist nicht zu spassen.

Anzeige

Patricks Ausstellung "Powerful and Prosperous Nation" eröffnet am 24. Juni in der Zürcher Gallery Verlan. Er hat uns ausgewählte Bilder zur Verfügung gestellt. Mehr von Patricks Arbeiten findest du auf seiner Webseite.