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Popkultur

Dinge, die wir vom Tatort über GHB und das Oktoberfest gelernt haben

Wiesn-Wirte sind skrupellose Kapitalisten und GHB wird von blassen Außenseitern genutzt, die sich an der Gesellschaft rächen wollen.

Foto: BR/Bernd Schuller

Pünktlich zum Auftakt des Oktoberfests an diesem Wochenende zeigte der ORF am Sonntag den Münchner Tatort Die letzte Wiesn. Als Zuschauer konnten wir dabei erfahren, dass das größte Volksfest der Welt längst nicht für alle ein heiteres Besäufnis und eine Mordsgaudi ist, sondern für den ein oder anderen auch eine prima Gelegenheit, um sich mit Hilfe von GHB an der Menschheit zu rächen. Wenn sowieso alle sturzbetrunken sind, fällt es schließlich nicht so auf, wenn jemand plötzlich bewusstlos von der Bierbank kippt oder an seinem eigenen Erbrochenen erstickt.

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Die Story des Krimis ist schnell erzählt: Im Festzelt der Wiesn-Wirtin Moosrieder häufen sich die Fälle, bei denen sich junge Männer scheinbar ins Koma saufen. Nach den ersten beiden Todesfällen wird allerdings klar, dass sich im Gewühl jemand herumgetrieben haben muss, der den Opfern absichtlich GHB ins Bier geträufelt haben muss. Die beiden sympathischen Alt-Komissare Batic und Leitmayr machen sich daraufhin auf die Suche nach dem Täter, und da das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit dem Tatort auch immer einen gesellschaftspolitischen Bildungsauftrag verfolgt, lernt der Zuschauer dabei einiges über Drogen, besoffene Touristen, skrupellose Wiesn-Wirte und untergewichtige U-Bahnfahrer mit Allmachtsphantasien.

GHB wird von unsicheren Jungs benutzt, um sich an der Welt zu rächen

Selten war in einem Tatort so schnell klar, wer der Täter ist. Wenn ein junger Mann allein, und ohne Tracht—ein ganz entscheidendes, von der Kriminalpsychologin offiziell bestätigtes Indiz—über die Wiesn streunt, kann da ja schon etwas gewaltig nicht stimmen. Wenn dieser junge Mann dann auch noch alles andere als fröhlich aussieht und sich durch seine Kopfhörer mit düsterem Techno beschallen lässt, um Helene Fischer nicht hören zu müssen, ist der Fall eigentlich so gut wie erledigt. Als regelmäßiger Tatort-Zuschauer weiß man schließlich, dass Drogen und elektronische Musik immer zusammengehören. Dass es sich bei dem blassen Todesengel um einen ziemlich kauzigen Außenseiter handelt, der als U-Bahnfahrer arbeitet, in der gruseligen Wohnung seiner toten Oma haust und dessen soziale Kontakte sich auf eine geheimnisvolle weiße Taube beschränken, ist dann ebenfalls wenig verwunderlich.

Überraschend ist einzig und allein der Aspekt, dass der Täter GHB nicht als klassische rape drug einsetzt, sondern es lediglich so aussehen lassen will, als hätten seine männlichen Opfer sich in die Besinnungslosigkeit gesoffen. Im Laufe des Films wird außerdem bekannt, dass der Todesengel schon in der Vergangenheit in einer Landshuter Disko fleißig GHB in unbeobachtete Gläser getröpfelt hat. Ob der Todesengel die fröhlichen Saufbuben auf der Wiesn wirklich umbringen oder ihnen nur einen Denkzettel verpassen wollte, bleibt bis zum Ende unklar. Auf jeden Fall bieten die Todesfälle ihm allerdings einen guten Anlass, um sich selbst möglichst spektakulär und hoch ästhetisch ins Jenseits zu befördern.

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Auf der Wiesn wird gegrabscht, was das Zeug hält

Dass Alkohol nicht unbedingt die besten Charaktereigenschaften eines Menschen zu Tage fördert, wird auch im Film ziemlich schnell deutlich. Die blonde Kellnerin Ina Sattler verpasst einem aufdringlichen Gast eine Ohrfeige, nachdem der äußerst vehement auf einen Kuss von ihr bestanden hat. Anstatt sich zu entschuldigen, schlägt der Gast auch noch zurück. Dass sexuelle Übergriffe Alltag auf der Wiesn sind, erwähnt Sattler später gegenüber Komissar Leitmayr, der sich zu diesem Zeitpunkt schon längst ein bisschen in die Maß stemmende Schönheit verliebt hat— auch wenn sie Radlerhosen unterm Dirndl trägt.

Wiesn-Wirte sind skrupellose Kapitalisten

Das Oktoberfest ist neben all der bierseligen Heiterkeit vor allem ein knallhartes Fest des Kapitalismus, bei dem die Wiesnwirte das Geld säckeweise nach Hause tragen und für ihren eigenen Profit über Leichen gehen. Als leuchtendes Beispiel für diese skrupellose Gier fungiert die erbarmungslose Kirsten Moosrieder, die zackig wie ein preußischer General das Regiment in ihrem Zelt anführt und die lieber weitere Todesfälle in Kauf nimmt, als den laufenden Betrieb zu unterbrechen.

Später offenbart die Hexe im gelben Dirndl dann ihre ganze Grausamkeit, als sie ihren schwulen Mitarbeiter Korbinian kahlrasieren, verprügeln und vergewaltigen lässt. Und das nicht, weil Korbinian ein Liebesverhältnis mit Moosrieders totem Mann hatte, sondern weil er ihrer Meinung nach nur hinter dessen—und damit auch ihrem—schönen Geld her war.

Ein großes Herz wird nicht belohnt

Dass man sich im Polizeidienst nicht von seinen Gefühlen leiten sollte, hält Franz Leitmayr nicht davon ab, trotzdem immer wieder auf sein Herz zu vertrauen. Belohnt wird der emotional überengagierte Kommissar dafür natürlich nicht, denn das Leben ist hart und die Welt ungerecht. Leitmayr kann aufgrund einer Geste der Hilfsbereitschaft seinen Urlaub nicht antreten, weil er dem Mann, der später durch GHB-Einwirkung an seinem eigenen Erbrochenen erstickt, sein verlorenes Portemonnaie zurück in die Tasche seiner Lederhose steckt und dabei Fingerabdrücke auf dem Portemonnaie hinterlässt. Der Kommissar muss also nicht nur wieder an die Arbeit, nein, er muss auch noch während der Wiesn-Zeit in der Stadt bleiben, der er um diese Jahreszeit eigentlich immer den Rücken kehrt.

Da er seine Wohnung wegen des geplanten Urlaubs (bestimmt zu einem sehr humanen Preis) an Touristen vermietet hat, muss er mitunter in der eigenen Badewanne schlafen, und zu allem Übel verliebt sich der großherzige Polizeibeamte dann auch noch in die blonde Wiesn-Kellnerin mit Koks-Vergangenheit, die er aufgrund der akuten hormonellen Verwirrung aus dem Kreis der potentiellen Täter ausschließt. Bei der alleinerziehenden Mutter handelt es sich nämlich neben dem blassen Todesengel um den zweiten GHB-Mörder.

Mit der Geschichte um den letzten Mord holen die Drehbuchautoren dann auch noch zu einem Seitenhieb gegen die gesellschaftliche Doppelmoral aus. Während die alleinerziehende Mutter wegen ihrer Drogenvergangenheit jahrelang vom Jugendamt gemaßregelt wird, schert sich keiner darum, ob ein Mann sich auf der Wiesn im Vollsuff daneben benimmt, solange er „im richtigen Leben" den braven Bürger mimt.