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Sex

Freud und Leid liegen im Schwulenparadies Fire Island dicht beieinander

Die Insel vor New York ist vor allem für ihre Exzesse und Dramen bekannt. Man kann sich dort aber auch menschlich weiterentwickeln und fürs Leben lernen. Fünf Männer erinnern sich.
Foto der 'Fire Island'-Protagonisten: bereitgestellt von Logo; bearbeitet von Lia Kantrowitz

Jersey Shore mit schwulen Protagonisten. So könnte man die neue Reality-TV-Serie Fire Island beschreiben, in der sich alles um sechs Homosexuelle und ihre Selbstfindung, Affären und Exzesse dreht. Wie der Name schon verrät, ist der Schauplatz des Ganzen dabei das Schwulen-Mekka Fire Island bei New York.

Die TV-Show musste aber auch schon Kritik einstecken: Sie soll die Schwulen-Community in ein schlechtes Licht rücken. Saturday Night Live hat die Überzogenheit von Fire Island sogar schon mit einem Lesben-Spin-Off parodiert und die feierwütigen Männer mit bedachten, weintrinkenden Frauen kontrastiert.

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Die Realität von Fire Island liegt irgendwo dazwischen. Natürlich lässt sich die Schwulen-Community dort richtig gehen, aber hinter den ganzen Partys steckt mehr. Auf Fire Island entwickelt man sich weiter, wird mit harten Wahrheiten konfrontiert und lernt fürs Leben. Seit knapp einem Jahrhundert geht es dort genauso vornehm wie verrucht zu; die Insel ist genauso fies wie erleuchtend. Auf Fire Island findet man nicht nur Spaß und neue Bekanntschaften, sondern vielleicht auch sich selbst.

Um diese Tatsache zu untermauern, haben wir verschiedene Schwule gefragt, wie sich ihr Leben auf Fire Island verändert hat. Es folgen nun ihre urkomischen und tiefgreifenden Geschichten.

Aaron Perry, Vertriebsleiter aus Los Angeles, über Selbstbewusstsein und Fleisch im Hals:

Obwohl ich in meinem ganzen Leben erst einen Tag auf Fire Island verbracht habe, habe ich es trotzdem geschafft, mich zu blamieren.

Auf Fire Island haben alle mit irgendeiner Unsicherheit zu kämpfen – egal ob nun die Angst vor einem zufälligen Treffen mit dem Ex oder der Auftritt in Badehose. Aber nur die wenigsten haben sich bei einer Grillparty geschämt, weil sie fast gestorben wären. Bei besagter Party kannte ich nur eine der anwesenden Personen und hielt mich deswegen vor allem beim Essen auf. Serviert wurde extrem verbranntes Kebabfleisch, von dem mir ein Stück natürlich im Hals steckenblieb. Peinlich berührt verzog ich mich instinktiv in eine stille Ecke, um abseits der anderen Gäste in Frieden zu ersticken.

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Irgendwann löste sich das Stück und ich überlebte. Die Geschichte ist und bleibt die perfekte Metapher für die Ängste und die Scham auf Fire Island. Immer wenn ich davon erzähle, wie mir im Schwulenparadies das Fleisch im Hals steckenblieb, durchlebe ich die Demütigung aufs Neue – und muss danach erklären, dass es sich dabei nicht um einen Euphemismus handelt.

Jeff Leavell, Autor, über theoretische Physik:

Mit 18 lief ich auf Fire Island einmal spät abends zurück zum Haus der Eltern meines Freundes. Aus den Büschen am Wegesrand drang lautes Gestöhne und als ich durch eine Düne ging, stieß ich auf eine Orgie: Ein Typ ließ sich von gut 20 Männern beglücken. Ich war total fasziniert. Einer der Jungs erzählte mir, dass er seinen Doktor in theoretischer Physik machte. Wir kamen uns auch körperlich näher und setzten uns irgendwann alleine in Richtung Strand ab. Dort hatten wir nicht nur ausgiebig Sex, sondern redeten auch lange und ganz abstrakt über Physik. Er erzählte mir viel von der Unendlichkeit und wie alle unsere Entscheidungen und Handlungen verschiedene Universen erschaffen. In einem Universum sind wir zusammen abgehauen und leben ein glückliches Leben.

Am darauffolgenden Tag spazierte ich mit meinem Freund am Strand entlang. Dabei erblickten wir eine Hochzeitszeremonie und ich war wie vom Blitz getroffen: Der Typ, mit dem ich die Nacht verbracht hatte, heiratete irgendeine Blondine. Unsere Blicke kreuzten sich kurz und dann war es vorbei. Ich habe ihn bis heute nie wieder gesehen.

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Frankie Sharp, DJ und Partyveranstalter, über eine dringend benötigte Zigarette:

Einmal habe ich beim BOFFO Art Festival aufgelegt. Als ich mit dem Festival fertig war, bin ich mit meinem Freund, wie man das so macht, an der Strandpromenade entlanggegangen. Irgendwann schlug mein Freund vor, dass wir Liquid Mushrooms nehmen könnten. Ich hatte noch nie davon gehört und feste Mushrooms hatte ich auch noch nie genommen – ich war ja erst Anfang 20. Aber hey, ich war gut drauf und dachte mir: "Warum nicht?" Wir haben das Zeug also genommen und sind dann weiter die Promenade entlanggelaufen – ich, mein Freund Alex und eine befreundete Drag-Queen, Claudia. Irgendwann legten wir uns auf der Promenade hin. Was Besseres konnten wir uns in unserem Zustand nicht vorstellen. Plötzlich kam ich auf die Idee, unbedingt eine Zigarette rauchen zu wollen. Blöderweise war es 5 Uhr morgens und Geschäfte zu.

Ich schaute mich ein bisschen um und etwa einen halben Häuserblock entfernt sah ich, wie sich eine Schaukel in einer Küche bewegte. Ich sagte zu den anderen: "Oh, da sind Leute drin und ich glaube, die rauchen. Ich kann Rauch sehen." Ich wollte so gerne eine Zigarette haben. Ich war unfassbar high, aber ich brauchte nichts mehr auf dieser Welt als eine Zigarette. Also lief ich festentschlossen los und drückte auf die Klingel. Ein Leather Daddy in voller Montur öffnete mir rauchend die Tür: "Kann ich dir irgendwie helfen?" Ich: "Ja, ich wollte fragen, ob ihr vielleicht eine Zigarette für mich habt? Ich brauche unbedingt eine Kippe! Ich kann dir auch einen Dollar dafür geben." Das volle Verzweiflungsprogramm eben. Er antwortete "Sorry, wir haben nichts für dich" und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Für einen Augenblick stand ich nur da und verstand die Welt nicht mehr. Als ich zu den anderen zurückkam, mussten wir alle laut lachen und sind dann weiter gegangen. Nach etwa 50 Metern hörten wir plötzlich hinter uns ein "Hey! Hey!". Wir drehten uns um und dieser Typ rannte die Promenade runter – bekleidet mit nicht mehr als einem Harness und einem dieser Hundewelpenschwänzchen-Buttplugs. "Hier, hier, hier, ich habe was für dich!", sagte er und gibt mir eine Zigarette.

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Das ist das Tolle an Fire Island, wo es so absurd zugeht, dass du es für total angemessen hältst, eine beliebige Sexschaukel-Lederparty für eine Zigarette zu unterbrechen. Aber es ist tatsächlich total angemessen. Das gehört zu der Magie von Fire Island. Meinen Hundewelpenschwänzchen-Buttplugtypen habe ich dann Montagmorgen frisch und gestriegelt mit Kaffee und Aktenkoffer in der Hand und in einem teuren Anzug auf der ersten Fähre auf dem Weg zur Arbeit wiedergesehen.

Mitchell Sunderland, Broadly-Autor, über wilde Bären:

Auf Fire Island war ich meistens beruflich. Einmal haben meine Kollege Matthew und ich im Belvedere übernachtet – einem Hotel, das etwa 400 Dollar die Nacht kostet, in dem Kleidung optional ist, Frauen der Zugang verboten und ein Großteil der Möbel aus alten Gutshäusern oder Filmsets stammt. Das Essen bestand allerdings in erster Linie aus Plunderteilchen, die schmeckten wie vom Billigsupermarkt. Serviert wurden sie von einem Jungen, der nicht aufhören wollte, durch die Gegend zu brüllen, dass er Taylor Swift zu einer Drag-Ikone machen werde. Irgendwie schafften weder Matthew noch ich es, während unseres Aufenthalts Sex zu haben. Einmal saßen wir allerdings vor unserem Zimmer und ein splitterfasernackter Typ fing an, uns anzubaggern. Er versuchte es zuerst mit der üblichen "Ich bin ein Schauspieler"-Masche, nur um später durchblicken zu lassen, dass er eigentlich Immobilienmakler ist. Das Allerschlimmste war allerdings, dass wir die ganze Nacht kein Auge zugemacht haben, weil direkt vor unserem Fenster neben einer Statue ein Bär gefickt wurde – stundenlang.

Jason Moore, Regisseur von 'Pitch Perfect' und 'Sisters', über das Teilen eines Hauses und ungeschriebene Regeln:

Mir in meinen 20ern ein Haus auf Fire Island zu teilen, hat mich gelehrt, mit anderen Menschen wenig Platz, Aufgaben, Storys und in manchen Fällen auch Männer zu teilen. In diesen Häusern sind die Wände dünn und die Türen offen. Wenn du also irgendjemandem den Proteinshake weggetrunken oder dir ungefragt eine Speedo ausgeliehen hast, bist du dafür auf den Prüfstand gekommen. Auf Fire Island habe ich gelernt, wie man solche Grenzüberschreitungen wieder gutmacht – oder wie man auch am sonnigsten Tag finstere Blicke auf jemanden wirft. Vor allem und zum Glück hat es aber die Entwicklung von Freundschaften beschleunigt. Es gibt nichts Besseres, als den Blick aufs Meer zu teilen, einen Nachhauseweg oder eine ordinäre Adresse, um dich mit anderen zu verbinden und dir das Gefühl zugeben, Teil eines eingeschworenen Stammes zu sein.

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