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Ist eine Enteignung der Eigentümerin die Lösung für das Hitlerhaus in Braunau?

Die eigenwillige Eigentümerin des Geburtshauses von Hitler soll nun anhand eines neuen, eigens geschaffenen Gesetzes enteignet werden.
Foto von VICE Media

Im Jahr 1889 wurde Adolf Hitler als Sohn von Alois und Klara Hitler in der Salzburger Vorstadt, im beschaulichen Braunau am Inn in Oberösterreich, geboren. Zu diesem Zeitpunkt wurde das betreffende Haus in der Salzburger Vorstadt als Gasthaus verwendet, auch Zimmer wurden vermietet—so auch an die Hitlers, die nur für kurze Zeit in dem Haus lebten. Nach dem Anschluss an Deutschland wurde das Haus unter Reichsminister Martin Bormann von der NSDAP gekauft, unter Denkmalschutz gestellt, der bis heute besteht, und unter anderem als Schauplatz von Ausstellungen genutzt.

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Nach dem Krieg wurde es den Eigentümern zurückgegeben und von der Republik angemietet—und in den nächsten Jahrzehnten unter anderem als Bücherei, Bank und Schule genutzt. Schließlich wurde es bis 2011 von der Lebenshilfe als Tageswerkstätte für Menschen mit Behinderung verwendet. Seitdem wird eine sinnvolle Nutzung von der Eigentümerin Gerlinde Pommer verhindert und das Haus steht leer.

Einen Umbau des Hauses zur Schaffung eines barrierefreien Zugangs hat sie nicht gestattet, sodass die Lebenshilfe aus- und umziehen musste. Den Vorschlag des Innenministeriums, das Haus zu kaufen, lehnte Pommer im Jahr 2014 ab, weitere Versuche des Ministeriums, das Haus zu kaufen, blieben unbeantwortet—einmal versuchte sie, durch eine Grundstücksteilung zusätzliches Geld herauszuschlagen.

Nun steht im Raum, dass sie enteignet werden und eine Entschädigung erhalten soll. Das scheint ein drastischer Schritt zu sein, aber sofern Braunau nicht mehr länger die Hitler-Stadt bleiben will, ist der Schritt notwendig—und mindestens genau so schwierig. Das Haus wurde nämlich schon einmal enteignet, und zwar durch den engen Vertrauten Hitlers, Martin Bormann. Allein diese Symbolik rückt das Vorhaben in ein schlechtes Licht. Außerdem besteht bisher kein Gesetz, auf Basis dessen die Enteignung des Hauses durchgesetzt werden könnte. Es soll jedoch extra eines geschaffen werden.

Verfassungsrechtsexperte Heinz Mayer sagt dazu im Gespräch gegenüber VICE: „Eine Enteignung ist ein Eingriff in ein verfassungsrechtlich gewährtes Recht, nämlich das Recht auf Besitz. Wenn ein öffentliches Interesse und die Gefahr, dass das Haus in Braunau zu einer Kultstätte für Nazis wird, bestehen, kann ein neues Gesetz geschaffen werden. Wenn dort regelmäßig derartige Wallfahrtsveranstaltungen stattfinden, kann man schon sagen, dass dieses Interesse besteht. Wenn gelegentlich ein paar Mal im Jahr ein paar versprengte Nazis dort auftauchen, nicht. Aber das entscheidet dann das Verfassungsgericht."

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Die Eigentümerin, Gerlinde Pommer, hat die Liegenschaft geerbt und kassiert nun seit Jahren monatlich um die 5.000 Euro von der Republik Österreich, da das Innenministerium das Haus angemietet hat, um eine private Nutzung und eben diese etwaige Bildung einer Pilgerstätte für Rechte zu verhindern. Dieser Plan funktioniert aktuell zwar, aber gänzlich verhindert werden kann wohl nie, dass das Haus, in dem Hitler geboren wurde, rechte Touristen anzieht. Auch im Mietvertrag ist eine Nutzung im zeithistorischen Kontext ausdrücklich verboten. Was das heißt, ist nicht genauer definiert. Es könnte bedeuten, dass die Familie Pommer ebenfalls verhindern wollte, dass eine Pilgerstätte entsteht, aber auch, dass ein Museum zur Erinnerung und Bewusstseinsbildung zum Zweiten Weltkrieg entsteht.

Der Mahnstein mit der Inschrift „Für Frieden, Freiheit und Demokratie—nie wieder Faschismus, Millionen Tote mahnen", der übrigens erst auf dem Gehsteig vor dem Haus platziert wurde, nachdem sich die Eigentümerin gegen eine Gedenktafel auf dem Haus gewehrt hatte und sogar gerichtlich dagegen vorgegangen war (und gewonnen hat), hindert Rechte schon mal nicht daran, vor dem Haus zu posieren. Erst im März sind Neonazis der ungarischen Blood & Honour-Gruppe über Braunau nach Vorarlberg zu einem Konzert gereist und haben für Fotos vor dem Haus posiert.

Auf diversen Reise-Plattformen gibt es sogar Bewertungen von Menschen, die das Haus besucht haben. Ein User namens „1000 Jahre Deutsches Reich" schreibt zum Beispiel: „Eine einzigartige Erfahrung" und gibt fünf von fünf Sternen. Solche Pilgerreisen werden wohl nie gänzlich verhindert werden können. Vermutlich wird kein Lebenshilfe-Logo oder Museum Rechte daran hindern, zur Geburtsstätte ihres Idols zu reisen—aber eine gemeinnützige und durchdachte Nutzung wäre zumindest ein Anfang.

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Screenshot: VICE Media

Aber was würde mit dem Haus passieren, wenn Pommer enteignet wird? Es gibt seit Jahren zahlreiche Vorschläge und Anliegen. Beispielsweise steht ein „Haus der Verantwortung" im Raum. Eine Einrichtung, im Rahmen derer ein angemessener Umgang mit der Geschichte des Hauses garantiert werden soll. Unter anderem sollen in einem Haus der Verantwortung Informationen zum unerwünschten Erbe der Stadt und dem richtigen Umgang damit geboten werden—von dem man bisher wenig sieht. Der oberösterreichische KZ-Verband steht dieser etwaigen Nutzung durch einen privaten Verein skeptisch gegenüber und fordert, in die Nutzung nach der Enteignung eingebunden zu werden. Die Braunauer FPÖ hatte 2013 den grandiosen Vorschlag, eine Geburtsklinik in Hitlers Geburtshaus einzurichten. Die damalige Begründung war, dass in dem Haus, in dem der mordende Hitler geboren wurde, nun neues Leben entstehen sollte.

Klar ist wohl, dass eine karitative, gemeinnützige, öffentliche Nutzung des Hauses nach der Enteignung fast unausweichlich ist. Denn Braunau macht—in diesem Fall vor allem aufgrund der wenig kompromissbereiten Eigentümerin—ohnehin schon viel zu lange von sich reden und eine Vermietung in Form von Wohnungen wäre wohl zu riskant. Das Haus sorgt seit Jahren für Aufregung und der Stadt wird nachgesagt, dass man nicht wisse, wie mit dem schweren Erbe als Geburtsstadt von Hitler umgegangen werden soll. Lange Zeit wurde ignoriert, dass dies, die Nutzung des Hauses und die damit einhergehenden Probleme wie beispielsweise Rechte, die zu Hitlers Geburtstag reisen, überhaupt problematisch seien. Vielmehr sah man die Gegendemos des Bündnisses „Braunau gegen Rechts" als störend und imageschädigend an. Viel zu lange wurde bei dem Spiel der Eigentümerin zugesehen—obwohl es plötzlich nicht mehr so schwierig scheint, ein entsprechendes Gesetz zur Enteignung durchzusetzen. Laut Heinz Mayer kann so etwas in einem „wichtigen" Fall innerhalb weniger Tage vom Tisch sein.

Da das Haus wegen seiner besonderen Bausubstanz unter Denkmalschutz steht und somit ein gesetzliches Demolierungsverbot gilt, kann es jedenfalls nicht so einfach abgerissen werden. Was auch immer mit dem Hitlerhaus in Braunau passiert—es wird, solange es in dieser Form in der Salzburger Vorstadt 15 steht, das Hitlerhaus bleiben. Egal, ob es als Museum, Schule oder Hotel genutzt wird. Wahrscheinlich wäre es einfach die beste Lösung, mit dem Haus so umzugehen, wie mit den Ehrenbürgerschaften, von denen Hitler zwar immer noch erschreckend viele innehat (in Braunau war er übrigens bis 2011 Ehrenbürger), die aber immer weniger werden.

Man kann dazu stehen, dass Hitler in der Vergangenheit Ehrenbürger war und das viel zu lange—durch welche Versäumnisse auch immer—nicht geändert wurde. Und man kann auch dazu stehen, dass es einen Ort gibt, an dem Hitler geboren wurde und dieser Ort in Braunau ist. Aber gleichzeitig muss man dafür sorgen, dass mit diesem Kapitel abgeschlossen wird. Ob das möglich ist, wenn dieses Haus weiter bestehen bleibt, wird sich nach der Enteignung von Gerlinde Pommer zeigen.

Verena auf Twitter: @verenabgnr